Inspektor Lestrade

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Eine seltsame Stimmung ist es, die da herrscht. Man möchte meinen, sich inmitten eines kurz bevor stehenden Duells zu befinden, das Zentrum einer Federung aus Wortgefechten und Querelen zu bilden, unbeteiligt und doch hineingezwungen.

Ich war eben oben, in der gemeinsam geführten Wohnstätte der sich als Junggesellen ausgebenden Herren, um von meiner erfolgreichen Festnahme zu berichten. Aber von Gemeinsamkeit und Euphorie habe ich nicht viel gespürt. Mir wurde keineswegs in dem munteren Plauderton begegnet, den zu hören ich zur heutigen Stunde des Besuchs erwartet hatte. Eher angeschlagen. Holmes klang buchstäblich skeptisch Watson gegenüber und selbiger befremdlich missmutig.

Sie feinden sich nicht an, das nicht. Nicht laut. Eher subtil. Sie sind penibel darauf bedacht, nicht in derselben Zimmerecke zu verweilen. Fallen lieber mir ins Wort als sich gegenseitig. Einem Inspektor fällt sowas natürlich auf.

Möchte mal wissen, was da los ist. Hängt der Haussegen schief? Ich rieche die Lunte. Lagerkoller! Zu lange aufeinander gehockt? Irgendwie kann es das nicht sein, denn das tun sie doch im Grunde genommen schon immer. Ihre gegenseitige Gesellschaft bevorzugen sie seit jeher am meisten, ob körperlich beeinträchtigt oder kerngesund.

Schlechte Auftragslage? Ich hätte genug Arbeit, aber der grantige Blick des Doktors lässt mich innehalten, jedes mal, wenn ich dieser Tage davon zu sprechen ansetze. Ich muss versuchen, seinen Schützling allein zu erwischen. Kaum einer, der es mit Holmes aufnehmen kann, wie sich abzeichnet, seit sein exzentrischer Ideenwahnsinn in der Londoner Ermittlerbranche ausgefallen ist.

Einstweilen machen sich Lücken bemerkbar, dort, wo er nicht zur Verfügung steht. Hoffe doch, er ist bald wieder richtig hergestellt. Sind ab und an ein gutes Kriminalistenteam, der Herr Privatdetektiv und ich, der Polizeidetektiv. Zumindest dann, wenn ich einen Zuarbeiter von seinem Kaliber brauche, der meine Geistesblitze auch in die Tat umzusetzen versteht. Habe schließlich auch oft genug seinen Firlefanz an schrulligen Theorien erduldet. Na ja, irgendwie kamen wir doch meistens zu einer einvernehmlichen Lösung und das Resultat ist es ja schließlich, was zählt. Die Statistik meiner Inhaftierungen kann sich sehen lassen.

Wenn ich nur an den provisorischen Galgen in der Brick Lane zurückdenke, der hatte es in sich. Ich hätte beinahe auf Holmes' Mundart der Beweisführung zurückgreifen müssen, weil niemand von meinen Jungspunden kühn genug war, meinem methodischen Vorgehen enthusiastisch zu folgen. Stolzgeschwellter Brust kann ich berichten, diesen, meinen jüngsten Fall gelöst zu haben. Wies gewisse Ähnlichkeiten auf, zu einem anderen Delikt, bei dem Holmes mir einst unter die Arme gegriffen hat. Die Erinnerungswürdigkeit war nicht ganz unnütz in Hinblick auf ein paar Parallelen.

Das Jahr war noch jung gewesen, damals, der Tag noch keine fünf Stunden alt. Der Diwan, um den es ging, hatte dafür umso mehr Jahre auf dem Buckel. Edle Seidenstoffe von guter Verarbeitung standen im Kontrast zu seiner Abnutzungserscheinung und zierten eine Lehne, unter der sich das kleine Versteck mit dem kompromittierenden Schriftstück befand. Längenvergleiche von Bürste und Seifenlauge führten Holmes zur Dienerschaft, unter der sich dann die wahre Dame des Hauses zeigte. Im Kaminzimmer als falsche Zofe entlarvt, zog sie schließlich die Waffe, fließend in der Bewegung, als hätte sie nie etwas anderes getan- und belastete sich selbst. Ein Streifschuss traf meinen Uniformierten, der die Briefe aus dem Diwan gefischt hatte.

Holmes misstraute der Zofe von Anfang an. Er misstraut den meisten Frauen. Mehr als den Männern, soviel ist gewiss. In den edelsten Damen des Landes sieht er potenzielle Biester. Merkwürdig finde ich das, wo ich jetzt darüber nachdenke. Ich habe nie ergründet, warum das so ist. Aber es erklärt seinen Lebensstil.

Briefe. Immer wieder sind es Briefe mit inne stehenden Informationen, die Einfluss auf den Lauf der Dinge nehmen. So auch bei meiner Stippvisite, die zeitgleich mit mir eingetroffene Depesche machte die komische Atmosphäre nur noch unklarer.

Verborgen in 221b (Fortsetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt