Wiggins

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Ich bin ein Opfer meiner Herkunft. Es ist nicht so, dass ich mich schäme- es hätte keinen Sinn. Ich versuche angestrengt herauszurudern, bedaure dabei zu sehen, wie viele von meinesgleichen in diesem Elendsschlamm feststecken und keine Lücke finden, um den Teufelskreis zu durchbrechen. All meine Zukunftsvisionen, Vorstellungen und Sehnsüchte, die ich von einem Dasein mit Versorgtheitsgarantie und nichts Extravaganterem als dem prüden Gestilltwissen menschlicher Grundbedürfnisse habe, sie reichen manchmal nur bis zum nächsten Tag. Dann zerbrechen sie und ich werde auf den Boden der Tatsachen zurückgeschleudert. Steinhart ist er, denn auf ihm liegen Reize verstreut, deren man erbarmungslos erliegen kann: Er ist gepflastert mit einer Welt voller Freiheiten. Sie sind verlockend, weil sie mich keinen gesellschaftlichen Zwängen unterwerfen. Sie sind genauso satanisch, denn diese Freiheiten kosten mich den täglichen Kampf mit elenden Rahmenbedingungen an einer Front, wo der grundgefährliche Krieg der Namenlosen gegen ihren eigenen Untergang tobt.

Hier hause ich. Ich komme zurecht. Ich bin ein Teil dieses Systems und werde akzeptiert, was ich mir im Schweiße meines Angesichts und im Austausch gegen meine Unversehrtheit erarbeiten musste. Ich werde weitestgehend in Ruhe gelassen, bis neues Bettlergesindel vorbeizieht und in Frage stellt, ob Hunger und Habgier noch in Akzeptanz mit dem Dulden meiner Person in diesem Loch gehen.

Schon kurz nachdem mein Leben begonnen hatte, habe ich roten Backstein, schwere Ziegel und feuchten Lehm von Fabrikwänden zu sehen bekommen, während all die pausbackigen Kinder der herrschaftlichen Leute mit ihren bunten Bauklötzen um sich geworfen haben. Heute ist es nicht viel besser, aber heute gucke ich hinter diese Wände und erkenne, wie mich der Anblick geformt hat und wie mich jede einzelne Winternacht, die mir ihre Eiseskälte durch meine löcherigen Schuhe jagte, so dass mir fast die Zehen erfroren wären, stärker gemacht hat. Nun sind meine Füße ausgewachsen und ich setze meine Schritte fester, jetzt werde ich von meiner eigenen Stabilität getragen.

An allen Tagen nämlich, begleitet mich dieselbe Zielstrebigkeit: Ich will, und womöglich wird es mir noch gelingen, mindestens so gescheit und geschickt werden wie jemand, zu dem mein steiniger Weg mich geführt hat: Mr. Holmes.

Ich habe das Zeug dazu, das hat er selbst gesagt und mir einen verschwörerischen Klaps mit seiner Kappe gegeben. Der kennt sich hier in meinem Revier bestens aus und mit den Sitten, die hier herrschen auch, also wird er es beurteilen können. Hier ticken die Uhren anders, auch die gestohlenen, darüber sind wir uns einig.

Und er hat gemeint, dass ich schon jetzt einer jener unentbehrlichen Nachfolger in der Verbrechensbekämpfung sei, die es hier in einigen Jahren bräuchte. Ich solle all die Strukturen und Muster der Missetäter nur weiter studieren und mich darauf spezialisieren, dabei unsichtbar zu werden.

In dieser Hinsicht will ich mal auf ihn hören, auch wenn das sonst nicht meine Art ist, nach anderer Leute Pfeife zu tanzen.

Dann hat er mir auf den Kopf hin zugesagt, entweder ich trainiere meine Fertigkeiten als Untergrundschnüffler oder ich verkomme in der Gosse und kein Hahn kräht mehr nach mir. Es ist meine Entscheidung. Stimmt soweit. Ich habe mich schnell entschieden.

Auch wenn er nicht wirklich erreichbar für mich ist, im Gegensatz zu mir, der ihm auf Abruf bereitsteht, eins verbindet uns, denn mitunter zieht er durch mein Viertel und wühlt im selben Dreck wie ich. Er beschränkt seine Ermittlertätigkeit nicht auf die Häuser der betuchten Reichen, ihre Güter und Landsitze. Auch in den Elendsvierteln bewegt er sich mit solch einer unauffälligen Sicherheit, als wäre er in allen Schichten heimisch. Ich weiß nicht, wie er dazu kommt, ich traue mich nicht, ihn zu fragen. Aber herausfinden werde ich es, denn es interessiert mich. Auf dem Schmierzettel, den ich unter meiner Kappe trage, mache ich mir dazu Notizen- mit meinem Kohlestift.

Verborgen in 221b (Fortsetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt