Holmes

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Immer noch ist er derjenige, der sich scheut, entrückt ist. Interessanter Fakt, wenn man bedenkt, dass ich der Grund bin, der ihm zu schaffen macht. Und interessante Wendung. Er war ganz unten, hat den totalen Zusammenbruch erlitten, mich angeschrien und abgewiesen. Mich begehrt. Es war heftig. Er war heftig, mein lieber Watson.

Wenn er so unzivilisiert auftritt, erkenne ich ihn nicht, unbarmherzig expressiv mit seinen Vorstellungen posierend, unverschnörkelt und rein. Obszön angelegte Begrifflichkeiten ohne übrigbleibende Interpretationsfreiheit in den Raum werfend, im Zeigen seiner Impulse regelrecht nackt.

Wie man die getätigte Beobachtung auch deutet, Tatsache bleibt, er hat es geschafft, alles herauszulassen, was an Aufgebrachtheit in ihm steckte. Ungebremst. Ganz ohne Tabu. Ohne Alkohol, ohne Kanüle sowieso.

Ein grandioses Rückgrat besitzt dieser Mann. Er war in der Lage, mir seine Schwächen einzugestehen, wenngleich noch nicht, sich seine eigene Fehlbarkeit zuzugestehen. Er ist sich selbst zuwider.

Seitdem er sich mir gezeigt hat, ist er ruhiger, weniger nervös, guckt nicht mehr so finster. Ich habe ihn absichtlich herausgefordert und mein Plan ist aufgegangen. Er hat sich entladen, würde der chemikalisch Gelehrte kundig dozieren.

Ist der Weg nun frei oder treibt der Schwelbrand eine unsichtbare Kluft zwischen uns?

Ich will zwar keinen zweiten Ausbruch riskieren, denn Temperament ist etwas Gefährliches und Menschen, die sich nicht im Griff haben, die das Begehren überkommt, sind unheilvoll, verschreckend und bedrohlich. Aber ich bin geneigt, im Zweifelsfall eine Wiederholung zu akzeptieren, seine Wut auf die Falle, in der wir sitzen, noch einmal auszuhalten, damit er ihr Luft macht. Soll er toben, mit seiner Tür knallen, anstatt sich leise an der meinen vorbei zu drücken. Diese unlaute Botschaft, alles dafür zu geben, nicht gehört zu werden, brennt mir in den Ohren. So kann ich ihn nicht einordnen, nicht vorhersagen, ob er sich provoziert fühlt, er etwas Unbedachtes tun wird.

Die Künste sind es, die die Liebenden besingen, ihre Qualen beschreien. Die Königsdisziplin der Kunst ist es, den Mittelweg zwischen meinem Angebot und seinem Annehmen unserer geistigen Vereinigung zu finden, zwischen seinem nötigenden Drang und meiner respektvollen Vorsicht vor dem, was in vorhersehbare Weise seinen Platz in der Reihe der natürlichen Ordnung der Dinge wäre: der körperlichen Besiegelung zweier ohne einander verlorener.

Explodiert er ein weiteres Mal, bin ich vorbereitet. Dann habe ich einen Grund, aktiv zu werden, die Detonation der Zerrissenheit umzuleiten. Noch muss ich mich in Geduld üben, prüfen, ob das Aushalten ein Ende unseres zermürbenden Tanzes verspricht. Solange werde ich die Spannung konstruktiv umzuwandeln versuchen, denn nutzlos herumzustehen, ist mir nicht gegeben. Ich kann derweil die Begriffe, die auf meinen besten Freund zutreffen zerpflücken, bis ihre einzelnen Komponenten in ein System von Rationalität und Verstand passen: zweites Ich? Angebeteter? Sagt man nicht so?

Ich nehme so vieles an ihm wahr. Und an mir. Ich überrasche mich selbst bei dem Versuch, alles davon in mir aufzunehmen, um es zu ergründen, wie dieser Undefinierbare wohl sagen würde. Und, um es eines Tages vielleicht ganz anzunehmen, wie ich mir sage, mit allen Konsequenzen.

Ich sehe das alles. Ich sehe bekanntermaßen scharf. Ich sehe, wie Watson sich in der Episode einer depressiven Verbitterung gefangen fühlt, dass er bemüht, ist, um Zugeständnisse herumzuschleichen. Wie er sich behutsam vortastet, entlang der Wände dieses Sicht-getrübten Tunnels, der zwei Ausgänge hat. Einen Schritt stolpert er vor, zwei zurück, bis es ihn erneut in Stücke reißt. Daraus schließe ich einen erfassbaren Grad an Skepsis, seine Annäherung noch sichtbarer zu machen, wo die Überzeugung im Inneren bereits kocht, auch das sehe ich. Er würde sich rigoroser verhalten, hätte er sich zu hundertprozentiger Quote gegen uns entschieden.

Verborgen in 221b (Fortsetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt