Freude.
Dies beschrieb die Gemütslage von Elea. Nur noch wenige Schritte trennten sie von einem anderen Leben, einem Leben, das sie sich sehnlichst wünschte. Die Angst, dass dieser Moment, auf den sie so lange hingefiebert hatte, ein Trugbild sein könnte, ließ sie bedachter ihre Schritte wählen. Was, wenn der Traum der Freiheit niemals in Erfüllung ging? Der Gedanke trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Doch je näher sie dem Ausgang kam, desto mehr löste sich die Anspannung. Vielleicht werden Träume ja doch wahr.
Viel zu lange war sie eingesperrt. Acht Jahre, fast neun – all diese Zeit war ihr ungerechtfertigt genommen worden, für etwas, das sie nicht getan hatte. So viel kostbare Zeit war vergangen, und mit ihr alle Möglichkeiten, die sie hätte ergreifen können. In ihr brodelte Wut, denn sie wusste, dass nur eine Person dafür verantwortlich war. Eine Person, der sie einmal blind vertraut hatte. Doch die Zeit hatte auch sie verändert. Das naive, gutmütige Mädchen von damals war verschwunden. Das Gefängnis hatte alles von ihr gefordert. Nichts blieb, wie es war. Sie war nicht mehr dieselbe.
Ihre 'Schwestern' im Gefängnis hatten dafür gesorgt, dass sie überlebte – mit ihrer schroffen, brutalen Art hatten sie Elea abgehärtet. Es war genau das gewesen, was sie gebraucht hatte, nachdem er sie gebrochen hatte.
„Elea Dean. Sie sind dran." Die Stimme der Gefängniswärterin riss Elea aus ihren Gedanken. Ihre in Handschellen gefesselten Hände hob sie bereitwillig, damit die Wärterin sie öffnen konnte. Als der Schlüssel das Schloss der Handschellen löste, zuckte ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht. Die Freiheit war zum Greifen nahe.
Unter Anweisung erhielt sie ihre persönlichen Gegenstände zurück, die man ihr bei ihrer Inhaftierung abgenommen hatte: Schmuck, Schlüssel, Handy, Portemonnaie und ihre Kleidung. Als sie die Kleidung betrachtete, schnaubte sie verächtlich. Unter den Sachen lag auch die Schürze, die sie damals getragen hatte, als sie bei Reeve's arbeitete. Reeve. Der Name weckte Erinnerungen, die sie am liebsten für immer verdrängt hätte. Doch leider ließ sich die Vergangenheit nur bis zu einem bestimmten Punkt unterdrücken – und dieser Punkt war nun erreicht.
Entschlossen warf sie die Schürze in die Mülltonne, als sie sich in der Umkleide befand. Sie wollte das Alte hinter sich lassen. Vor dem Spiegel blieb sie stehen und sah sich an. Sie konnte sich kaum noch wiedererkennen. Ihre Züge waren schärfer, ihr Blick härter. Eine Narbe zog sich vom rechten Auge über den Wangenknochen. Sie war eine Erinnerung an ihre ersten Wochen im Gefängnis, als eine Mitgefangene sie wegen eines banalen Streits schwer verletzt hatte. Mit ihren schmalen Fingern strich sie über die vernarbte Stelle und sah in ihre hellbraunen Augen. Sie waren nicht mehr dieselben. Vor acht Jahren hatte sie hoffnungsvoll in die Zukunft geblickt, doch diese Hoffnung war längst erloschen. Sie wollte keine Erwartungen mehr haben. Das Kapitel war abgeschlossen.
Doch in diesem Moment, während sie auf ihre Freiheit zuschritt, flammte etwas Neues in ihr auf. Freude. Aber auch Rache. Der Drang, dem Mann alles zu nehmen, was er ihr genommen hatte. Alles. Sein Leben. Doch dieser Gedanke passte nicht zu ihr, nicht zu der Person, die sie sein wollte und die sie früher einmal war. Sie versuchte, den schmerzerfüllten Gedanken zu verdrängen – den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte. Wunden, die nie gänzlich heilen würden.
Bevor sie weiter in ihre Gedanken abtauchte, spritzte sie sich Wasser ins Gesicht und schüttelte ihren Körper, in der Hoffnung, das Chaos in ihrem Inneren zu ordnen. Es half – zumindest für einen Moment. Nachdem sie sich gefasst hatte, schnappte sie ihre restlichen persönlichen Dinge und verließ den Raum. Vor der Tür wartete eine Wärterin, die sie zu einem Schalter führte, wo eine Frau hinter Glas saß. „Das hier müssen Sie unterschreiben," sagte sie und sah Elea streng an. Doch Blicke konnten Elea nicht mehr verängstigen. Angst war etwas anderes. Angst bedeutete, nicht zu wissen, ob man den nächsten Tag erleben würde. Für Elea war Angst der Tod – und der war ihr so oft begegnet, dass sie ihn schon fast begrüßte, wenn er sie empfangen wollte.
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Dark Chains
ChickLitNach neun Jahren hinter Gittern ist Elea endlich frei - oder so dachte sie. Kaum in die Freiheit entlassen, taucht Reeve auf, der Mann, der einst ihr Leben und ihre Liebe war. Jetzt jagt er sie erbarmungslos, um etwas zurück zu bekommen, was ihm ein...