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Irgendwie schaffte ich es, den ersten Tag des Seminars hinter mich zu bringen.
Um Punkt 17 Uhr schnappte ich mir meinen Rucksack und rannte als erste aus dem Tagungsraum nach draußen.

Anderthalb Stunden Zeit blieben mir bis zum Abendessen.
Auf keinen Fall durfte ich mich beim Essen in die Nähe von Jan setzen.

Mit dem Aufzug fuhr ich in den ersten Stock, in dem auch mein Hotelzimmer lag. Zimmer 122.
Schnell packte ich ein paar Dinge aus, ehe ich mich mit meinen Zigaretten und meinem Smartphone auf den Balkon verzog.
Zum Glück hatte der Wind etwas nachgelassen.
Ich zündete mir eine Zigarette an und beschloss, mich bei meiner Kollegin Jessi zu melden.

Jessi meldete sich mit verschnupfter Stimme bereits nach dem zweiten Klingeln.

„Hey Kathrin. Wie ist die Lage?"

„Ganz gut. Blöd nur, dass du nicht hier sein kannst. Das würde besagte Lage ein wenig erträglicher machen!"

„Warum? Ist das Seminar so scheiße? Immerhin hast du schon den ersten Tag hinter dich gebracht. Wie ist denn der Typ, der das Seminar leitet?"

Stille. Ich wusste darauf keine vernünftige Antwort.
Mir wurde heiß.
Verlegen zog ich an meiner Zigarette und blies langsam den Rauch in die Luft.

„Kathrin?"

„Er ist ein Arschloch!" platzte es aus mir heraus.

„Okay du willst diesen Mann." stellte Jessi nüchtern fest.

„Wie bitte? Wie kommst du denn darauf?"

„Mir entgeht der Unterton in deiner Stimme nicht. Außerdem kam deine Antwort sehr zögerlich. Du stehst auf ihn, aber das ärgert dich!"

Ich seufzte. Zog noch einmal an meiner Zigarette.

„Okay. Irgendwie ist er so heiß dass ich kaum noch klar denken kann. Und das macht mir Angst. Und ich bin mir trotzdem sicher, er ist ein Arschloch."

Ich hörte Jessi am anderen Ende lachen. Dann ging ihr Lachen in einen Hustenanfall über.
Jessi gehörte eindeutig ins Bett.

„Spielt doch keine Rolle ob er ein Idiot ist. Ich finde, du hast ein bisschen Spaß verdient."

Empört schnappte ich nach Luft. Ich war zwar nicht verklemmt oder so.
Aber immerhin war ich beruflich hier und wollte auf keinen Fall negativ auffallen und meinen guten Ruf oder den der Firma gefährden.
Ich war zwar als chaotisch und eigenwillig bekannt, aber sich an den Seminarleiter ran zu schmeißen, war in meinen Augen definitiv ein No-Go.

„Bleib locker Kathrin. Schau einfach, wie sich der Abend entwickelt. Man kann ja auch diskret sein!"

Ich sah Jessi vor meinem geistigen Auge auch schon mit einem Auge zwinkern bei diesem Satz.

„Ruh dich einfach weiter aus und werde gesund! Ich melde mich morgen bei dir!"

Entschlossen, mich an diesem Abend definitiv zu benehmen, drückte ich schnell meine Kippe aus und schloss die Balkontüre hinter mir zu.
In ein paar Minuten würde ich mich zum Abendessen begeben.
Vorher bürstete ich mir noch einmal die Haare und gab zwei Sprühstöße meines Lieblingsparfüms auf meinen Hals.

Room 122 - Just One NightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt