Kapitel Sechs

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Tage waren vergangen, seit mein Zwillingsbruder wieder im Lande war. Und ich konnte mich einfach nicht dran gewöhnen. Immerhin musste ich so lange ohne ihn in meiner Nähe auskommen.

In den letzten Jahren hatte er sich wirklich ziemlich verändert, das musste ich zugeben. Nicht nur von seinem Aussehen her. Er war ein vollkommen anderer Mensch. Ganz schnell begriff ich es, als er seine Sachen plötzlich kommentarlos wegräumte, was damals nicht einmal die kleinste Option war. Immer hatte er Debra und mich in den Wahnsinn getrieben, weil er es nie geschafft hatte seinen eigenen Dreck aufzusammeln. Doch jetzt war er sogar ordentlicher als ich.

Ich dankte innerlich der Frau, die ihn zu dem gemacht hatte, der er nun war.

Leider konnten wir uns nicht so viel unterhalten, wie ich es gerne gewollt hatte. Ich wollte mehr von seinem neuen Leben erfahren. Doch oft verschwand er aus dem Haus und kam erst dann zurück, wenn ich bereits schlief. Immer wieder fragte ich ihn, was er in dieser Zeit tat, doch Regi wich mir jedes mal aus und meinte nur, dass ich ihn machen lassen sollte.

Natürlich machte ich mir dadurch nur sorgen um ihn. Ich wollte nicht, dass er der Polizei in die Finger fiel.

Um nicht noch vollkommen durchzudrehen lenkte ich mich mit meiner Arbeit ab. Irgendetwas musste ich tun. In der ganzen Situation fühlte ich mich einfach nur machtlos. Ich meine, was hätte ich denn schon großes tun können? Mein Bruder war derjenige mit den Kontakten - welche es auch immer sein sollten.

Also trainierte ich für meine Auftritte und versuchte, so gut es ging, nicht mehr an das alles zu denken.

Das gute dabei war, dass ich Jenevieve zufrieden stellen konnte. Immerhin kam ich nicht mehr zu spät zu unseren Proben. Im Gegenteil, ich kam sogar viel früher als die anderen. Zu Anfang hatte es sie recht misstrauisch gemacht, doch diese Einstellung hatte schnell nachgelassen. Ihr war nur wichtig, dass alles im Club glatt lief.

In unseren gewöhnlichen Trainingssachen, studierte ich mit unserer Sophia - die unter den Namen Sunshine auftrat - und mit Angie einen neuen Tanz ein. Zu Dritt gaben wir alles und brachten uns gegenseitig ziemlich ins Schwitzen.

Im ganzen Jahr, in dem sie schon bei uns war, hatte sich Sophia ziemlich gut entwickelt. Sie hatte sehr viel gelernt und überraschte uns mit ihren Können immer wieder aufs neue. Sie war etwas besonderes. Und obwohl sie eigentlich eine recht stille und zurückhaltende Person war, blühte sie so richtig auf, sobald sie die Bühne betrat. Sie zog jeden in ihren Bann, auch mich.

Zu Anfang hatte ich sie unter meine Fittiche genommen, hatte ihr gezeigt, wie das alles hier lief. Deshalb war ich wirklich stolz über ihre Entwicklung. Außerdem mochte ich es einfach mit ihr zu arbeiten.

-

Jenevieve klatschte in die Hände und die Musik hörte Schlagartig auf. Wir drei auf der Bühne, hörten automatisch mit dem Tanz auf und sahen, schwer atmend zur Chefin. Diese stemmte nur ihre Hände in die Hüften, legte den Kopf leicht in die Schräge und betrachtete uns mit einem strengen und prüfenden Blick.

Stille hatte sich im Saal ausgebreitet und je länger diese andauerte, umso nervöser wurde Sophia neben mir. Immer wieder blickte sie verstohlen zu mir rüber und wusste nicht wirklich, was sie mit sich anstellen sollte.

Mit einem knappen Nicken und einem kleinen Lächeln, versuchte ich sie ein wenig zu beruhigen.

>>Okay<<, seufzte die Chefin schließlich und verschränkte dann ihre Arme vor der Brust. >>Angelique, dein Timing war an einigen Stellen nicht gut. Ihr wart nicht ständig im Einklang<<, begann sie. Obwohl ihr Gesicht einfach nur ausdruckslos erschien, klang ihre Stimme jedoch ganz hart und bestimmend. >>Sophia du musst mehr auf deine Bewegungen achten. Sie müssen noch fließender werden.<< Dann richtete sie ihre eisblauen Augen auf ich und ich musste wirklich schlucken.

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