„Gib auf! Es gibt keinen Weg hier hinaus. Ich bin schon seit drei Monaten hier und habe alles versucht. Und wenn ich es nicht raus schaffe, schafft es eine flügellose Schnecke wie du schon gar nicht."
„Wer hat das gesagt?"
„Ich."
Yara drehte sich um und sah eine Wasserfee vor sich schwimmen. Ihre Flügel waren am Rücken gefaltet und ihre Haut wurde von grün schillernden Schuppen überzogen. Ihr Haar hatte die Farbe von dunklem Braun und an ihrer Stirn konnte Yara kleine Fühler sehen. Aus langen Algen hatte sie sich ein Kostüm gezaubert, dass aus einem eng anliegenden Oberteil und einem kurzen Rock bestand. Um ihre Taille lag eine Kette aus Perlen. Sie war klein und zierlich, aber sie hatte offenbar ein großes Mundwerk. Yara hatte noch nie eine Wasserfee aus solcher Nähe gesehen.
„Aja. Hätte ich mir denken können. Nur eine Wasserfee könnte auf ‚flügellose Schnecke' kommen. Ich bin Yara."
Yara hielt der Wasserfee die Hand hin. Es kam ihr zwar merkwürdig vor – immerhin hatten sich die beiden Arten noch nie verstanden – aber sie wollte das Beste aus ihrer Lage herausholen.
„Und du heißt?"
„Pfff!"
„Ein sehr interessanter Name.", antwortete Yara und ließ ihre Hand wieder sinken, als sich die Wasserfee von ihr wegdrehte.
„Mein Name ist Amadahy.", sagte sie dann doch und drehte sich wieder zu Yara.
„Wie lange bist du nochmal schon hier?"
„Drei Monate."
„Wie kam es dazu?"
Amadahy schwieg.
„Ich wurde in einem Fischernetz gefangen."
„Ja, so viel Dummheit traue ich auch nur einer Meerjungfrau zu.", lachte Amadahy jetzt.
„Ich wurde in eine Falle gelockt. Sie haben einige glitzernde Steine auf einen Felsen gelegt und ich wollte sie mir ansehen, aber dann war da plötzlich ein Käfig um mich herum. Sie haben ihn über den Steinen befestigt und ihn fallen gelassen, als ich genau darunter geflogen bin."
„Nun das ist aber auch eine recht lustige Art sich fangen zu lassen, findest du nicht?", grinste Yara.
Amadahy rollte die Augen.
„Als ob du klüger gewesen wärst."
„Eigentlich ist es auch egal, schließlich sitzen wir beide in diesem Käfig."
Amadahy nickte.
„Du hast für ganz schön viel Aufregung unter den Besuchern gesorgt.", stellte sie dann fest.
„Besucher?"
Yara drehte sich um, außer ihr sah sie keine andere Meerjungfrau.
„Na die Menschen vor dem Glas."
Yara sah zu der einen Seite, hinter der sie die Menschen gesehen hatte. Glas hieß die unsichtbare Wand also.
„Die Menschen zahlen sehr viel Geld dafür, um uns sehen zu können. Wir sind eine Attraktion.", erklärte Amadahy.
Tatsächlich war die Menschentraube vor ihrem Käfig noch größer geworden. Die Menschen drängten sich nach vorne, um einen kurzen Blick auf die beiden Wesen zu erhaschen, ehe sie von den nächsten wieder verdrängt wurden.
„Das sind sehr viele.", meinte Yara.
„Man gewöhnt sich daran und lernt mit der Zeit sie zu ignorieren."
„Ich will mich aber nicht daran gewöhnen!", protestierte Yara. „Ich will wieder nach Hause in meine Lagune, ich will zu meiner Familie."
„Ich habe genauso gedacht wie du. Aber du hast doch selbst gesehen, dass es keinen Weg nach draußen gibt."
„Dann haben wir noch nicht gründlich genug gesucht. Es muss einen Weg nach draußen geben und wenn wir jeden Kieselstein hier drin umdrehen müssen."
Amadahy rollte wieder die Augen.
„Na dann viel Spaß dabei, ich gehe wieder schlafen." Mit diesen Worten ließ sie Yara allein.
Amadahy mochte sich vielleicht mit diesem Käfig abgefunden haben, aber sie wollte noch nicht aufgeben. Sie würde wieder nach Hause kommen, koste es was es wolle!
Wieder begann Yara damit, ihren Käfig zu untersuchen. Sie schwamm am Boden herum und die Wände hinauf. Da bemerkte sie eine Lücke in der Wand. Neugierig schwamm Yara hinüber.
Da war ein kleines Gitter in der Wand, aus dem Wasser in das Becken floss. Der Druck des Wassers war aber so stark, dass Yara einen Moment nach Luft schnappen musste. Sie versucht es noch einmal von der Seite. Dieses Mal gelang es ihr, ganz nah an das Loch in der Wand heranzukommen.
Jedoch als sie es näher untersuchte, sah sie, dass das Gitter aus starkem Metall gemacht war. So wie die großen Tankschiffe, denen sie im Meer manchmal begegnet war. Nein, das konnte sie nicht brechen.
Yara schwamm nach oben zur Wasseroberfläche. Sie sah auf eine Plattform über ihr, von wo sie in den Käfig geworfen worden war. Zu ihrer Überraschung hörte sie Fußschritte auf der Plattform. Sie schwamm zurück, bis sie auf die Plattform sehen konnte.
Dort stand ein Junge.
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The Great Escape
FantasyVor vielen, vielen Jahren, als es noch Fabelwesen in der Welt gab, lebte eine Meerjungfrau namens Yara. Sie lebte in den wärmeren Gewässern der Karibik. Sie liebte ihre Heimat und das Wasser, aber sie verbrachte auch sehr viel Zeit an der Wasserober...