Kapitel 9

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Der Tag war ohne weitere Vorkommnisse vergangen, obwohl Amadahy die ganze Zeit nervös auf und ab geschwommen war. Was wäre gewesen, wenn jemand die Einrichtung wieder zurückstellen wollte? Wenn jemand herausgefunden hatte, was sie vorhatten?

Aber dann kam die Essenszeit, genau wie am vorigen Abend. Heute gab es aber eine besonders große Portion. Als hätte doch jemand geahnt, dass sie eine anstrengende Nacht geplant hatten.

Die Besuchszeit ging vorbei und der Meereszoo leerte sich.

Mit einem Mal wurde es dunkler. Yara sah sich um. Dunkler? Wieso gingen nicht alle Lichter aus? In ihrem Becken war das Licht noch an.

Standen sie etwa unter besonderer Bewachung? Yara konnte niemanden sehen, der sie beobachten konnte.

„Wieso ist das Licht bei uns noch an?", fragte Yara.

Amadahy zuckte mit den Schultern. „Es ist schon mal passiert, dass sie vergessen haben, es auszuschalten. Wir müssen es trotzdem riskieren!"

Yara nickte und gemeinsam schwammen sie zu der Tür hinüber.

„Auf drei – eins, zwei, drei!", sagte Amadahy. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnten, zogen die beiden an dem metallischen Griff. Langsam bewegte sich der schwere Stein.

„Zieh weiter, gleich haben wir es!", rief Yara außer Puste. Tatsächlich! Zentimeter für Zentimeter hob sich der Stein, bis er mit einem Plop! aus dem Boden flog.

„Vorsicht!", rief Amadahy, als der Stein beinahe auf Yaras Flosse gelandet wäre. Aber Yara hatte im Moment andere Sorgen.

Um das Loch entstand ein Strudel, der sie beide mit sich reißen wollte.

„Amadahy!", rief Yara, als sie nicht genug Widerstand aufbringen konnte und in das Loch gezogen wurde. Auch Amadahy konnte sich nicht viel länger halten und auch sie wurde in das Dunkel hinab gezogen.

Amadahy kämpfte gegen die Strömung an, doch sie wurde immer weiter durch den dunklen, geschlängelten Tunnel geschleudert.

Warum hatte sie nur auf die flügellose Schnecke gehört? Das war nun ihr Ende. Sie würde hier drinnen sterben. Amadahy kniff die Augen zusammen. Mit einem Mal erschien ihr das Leben in dem Aquarium wie der Himmel auf Erden.

Doch da fühlte sie wie die Strömung nachließ und dann ganz weg war. Langsam öffnete sie die Augen. War sie tot?

Aber da sah sie Yara. Sie schwamm einige Meter entfernt, winkte ihr und lachte wie verrückt.

„Wir haben es geschafft, Amadahy! Wir sind wieder im Meer! Wir sind wieder frei!", rief sie übermütig und schlug einen Purzelbaum.

Amadahy sah sich um.

Obwohl die Welt sich um sie herum noch drehte, erkannte sie langsam die Küste, sah die Möwen in der Luft fliegen und roch den vertrauten salzigen Geruch.

„Yara.", sagte Amadahy leise.

„Was ist?"

Yara legte den Kopf zur Seite und sah Amadahy an.

„Versprich mir, dass wir das nie wieder machen!"

„Ach, sei keine Memme! Sieh dich doch um. Wir sind frei!!"

Amadahy brauchte offenbar einige Zeit länger, um zu realisieren, dass sie es tatsächlich geschafft hatten. Doch dann begann auch sie zu lachen, breitete ihre Flügel aus und sprang in die Luft. Sie schlug einen Salto nach dem anderen, bis ihr erneut schwindelig wurde. Wie sie das Fliegen vermisst hatte!

Als sich die beiden dem weiten Meer zuwandten, drehte sich Yara noch einmal um. Sie sah ihr Gefängnis von außen. Da bemerkte sie einen Schatten, der neben dem Tunnelausgang stand und aufs Meer blickte.

Es war Evan der Fischerjunge. War er derjenige, der für sie das Licht angelassen hatte?

Bevor sie wusste was sie da machte, hob sie die Hand aus dem Wasser und winkte ihm entgegen. Evan winkte zurück und Yara machte mit einem Sprung kehrt, um Amadahy einzuholen und endlich wieder nach Hause zu kommen.

The Great EscapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt