Manon wachte von warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht auf. Sie öffnete die Augen um zuerst einen Blick auf ihren Wecker zu werfen, und danach einen aus dem Fenster. Es war zehn Uhr morgens und ein sonniger Spätsommertag. Ein schöner Tag. Manon duschte, zog sich an und betrat schließlich in ihrer alten Lieblingsjeansjacke aus Münchener Zeiten die Küche. Dort traf sie auf Alin und Finn, die müsliessend am Tisch saßen. Sie gesellte sich zu ihnen und fröhlich quatschend aßen die drei Geschwister ihr Frühstück. Das Küchenfenster hatten sie geöffnet um die warme Luft herein zu lassen und das Radio dudelte im Hintergrund leise vor sich hin. Das war ein perfekter Morgen fand Manon.
Nach dem Essen machten sich alle drei ans Ausräumen von Alins Zimmer. Sie trugen mit vereinten Kräften das alte Bett vor das Haus und verstauten den Krimskrams vom Boden in den zugehörigen Kisten. Dann trugen sie das Paket mit der Nummer eins in Alins Zimmer und Finn ging zurück in sein eigenes Zimmer um was auch immer zu tun während Al und Manon sich mit der Anleitung auseinandersetzten. Er würde wahrscheinlich an seinem Comic zeichnen vermutete Manon.
Sie hatte die Beach Boys angemacht und war sich sicher, dass sie durch das offene, bodentiefe Fenster die ganze Nachbarschaft beschallten, doch es war ihr egal. Al und Manon sangen, tanzten und schraubten eine Stunde lang, dann kam Ann ins Zimmer, machte die Musik aus und rief sie zum Mittagessen.
Danach hatte Al genug von all den Schrauben und Brettern. Manon hatte das schon erwartet und war nicht weiter überrascht als Al sich mit seinen Buntstiften und einem Malbuch ins Wohnzimmer verzog. Allein werkelte sie weiter. In Gedanken versunken singend schraubte sie ein Brett an das Andere. Nach einer weiteren Stunde tat ihr der Rücken weh und ihre Knie gaben unangenehme Geräusche von sich, als sie aufstand. Sie stellte sich ans Fenster, hielt ihr Gesicht in die Sonne und schloss die Augen. Manon liebte den Sommer mehr als jede andere Jahreszeit. Ihre Gedanken schweiften zu Noah. Was er jetzt wohl tat? Vielleicht stand er am Fenster und hielt sein Gesicht in die Sonne. Manon musste lachen. In ihrem Kopf war das aus unerfindlichen Gründen eine sehr amüsante Vorstellung.
"Bist du schon fertig, Manon?" , fragte Finn sie aus dem Küchenfenster herüber. Manon schreckte zusammen und wandte sich ihm zu. "Was? Nein. Ich brauche wohl noch Stunden allein. Kannst du mir nicht helfen?" , fragte sie hoffnungsvoll. "Ich backe gerade. Wenn frische Cookies helfen, dann kann ich helfen, sonst eher nicht.", antwortete Finn ihr und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
"Ich kann helfen." , rief eine Manon unbekannte Stimme von unten herauf. Finn und Manon sahen nach unten. Dort stand der Junge, der Manons Zeh am vorigen Tag gerettet hatte. Nein, bloß nicht, dachte Manon. Sie würde mit dem Jungen reden müssen und er würde sie für total verrückt halten und sie auf immer verspotten und dann -
Noch während Manon imaginierte, was alles furchtbares passieren könnte antwortete Finn dem Jungen. "Klar, gerne. Wenn es dir nichts ausmacht." Manon schlug sich innerlich vor die Stirn. Warum war sie nicht schneller gewesen? Finn jetzt zu widersprechen wäre Kindergartenniveau, wie Ann zu sagen pflegte. "Nein, gar kein Problem! Ich langweile mich gerade eh nur.", erwiderte der Junge unten fröhlich. Seufzend ergab Manon sich ihrem Schicksal.
Finn ging hinunter um dem Jungen die Tür zu öffnen. Zwei Minuten später stand letzterer Manon gegenüber und sah sie erwartungsvoll an. Sie wartete, dass er etwas sagen würde, doch das tat er nicht. Er sah sie einfach nur an. "Ist was?", fragte sie nach einer Weile. "Ich habe dich gefragt wie du heißt.", sagte der Junge. Mist. Warum hatte Manon das nicht mitbekommen. "Oh, sorry. Ich bin Manon. Du?"
"Till." , antwortete der Junge und grinste. "Wo bist du gerade?", fragte er Manon auf die Anleitung deutend. Manon zeigte es ihm und schweigend fingen sie an zu arbeiten. "Wessen Bett ist das eigentlich?", fragte Till schließlich.
"Das ist für Alin"
"Alin?"
"Mein kleiner Bruder. Er sitzt drüben im Wohnzimmer und malt. Er ist erst sieben und hatte keine Lust mehr auf zu bauen.", erklärte Manon Till.
"Du hast einen siebenjährigen Bruder?", fragte Till verblüfft.
"Ja. Warum fragst du?"
"Das ist doch ziemlich ungewöhnlich oder? Wie viele Jahre Unterschied zu dir sind das?"
"Ich bin zehn Jahre älter und Finn zwölf. Es war eigentlich nicht so geplant, wir waren alle etwas überrascht, doch er ist das beste, was uns passieren konnte."
"Ja, ich hätte auch gerne einen kleinen Bruder. Oder überhaupt Geschwister."
"Du bist Einzelkind?"
"Ja"
"Ich nicht.", war das einzige, was Manon dazu einfiel und sie hätte sich am liebsten gegen die Stirn geschlagen. Doch Till lachte nur. "Ja, das ist mir klar." , sagte er lachend. "Du hörst die Beach Boys?", wechselte Till plötzlich das Thema.
"Ja. Du kennst sie?", fragte Manon überrascht. Sie kannte kaum Leute in ihrem Alter, die die Beach Boys noch kannten. Doch sie kannte auch wenige Leute in ihrem Alter musste sie sich eingestehen.
"Klar. Meine Mum hat die immer gehört. Ich liebe ihre Musik", sagte Till begeistert.
"Deine Mum ist sie... oh tut mir leid.", sagte Manon, deren Mund schneller geredet hatte, als ihr Hirn denken konnte: 'Das fragt man nicht!'
"Was ist mit meiner Mum?... Oh, nein. Es ist nicht so wie du denkst. Mum hört die Beach Boys immer noch. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, weshalb wir auch in euer Nachbarhaus gezogen sind. Dad und ich wohnen jetzt allein und darum höre ich nicht mehr, wenn Mum die Beach Boys hört. Darum die Vergangenheitsform."
"Ach so," , sagte Manon erleichtert, "trotzdem schade." , fügte sie noch hinzu. "Es geht. Ich hab mich daran gewöhnt und ehrlich gesagt ist es jetzt besser so. Ich muss sie nicht mehr streiten hören.", erwiderte er in einem Tonfall, der deutlich machte, dass das Thema nun für ihn abgeschlossen war, jedoch eine weitere Unterhaltung nicht ausschloss.
"Ihr wohnt also jetzt dort drüben?", fragte Manon ihn und deutete aus dem Fenster auf das nächste Haus.
"Ja.", bestätigte Till und stand auf. Das Bett stand wie eine eins. Ohne sich ab zu sprechen nahm Manon es an einer Seite und Till an der anderen. Sie hoben es gleichzeitig hoch und trugen es an die richtige Stelle, wobei Manon Till versehentlich fast zwischen der Wand und dem Bett zerquetscht hätte.
"Fertig!", sagte Till stolz und bot Manon die Hand zum einschlagen an. Manon schlug ein. Grinsend standen sie vor ihrem Werk. "Ich sollte vielleicht noch aufräumen." fiel Manon dann ein. "Ja, sollten wir.", sagte Till. Das ganze Zimmer lag voller Verpackungsmaterial und anderem Müll. Gemeinsam sortierten sie das Chaos und trugen den ganzen Müll nach draußen.
Finn betrat das Zimmer, als Till gerade den letzten Karton zum Altpapier trug. "Wow! Ihr wart schnell!", staunte er. "Ja.", sagte Manon nur und ging um Al zu holen.
"Wer bist du?", fragte Al Till, der gerade Alins Matratze testete, als Al das Zimmer betrat. "Ich bin Till und du musst Alin sein, oder?", fragte Till so lässig, als wäre es normal auf dem Bett eines Fremden Kindes zu sitzen, ohne dass das zugehörige Kind das wusste. "Till Eulenspiegel?", fragte Al und legte den Kopf schief. "Nein. Till Kasper"
"Gut. Weil Till Eulenspiegel dürfte nicht auf meinem neuen Bett sitzen. Der würde es bestimmt kaputt machen!", sagte Al und nickte bekräftigend. "Na ob Kasper so viel besser ist, als Eulenspiegel weiß ich nicht.", sagte Finn, der hinter sie getreten war. Till lachte."Nein, da hast du Recht.", gab er zu, "ich geh mal lieber von deinem Bett runter Alin."
Jetzt lachte auch Al und Manon konnte es sich ebenfalls nicht mehr verkneifen. Die vier setzten sich auf die Terrasse um Cookies zu essen. Al kicherte immer noch.
Erst als Tills Vater von drüben nach Till rief und es auch schon langsam kalt wurde verließen sie die Terrasse. Till verabschiedete sich mit einem Winken und einem verschwörerischen Zwinkern zu Alin.
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Damit wir leben
Fiksi RemajaUrsprünglich war Manons Plan zwei Jahre in ihrem neuen Kaff zu überleben ohne dort ernsthaft Wurzeln zu schlagen. Doch dann kam Noah. Und mit ihm eine wunderbare Brieffreundschaft, die Manons Leben veränderte. Sie begann sich ihrem Leben gegenüber z...