•~{ Kapitel 5 }~•

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19.04.

Mein Wecker klingelte. Ich liess ihn. Geschlafen hatte ich sowieso schon wieder nicht. Mein Blick lag seit gefühlten Stunden an der Decke. Meine Augen brannten, ich hatte keine einzelne Träne mehr zu verschwenden.
„Sollte ich heute in die Schule gehen?", fragte ich in den leeren Raum. Mein Kopf schreit nein, aber ich ergebe mich trotz dessen aus dem Bett und Schlich ins Bad. Ich drehte die Dusche auf und kaltes Wasser prallte auf meinen Körper. Ich würde am liebsten den ganzen Tag unter der Dusche stehen und darin ertrinken während Oikawa wieder bei seinen Fangirls ist.
Müde trocknete ich mich ab und zog mir dann die Schuluniform an. Ein Blick in den Spiegel zeigte es mir erneut; ich sah aus wie eine Leiche. Meine Augenringe waren schon so dunkel wie meine Haare und kein Lächeln schaffte es auf mein blasses Gesicht.
Trotzdem schleppte ich mich aus dem Haus und in Richtung Schule. Matsukawa und Hanamaki warteten davor und winkten mir zu, sobald sie mich sahen.
„Alter, Iwaizumi, du siehst aus wie ein Zombie! Hast du wieder die ganze Nacht Godzilla geschaut?", lachte Hanamaki und klopfte mir auf den Rücken.
„Schön wärs", murmelte ich.
Matsukawa wich meinem Blick aus. Nach meiner gestrigen Aktion verständlich.
„Mattsun, tut mir leid wegen gestern...", entschuldigte ich mich, bevor ich mit zügigen Schritten in Richtung des Klassenzimmers lief. Erschöpft legte ich meinen Kopf auf die Tischplatte.
Jemand setzte sich auf den Platz neben mir. Ich öffnete eines meiner Augen.
Oikawa starrte auf den Tisch, eine Unterlippe zitterte sichtlich und er krallte sich in seinen Pulli.
Ich sollte ihn fragen wie es ihm geht.
Ich sollte mich entschuldigen.
So wie bei Matsukawa.
Es sollte doch gar nicht so schwer sein! Bitte schau mich an Oikawa, bitte bemerk doch das ich mit mir kämpfe, bitte, komm du doch auf mich zu.
„Iwaizumi-san, möchten sie sich auch hinsetzen und meinem Unterricht folgen, oder wollen sie gleich zum Direktor?", ertönte die harsche Stimme von Miss Atugawa über mir. Ich fuhr hoch und packte mein Schulbuch aus.
Immer wieder sah ich neben mich zu Oikawa. Irgendwann zitterte nicht nur seine Lippe, sondern sein ganzer Körper, während er versuchte die Tränen zurückzuhalten. Wie gern würde ich ihn jetzt in meine Arme schliessen, durch seine Haare fahren und beruhigend auf ihn einreden während er sich bei mir ausheult, so wie früher, doch etwas hielt mich zurück.
Mit einem Ruck stand er auf und rannte aus dem Raum. Die ganze Klasse, inklusive mir, sah ihm verwirrt nach, bevor ich aufstand und ihm hinterherhetzte. Er verschwand in der Toilette auf unserem Stock.
Ich blieb vor der Tür stehen und lehnte meinen Kopf dagegen. Drinnen hörte ich erstickte Schluchzer. Ich nahm meinen Mut zusammen und öffnete die Tür.
„Oikawa?", fragte ich in den Raum. Sofort verstummte jedes Geräusch. Ich stellte mich vor die vorderste Kabine und klopfte an.
„Komm raus da..."
„H-hau a-a-ab", flüsterte er. Ich seufzte.
„Öffne die Tür Oikawa, ich bleibe so lange bis du hier rauskommst", sagte ich.
„Hau ab!", sagte er etwas lauter. Ich setzte mich hin, lehnte mich an die Tür der Kabine in der Oikawa sich verschanzte und klopfte nochmals daran.
„Komm raus Oikawa."
„Nein! Hau ab! Geh weg wie gestern, wie immer!", schrie er und etwas hartes knallte gegen die Tür. Ich schreckt weg.
„Oikawa, war das gerade dein Kopf?! Hör auf verdammt und komm hier raus!", fauchte ich.
„Verpiss dich Iwaizumi!", schrie er zurück. Mit einem dumpfen Knall verstummte Oikawas Gerede.
„Oikawa?"
„Oikawa?"
„Oikawa?!"
Ich rüttelte an der Tür.
„Oikawa mach jetzt auf! Was ist da drinnen los?! Rede mit mir!"
Ich klopfte verzweifelt an die Tür bis ich etwas unter der Badezimmer Kabine sah. Etwas rotes. Ich ging auf die Knie und sah unter dem kleinen Spalt zwischen Boden und Tür hindurch. Oikawa lag scheinbar bewusstlos auf dem Boden und aus seinem Arm trat jede Menge Blut aus, das grösstenteils in seine Kleidung einsog. Ich starrte für einen kurzen Moment einfach nur den schlafenden Oikawa ein, bevor ich mein Handy aus der Tasche holte und einen Krankenwagen anrief.
„Guten Tag, (.), was ist der Notfall?", ertönte eine Stimme auf dem Hörer.
„Mein... Kindheitsfreund... er... ich weiss nicht... Blut...", stotterte ich während meine Augen immer noch gebannt auf Oikawa's Arm lag, aus dem stetig weiter Blut lief.
„Bitte etwas genauer, wo ist ihre Adresse?"
„Aoba Johsai High, Badezimmer dritter Stock, er ist in einer der Kabinen eingeschlossen... er... er verblutet, bitte kommen sie...", erklärte ich und versuchte, keine Panikattacke zu bekommen. Mein Herz schlug wie verrückt gegen meine Brust, ich konnte die unregelmässigen Schläge spüren, mein Atem ging schnell und ich starrte weiterhin auf Oikawa's Körper. Seine Kleidung war blutrot, der perfekte Gegenspieler war seine Haut, die immer blasser wurde.
„Der Krankenwagen ist unterwegs, bleiben sie dran. Kriegen sie ihren Freund irgendwie aus der Kabine heraus?"
Ich stand auf und begann wieder an der Tür zu rütteln. Den Anruf stellte ich auf Lautsprecher und legte mein Handy auf das Waschbecken hinter mir, während ich mich hinlegte.
Ich streckte meinen Arm durch den Spalt unter der Tür und bekam Oikawa's Uniform gepackt. Sofort war meine Hand rot. Langsam zog ich ihn in meine Richtung.
„Hallo?"
„Ja! Ich versuche ihn gerade rauszukriegen... vielleicht geht es...", murmelte ich.
Natürlich war Oikawa dünn, doch war er dünn genug um unter diesem Spalt durchzupassen? Vorsichtig zog ich ihn aus der Kabine.
„Und?"
„Es hat funktioniert... Oikawa!", flüsterte ich und rüttelte ihn leicht. Sein Kopf kippte zur Seite und machte beinahe Bekanntschaft mit den Fliesen.
Ich fing ihn auf und legte ihn auf meine Knie.
Ich schob seine Ärmel nach oben.
Der Anblick war schrecklich verstörend. Seine Arme waren zerschnitten, man erkannte kaum noch ein Stückchen unverletzte Haut. Unter den blutenden Schnitten waren Narben, ältere und jüngere zu sehen, beinahe vom herabfliessenden Blut verdeckt.
Ich atmete tief durch und zog meine Jacke aus, legte sie um Oikawa und hob ihn hoch.
„Ich bringe ihn nach draussen, wann ist dieser verfickte Krankenwagen hier?", fuhr ich mein Handy an.
„Er sollte jeden Augenblick aufkreuzen. Bitte bewahren sie Ruhe."
„Natürlich bewahre ich Ruhe, wäre ja nicht so als würde mein bester Freund hier wegsterben!", fauchte ich und legte, völlig ausser mir, auf.
Ich rannte die Treppen hinunter, aus der Tür und sah, wie der Krankenwagen vor dem Eingangstor parkierte. Drei Notärzte mit orangen Westen trugen eine Liege nach draussen, auf die ich Oikawa sorgfältig legte. Ich stieg hinten mit ihm ein und verdeckte mein Gesicht mit meinen Händen.
Oikawa's frisches Blut verteilte sich auf meinem Gesicht, während die ersten Tränen ihren Weg aus meinen Augen fanden.
„Keine Sorge, er wird schon wieder", versuchte ein Arzt mich zu beruhigen. Ich starrte Oikawa's geschlossene Augen an. Er war so wunderschön... wieso konnte er das nie sehen? Wieso sah er immer nur das Schlechteste in ihm... wenn er stirbt... dann ist es meine Schuld. Und ich konnte mich nie entschuldigen. Ich konnte ihm nie sagen wie toll und perfekt er doch war, wie talentiert er im Volleyball war.
„Verlass mich nicht, Tooru..."

Depressed | IwaOiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt