Kapitel 1

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„Du bringst einen heftigen Schneesturm mit dir." der Mann hinter der Bar und dem schweren russischen Akzent sah mich nachdenklich an.

Ich verzog keine Miene und starrte weiter auf das gelbflüssige Getränk in meiner Hand. „Ein Schneesturm kommt und geht wann er will." antwortete ich in russisch Und obwohl es nicht meine Muttersprache war, kam es erstaunlich flüssig über meine Lippen.

„Nun du kamst vor zwei Wochen an, genau zu dem Zeitpunkt fing der Sturm an und wütet seitdem in diesem Dorf und der Umgebung." er wusch eins der Gläser ab und nahm sich ein neues ohne groß darauf zu achten. „Was ist deine Geschichte?"

„Meine Geschichte?" ich sah den Barbesitzer düster an. Sein Bart wurde an den Rändern schon längst grau. Fältchen zierten sein Gesicht. Seine dunklen Augen wirkten vertrauenserweckend und als hätte er schon viele Geschichten mitbekommen.

„Deine Geschichte." er nickte zustimmend. „Was treibt eine Fremde in ein unbekanntes Land. In ein unbekanntes kleines Dorf wie dem hier. In einem Dorf in dem sie sich jeden Abend in diese Bar einfindet, um düster vor sich herzustarren und zu trinken. Du bist ein zu hübsches und junges Mädchen, um hier so alleine zu enden. Also frage ich dich, was ist deine Geschichte?"

Ich war ehrlich gesagt mehr überrascht darüber das er mich ein junges Mädchen nannte, als wie das er so nach meiner Geschichte fragte. Ein Wunder das er es nicht schon am ersten Abend getan hatte. Sterbliche waren manchmal einfach nur seltsam.

„Meine Geschichte..." ich nahm einen großen Schluck des Schnapses. Das liebliche brennen die Speiseröhre hinunter, war eine Genugtuung. Und dennoch wusste ich, dass man in diesen Zeiten niemandem vertrauen konnte. Untertauchen war das, was einen das Leben rettete. Untertauchen und von einem Ort zum nächsten reisen, das hatte ich in den letzten Jahrzehnten zu genüge getan. Ich hatte es satt gehabt immer an neuen Orten aufzuwachen und nicht zu wissen, wie man sich versorgen sollte oder wie ich weiterziehen sollte, wenn jede einzelne Zelle in meinen Körper nicht wollte. Und nun war ich hier. Mitten im kalten Sibirien, in einen kleine Dorf das nicht mal hundert Personen bewohnte und abgegrenzt von der Öffentlichkeit war. Hier hatte man seine Ruhe. Hier wurde ich nicht so schnell gefunden.

Ich stellte das leere Glas ab und der Barbesitzer schüttete mir direkt nach. Aufmerksam sah ich mich um. Aber die Bar war an diesen Abend nicht besonders voll. An den Rändern saßen ein paar Besucher und unterhielten sich. Niemand interessierte sich für das Geschehen hier. „...meine Geschichte ist nicht lang. Ich habe in einem großen Krieg meine gesamte Familie, mein Zuhause und Freunde verloren. Das ist alles."

„Und jetzt bist du auf der Flucht vor deinen Erinnerungen?" er lehnte sich an die Bar.

„Jeder hat seine Laster zu tragen." ich zuckte mit den Schultern. Für mich war das Thema erledigt. So nett der Barbesitzer auch zu sein vermag. In diesen düsteren Zeiten konnte ich niemanden trauen. Jeder einzelne konnte ein möglicher Angreifer sein.

„Ich habe gehört das du das alte Farmhaus am Rande des Dorfes gekauft hast." er lächelte freundlich und füllte ein weiteres Glas und stellte es mir hin. „Der geht aufs Haus, als willkommen in dieser Einöde."

„Charmant." ich nickte ihm dankbar zu.

Er lachte nun rau. „Wenn meine Frau hören würde, dass ich Charmant genannt werde, würde sie es glatt für eine Lüge halten."

„Nun, dann solltest du ihr sicherlich deine Charmante Seite mal zeigen..."

„...Valentin. Nenn mich doch Valentin."

„...okey Valentin." ich kämpfte gegen den Instinkt wieder von diesem Ort zu verschwinden. Namen hatten Macht. Ich war nicht hier um Verbindungen zu knüpfen. Ich wollte unter dem Radar bleiben. Ein Geist. Ungesehen von der Außenwelt. Einer Welt die so grausam und zerstörerisch geworden war.

Die letzte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt