27 Days

Kapitel 6

Die Nacht verschluckt die Dämmerung, und diese wiederum verschlingt uns.

Der Tross, an dessen Spitze Krvi mich festhält, bewegt sich zügig in Richtung des rätselhaften Lagers zurück. Er läuft neben mir und hält lediglich meinen Oberarm fest, selbstsicher, ganz genau wissend, dass ich mich sowieso nicht losreißen und fliehen kann. Ich verspüre den Drang, mich umzudrehen, da ich die Schritte der ganzen Personen hinter mir höre, die uns begleiten. Es ist ein wirklich unangenehmes und beunruhigendes Gefühl, und so langsam kommt es mir vor, als würde ich ihren Atem in meinem Nacken spüren. Zudem möchte ich mich nach meinem Tippgeber umsehen, der hier wohl nicht sehr geschätzt wird. Wurde er nicht sogar als "Töle" bezeichnet? Jedenfalls wäre ein ermutigendes Nicken oder ein aufmunterndes Lächeln jetzt gar nicht so schlecht, also wage ich einen Blick nach hinten.

Das Erste und Letzte, was ich hinter mir sehe, sind zahlreiche grimmige Gesichter. Dann bellt Krvi "Nach vorne schauen!" und reißt meinen Kopf herum.
Und so muss ich mit besagtem Gefühl ausharren, während ich meine Zähne zusammenbeiße und den Weg mit einem komplett anderen Gefühlszustand zurückgehen muss, als ich den Hinweg bestritten habe.

Jegliches Zeitgefühl hat mich verlassen, und daher sind wir einfach am Lager angekommen, als wir es tun, ohne das ich sagen könnte, ob es nun lange oder kurz gedauert hat, um es wieder zu erreichen. Das Erste, was ich wieder bewusst registriere, ist diese seltsame Empfindung, durch eine schwammige, leicht gallertartige, unsichtbare Wand zu gehen. Diese macht mich wieder wach und signalisiert mir, das wir am Ziel angekommen sind.
Ich sehe, wie Krvi den anderen zunickt und mich nach einem kurzen, in bekannter Manier geschnaubten "Weiter!" weiterführt, während sich der Tross auflöst und sich wieder verstreut. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Kopf noch fest auf meinem Hals befestigt sein würde, würde ich mich wieder umdrehen, daher spare ich mir den Blick nach hinten- obwohl der Drang dazu sehr, sehr stark ist. Meine Gedanken können allerdings nicht lange um den mir als einziger freundlich gesinnte kreisen, da mein Gehirn gerade mit ganz anderen, im Moment dringenderen Dingen konfrontiert wird.
Das Lager, so konnte ich bis jetzt ausmachen, besteht aus dem großen, sich mittig befindenden Lagerfeuer, dass ich ganz zu Beginn gesehen hatte, sowie aus vielen Zelten, die davon ausgehend innerhalb der Grenzen den Lagers in allen Himmelsrichtungen verteilt sind. Sie sind alle von kompakter Größe und dürften nur Platz für eine Person bieten- außer natürlich das Zelt, auf das wir gerade zusteuern. Es befindet sich in direkter Nachbarschaft zum Lagerfeuer und ich habe schon eine ungute Ahnung, wer es bewohnen könnte.

Am Eingang stoppt Krvi und damit auch mich, räuspert sich und ruft dann "Alpha?"
Die Antwort lässt nicht auf sich warten.
"Tretet ein."

Die Stimme lässt mich erschauern. Die kleinen Härchen, die meine Haut übersäen, stellen sich auf wie die Ohren eines wachsamen Wolfs.

Dieser Typ gefällt mir gar nicht.

Und ehe ich mich versehe, werde ich hineingestoßen und stehe diesem Typen gegenüber.

Er ist riesig. Ich muss meinen Kopf erst nach hinten in den Nacken legen, um ihm in sein Gesicht zu sehen, was ich sofort bereue. Es ist abscheulich. Nicht abscheulich, weil es nicht schön aussieht, sondern weil mir aus den Augen pure Boshaftigkeit und Blutrünstigkeit entgegenschlagen. Sein graues, fettiges Haar hängt ihm ungeordnet bis zu den Schultern und verbessert seine Erscheinung eindeutig nicht. Als er mich sieht, verzieht er die Miene zu einem spöttischen Grinsen. Seine Zähne sind gelb und schon fast unnatürlich spitz. Besonders seine Eckzähne sehen aus, als hätte er sie geschliffen.

"Da haben wir also unsere kleine Flüchtige. Das hat wohl nicht so gut funktioniert, ne?"

Ich versuche, meine Haltung zu bewahren und schaue ihm herausfordernd direkt in die Augen; versuche, ihn mit einem bösen Blick anzustarren, doch ich spüre, wie die feinen Muskeln in meinem Gesicht zittern. Ich balle die Fäuste zusammen, sage nichts.