Kapitel 1: Alte und neue Bekanntschaften

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Nachdem ich mehrere Minuten gesucht hatte, stand ich schließlich vor der Tür zum Klassenzimmer.
Nervös starrte ich auf die Türklinke. Irgendwie hatte ich Angst davor, was mich dort drinnen erwarten würde.

„Musst du auch da rein?", fragte plötzlich jemand hinter mir.
Ich schreckte zusammen, drehte mich um und blickte in ein rundes Gesicht, das von braunen Haaren eingerahmt war. 'Ein Mädchen!', kam mir das offensichtliche in den Sinn.
Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden und schluckte. Ich hatte noch nie wirklich den Mut gehabt, mit einem Mädchen zu sprechen. Von einem angesprochen zu werden hatte daher ebenfalls bisher nicht auf meiner Tagesordnung gestanden.
Etwas überfordert nickte ich einfach nur.
Sie lächelte mich an.
„Dann sollten wir vielleicht mal rein gehen. Wenn wir noch pünktlich sein wollen!", forderte sie mich auf.
Ich schaffte es, mich aus meiner Erstarrung zu lösen und drehte mich wieder zur Tür, legte meine Hand auf die Türklinke und drückte sie schließlich hinunter.
Ich öffnete die Tür und trat zusammen mit dem Mädchen in das Zimmer dahinter.
Dort hatten sich schon die meisten meiner neuen Mitschüler versammelt. Im Grunde genommen sogar alle, denn es waren nur noch zwei Tische unbesetzt.

Bevor ich etwas sagen konnte, hatte sich das Mädchen bereits zu dem leeren Tisch an der Seite bewegt und stellte nun ihre Tasche darauf ab.
Mein Blick wanderte zum letzten leeren Tisch an der Fensterfront und ich erstarrte erneut.
'Das darf nicht wahr sein...', dachte ich und schaffte es trotz allem mich darauf zu zu bewegen.
„Warum bin ich eigentlich ständig mit dir gestraft?!", wurde ich kurz darauf auch schon angeschnauzt.
Kacchan hatte den Tisch vor dem einzig verbliebenen leeren im Zimmer ergattert und blickte mich nun finster an.
Wie üblich zuckte ich zusammen. „Das gleiche könnte ich auch sagen...", murmelte ich ganz leise und ließ mich auf den Stuhl sinken.
„Hah?!", kam von ihm in seinem üblich aggressiven Tonfall.
Eine Gänsehaut wanderte über meine Arme. Das konnte wirklich heiter werden. „Nichts...", nuschelte ich und versuchte mich ganz klein und unauffällig zu machen. Ich wusste schon jetzt, was mir blühte, wenn ich Kacchan in die Quere kam. Was, zugegebenermaßen, überhaupt nicht schwierig war, da meine bloße Anwesenheit ihn schon zur Weißglut brachte.

Noch ehe Kacchan etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür erneut und ein Mann mittleren Alters mit schwarzen Haaren und extrem müdem Blick betrat das Zimmer.
„Mein Name ist Shôta Aizawa und ich bin euer Klassenlehrer...", murmelte er und begann daraufhin die Klassenliste auf Anwesenheit durchzugehen.
Ich versuchte zumindest ein paar Namen Gesichtern zuzuordnen. Das Mädchen, das mit mir zuletzt den Raum betreten hatte, hieß Uraraka. Dann fielen noch Namen wie Aoyama, Mineta, Kirishima und Kaminari. Nach etlichen anderen Namen schwirrte mir der Kopf und ich konnte mir nichts mehr merken, bis ein Junge aufgerufen wurde, dessen Äußeres ziemlich außergewöhnlich war.
Er hatte, von der Mitte des Kopfes aus geteilte, rote und weiße Haare sowie unterschiedliche Augenfarben. Auf der linken oberen Gesichtshälfte zierte um das türkisfarbene Auge eine große Brandnarbe sein Gesicht. Shôto Todoroki wurde er genannt.
Aufgrund seines Aussehens war es einfach, sich diesen Namen zu merken.
Er machte mich neugierig. Ob er sich die Haare gefärbt hatte? Trug er vielleicht Kontaktlinsen? In seinem Gesicht konnte ich keine Gefühlsregung erkennen. Ein seltsamer, aber interessanter Junge, fand ich.

Unbewusst strich ich mit meiner linken Hand über meinen rechten Handballen. Dort, an der Stelle, wo mein rechter Daumen aufhörte, befand sich ein kleines Muttermal, das aussah wie ein dreiblättriges Kleeblatt mit herzförmigen Blättern.
Ich hatte als kleines Kind einmal meine Mutter gefragt, was das war und sie erzählte mir damals von der Legende des roten Fadens des Schicksals und dass Gerüchte besagten, dass solch ein kleines Muttermal den Anfang markiere. Das Ende dieses roten Fadens wäre ein eben solches Muttermal einer anderen Person. Ein Muttermal, das genauso aussah wie meines.
Damals fand ich die Vorstellung, mit jemandem verbunden zu sein, beängstigend. Schließlich konnte man nie wissen, mit wem genau man durch diesen Faden verbunden war.
Meine Mutter hatte mir damals ihres gezeigt. Es befand sich hinter ihrem linken Ohr und sah aus wie der Kopf eines Teddybärs. Ich war enttäuscht darüber, dass ich nicht mit ihr verbunden war. Sie hatte damals nur gelacht, mich in den Arm genommen und gesagt: „Sei nicht traurig. Du bist bestimmt mit einem ganz wundervollen Menschen verbunden, der dich ganz doll lieb hat."
Inzwischen fand ich die Vorstellung mit jemandem auf diese Art verbunden zu sein gar nicht mehr so schlimm. Es war für mich eher geheimnisvoll und aufregend und ich war gespannt, wo mein roter Faden mich hinführen würde. Ob ich das Ende wohl bald finden würde?

Ich spürte einen brennenden Blick auf mir und blickte nach vorne, genau in Kacchans Augen.
Er sah kurz auf meine Hände, ließ ein abfälliges Murren hören und drehte mir dann den Rücken zu.
Ich blinzelte verwirrt. Irrte ich mich oder hatte er mich gerade eingehend beobachtet? Und warum hatte er auf meine Hände geschaut?
Ich blickte nun selbst auf meine Hände und musste lächeln bei dem, was ich da sah. Ich strich immer noch wie von selbst über mein Muttermal.
Dennoch wunderte es mich. Kacchan kannte es doch. Er wusste, dass ich dieses Muttermal dort hatte. Ich hatte es schließlich schon seit ich ein Baby war.
Mein Blick wanderte kurz nach vorne zu Aizawa-sensei, der vor der Tafel stand und irgendetwas organisatorisches herunter leierte. Er sah immer noch ziemlich müde aus, wenn nicht sogar noch schlimmer als zu Beginn der Stunde.
Ich sah aus dem Fenster und beobachtete ein paar Minuten die Wolken, die am Himmel entlang zogen.

„Oi, Deku! Hör auf zu schlafen!", wurde ich mal wieder angeschnauzt.
Unwillkürlich wurden meine Wangen heiß und ich sah Kacchan fragend an.
Der knurrte nur genervt und warf mir dann einige Blätter Papier ins Gesicht.
Erschrocken fing ich sie auf und blickte darauf. Es waren mehrere Exemplare eines Textes.
Ich starrte die Schriftzeichen an, sah dann zu Kacchan und wurde mir plötzlich der Blicke der gesamten Klasse bewusst.
Sofort fing mein Gesicht an zu glühen, ich schluckte und nahm mir eines der Blätter vom Stapel, reichte den Rest weiter.
„Da nun alle wieder wach sind, können wir ja endlich weiter machen...", ertönte Aizawa-senseis gelangweilte Stimme von vorne und leises Lachen ertönte von allen Seiten.
Ich machte mich in meinem Stuhl noch kleiner als ich ohnehin schon war.
Was für ein schrecklicher Einstieg! Wo war das nächste Loch, in das ich mich verkriechen konnte?!

Peinlich berührt und darum bemüht nicht mehr aufzufallen konzentrierte ich mich nun auf den Unterricht und überlebte irgendwie die restliche Zeit der Doppelstunde.
Ein melodisches Läuten verkündete das Ende der Stunde.

„Hey, kommst du nicht mit raus? Hier soll es eine super Cafeteria geben!", erklang eine Stimme direkt neben mir.
Ich hob den Kopf und sah mich im Zimmer um.
Die anderen aus der Klasse waren bereits aus dem Zimmer gelaufen und nur das Mädchen mit den braunen Haaren – Uraraka – stand noch neben mir. Fragend blickte sie mich an und lächelte.
„Ich...", begann ich.
„Ochako Uraraka. Freut mich sehr deine Bekanntschaft zu machen!", stellte sie sich vor und hielt mir eine Hand hin.
Immer noch sah ich sie an und musste dann selbst lächeln.
„Izuku Midoriya", stellte ich mich vor und schüttelte ihre Hand.
„Oh? Ich dachte, du heißt Deku-kun...", überlegte sie laut.
„Ah... nein. Izuku. Kacchan... eh... Bakugô nennt mich nur immer Deku um mich zu ärgern."
Sie grinste. „Also gut. Izu-kun. Kommst du nun mit?"
Ich blinzelte sie an und spürte, wie meine Wangen erneut heiß wurden. Izu-kun? Hatte sie mich gerade wirklich so genannt?
„Oh? Was ist? Hab ich etwas falsches gesagt?", wollte sie wissen.
Ich schüttelte schnell den Kopf und stand auf. „Nein, alles in Ordnung. Lass uns die Cafeteria unter die Lupe nehmen, Uraraka-san!"
Wieder grinste sie und gemeinsam verließen wir das Klassenzimmer.

Dieses Mädchen war seltsam. Sie war freundlich und verurteilte mich nicht. Vielleicht würde ich mich mit ihr anfreunden können.

Tbc...

Unmei no akai itoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt