Kapitel Eins

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Am nächsten Tag werde ich durch meinen Wecker aus dem Schlaf gerissen. Müde rappelte ich mich auf, ging in mein Bad und machte mich für die Schule fertig. Zu meinem Glück war es das letzte Jahr dort, dann würde ich studieren oder so, genau wusste ich es noch nicht. Als ich meine Augenringe so halbwegs überschminkt hatte ging ich in die Küche und aß schnell ein Scheibe Brot. Ich wollte nichts essen sonst hätten die anderen noch einen Grund mehr mich zu mobben. Ein Blick auf die Uhr zeigte das ich bald los müsse wenn ich nicht zu spät sein wollte. Ich lief in mein Zimmer, holte meinen Rucksack und ging mit Kopfhörern in den Ohren los.

Ich brauchte etwas über 15 Minuten ehe ich in meinem Klassenraum ankam. Ich setzte mich nach hinten an einen Einzelplatz und holte meine Sachen heraus. Da ich noch ein wenig Zeit hatte, weil der Lehrer noch nicht da war holte ich mein kleines Notizbuch aus meinem Rucksack und schlug eine neue Seite auf. In diesem Buch hatte ich Songtexte und Ideen aufgeschrieben. Mein einziges Hobby war das Rappen. Nebenbei spielte ich auch Klavier aber noch nie hatte ich vor Publikum gespielt, das konnte ich einfach nicht. Gedankenverloren fing ich an ein paar Reime aufzuschreiben. Sie klangen so sehr nach mir, sie waren kalt, depressiv, gefühllos. Ich will nicht das jeder erfährt wie kaputt ich bin, deshalb sprach ich nicht mehr. Seid Monaten hatte ich in der Schule kein einziges Wort gesagt. Zuhause war ich meistens eh allein also sprach ich auch dort nicht. Nur wenn ich rappte kamen Worte aus meinem Mund. Meine Eltern waren meistens Arbeiten oder sonst wo, mich hatten sie wahrscheinlich schon lange vergessen oder ich war ihnen einfach nicht wichtig. Wahrscheinlich zweiteres. Mein Blick schoss hoch als ich einen Knall von vorn wahrnahm. Unser Lehrer war eingetroffen und hatte seine Bücher auf den Tisch geschmissen damit die Klasse das Reden einstellte. Schnell packte ich mein Notizbuch und meine Tasche und widmete mich dem Unterricht.

Ich war ohne Frage gut in der Schule allerdings hatte ich auch sonst nie etwas zu tun also vertrieb ich mir die Zeit mit lernen. Die Stunde zog sich nicht so lange hin wie ich es mir erhofft hatte, unser Lehrer machte sogar Fünf Minuten früher Schluss. So langsam wie möglich packte ich zusammen. Mein Notizbuch hatte ich sofort in mein Geheimfach gepackt, ich hatte es extra dafür eingenäht, oder nähen lassen. Ich schulterte meinen Rucksack und verließ als letzter den Raum. Aber kaum war ich draußen wurde ich gegen die Wand gestoßen und sah das Gesicht von Lucas. Er war der Anführer meiner Mobber. Wie sonst auch fing er an mich zu schlagen und zu treten. Ich wehrte mich nicht einmal mehr, warum auch? Ich war doch eh schon zerbrochen also warum sollte ich mich noch schützen? Regungslos lag ich auf dem Boden und ließ es einfach über mich ergehen. „Bist echt zu dumm dich zu wehren? Man bist du 'ne Schwuchtel!" Immer wieder trat er mir in den Magen. „So eine Missgeburt wie dich sollte man abtreiben, das ist ja abartig!" Immer wüster beschimpften sie mich, doch ich hörte nicht zu. Sie sagten immer wieder das gleiche, es ergab keinen Sinn ihnen zu widersprechen. Ein letztes mal hörte ich die Lache von Lucas ehe ich einen Tritt ins Gesicht abbekam und alles schwarz wurde.

Als ich das nächste mal meine Augen aufschlug fand ich mich weiterhin auf dem Boden im Schulflur wieder. Ich setzte mich langsam auf und stand auf, lehnte mich aber an der Wand ab anderenfalls wäre ich wieder zusammengebrochen. Mein Kopf pochte und aus meiner Nase floss Blut. Ich stolperte zur Toilette, stütze mich am Wachbecken ab und sah in den Spiegel. Meine Augen waren rot, genau wie meine Nase. Schnell holte ich ein paar Tücher aus dem Spender an der Wand und hielt sie mir unter die Nase. Dann zog ich langsam meinen Pullover hoch und sah auf meinen Bauch. Er war blau, violett und schwarz, die Blutergüsse verteilten sich über meinen gesamten Bauch bis hoch zu meinem Brustkorb und weiter zu meinen Nieren. Jede Bewegung schmerzte und ich sah immer noch kleine, schwarze Punkte. So schnell es ging lief ich zum Sekretariat, meldete mich krank und ging nach Hause. Es war gerade einmal halb Eins, ich war knapp zweieinhalb Stunden ohne Bewusstsein gewesen. Das ich niemandem aufgefallen war überraschte mich nicht, ich war halt unwichtig. Mir wollte keiner helfen. Als ich aus der Schule trat ballten sich über mir dunkle Gewitterwolken auf. Mir war es egal ob es regnete oder nicht, ob ich nass wurde oder nicht. Mit schweren Schritten ging ich zu mir nach Hause, nach kaum Zwei Minuten fing es auch schon an zu Gewittern. Es goss wie aus Eimern, doch trotzdem wurde ich nicht schneller. Mein Rucksack konnte es ab, er war Wasserabweisend und mir war es wie gesagt scheiß egal. Es brauchte nicht lange und ich war komplett durchnässt. Nach knapp einer halben Stunde war ich dann zuhause. Meine Klamotten klebten an mir fest und zogen mich nach unten, meine Lippen waren blau und kalt. Ich legte meinen Rucksack auf die Heizung und ging mit frischen Sachen ins Bad wo ich duschte. Mein Körper war fast vollständig taub, die Haut blass und kalt, die Wunden sah ich, spürte sie allerdings nicht mehr.

Es war halb Drei als ich ich auf mein Bett legte, nachdem ich fertig mit duschen war hatte ich mich um meine Schulsachen gekümmert und noch etwas gelernt. Und jetzt lag ich hier und starrte an die Decke, ich trug eine schwarze, weite Jogginghose und einen ebenfalls schwarzen Hoodie. Auch der schlackerte um meinen hageren Körper. Ich wusste das ich zu dünn war aber wenn ich mehr essen würde hätte Lucas noch einen weiteren Grund mich zu erniedrigen. Also aß ich kaum und machte mehr Sport. Ich drehte den Kopf langsam zu meinem Nachtschrank. Ich setzte mich auf und griff in die Schublade. Ich holte ein kleines Kästchen heraus, lange sah ich es einfach nur an. Dann öffnete ich es und griff nach dem einzigen Gegenstand der sich in ihr befand. Ich drehte ich langsam hin und her. In der Hand hielt ich eine Rasierklinge. Ich schob meinen Pullover hoch und setzte an meiner Rippe an. Dort sieht es keiner und ich kann auch im Sommer noch kurze Sachen tragen, was ich zwar nicht tat aber das war ja egal. Ich schloss meine Augen und zog durch. Ein brennender Schmerz breitete sich in mir aus, schon lange waren die Schnitte mehr als nur das zerkratzen meiner Haut, sie waren tief einige sogar verdammt tief. Ein einzelne Träne rann meine Wange herunter. Ich schnitt noch einmal und noch einmal und so oft das ich aufhörte mitzuzählen. Inzwischen hatte ich angefangen hemmungslos zu weinen. So ungefähr lief es immer ab, ich kam nach Hause, machte etwas für die Schule und brach zusammen. An besseren Tagen rappte ich noch etwas. Doch jetzt lag ich nur hier und hoffte das es endlich vorbei wäre. Mein Kopf schmerzte noch immer. Aber ich konnte es mir nicht leisten einfach liegen zu bleiben. Ich zwang mich also dazu aufzustehen und zu meinem Sportraum zu gehen. Ich schaltete leise Musik an und fing an zu trainieren. Mein gesamter Körper schmerzte und des öfteren wurde mir schwarz vor Augen aber ich durfte nicht aufhören. Ich wärmte mich etwas auf, begann dann mit ein paar Kraftübungen und ging zum Schluss an meinen Sandsack. Ich fing erst mit leichten geraden Händen an, steigerte mich dann allerdings vollkommen rein und prügelte nach kurzer Zeit einfach nur auf den Boxsack ein. Wieder rannen mir Tränen übers Gesicht, ich ließ im Moment einfach alles raus, all diese Gefühle und Emotionen welche ich jeden Tag hinter meiner großen Mauer versteckte und in mir einsperrte.

Nach eineinhalb Stunden verließ mich auch die letzte Kraft und ich sank zu Boden. Mein Blick glitt zu meinen Fäusten, meine schwarzen Bandagen waren Blutgetränkt, meine Knöchel aufgerissen und meine Hände zitterten wie Blätter im Wind. Ich stand auf, nahm mein Handy, schaltete die Musik aus und ging ins Bad. Das zweite Mal an diesem Tag ging ich duschen und verarztete danach meine Hände. Ich desinfizierte meine Wunden, legte aber nichts darauf. Pflaster würden nicht halten und ich hatte keine Lust mit zwei bandagierten Händen rum zu laufen. Also ließ ich meine Verletzungen einfach in Ruhe, ging in mein Bett und versuchte einzuschlafen.

I know that....but it hurts...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt