Kapitel 5

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Als ich am unteren Ende der Treppe angekommen bin, sehe ich schon meine Mum in der Küche, mit verschränkten Armen und wütendem Blick, stehen. Allein durch diesen Anblick läuft es mir kalt den Rücken runter.
Mum: »Lena Schmidt, was denkst du eigentlich wer du bist. Sam und Marvin haben dir absolut nichts getan und du schreist sie grundlos und aufs Übelste an. Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich geschämt habe, als Adriana meinte, dass es wohl besser wäre zu gehen. Manchmal glaube ich, dass du ein Fehler warst. Und womöglich der größte Fehler, den ich je begangen habe. Wenn ich die Zeit zurück drehen könnte, würde ich dich abtreiben.«
Ihre Worte treffen mich mitten ins Herz. Ich bin den Tränen nah, doch ich werde mir niemals wieder die Blöße geben und ihr zeigen, wie sehr mich das Alles verletzt.
Mum: »Ich wünschte, ich hatte dich zur Adoption frei gegeben oder du hättest eine schwere Krankheit, die dich nicht mehr lange leben lässt.«
Lena: »Warum hast du es denn nicht getan? Warum hasst du mich so. Was hab ich dir getan.«
Mum:»Was du mir getan hast...Was du MIR getan hast. Ich hab dich groß gezogen und benimmst unverschämt und ohne jeden Respekt gegenüber mir und deinem Vater. Hast du jemals daran gedacht, wie wir uns fühlen, wenn du wieder und wieder Dummheiten machst. Ich habe dich zu einem perfekten Wesen erzogen, doch du denkst, du müsstest deinen eigenen Kopf haben, deinen eigenen Weg finden. Du lehnst dich gegen mich auf, dabei hast du absolut nichts mit zu reden.«
Lena:»Aber ist es nicht der Wusch von jeden Eltern, dass das Kind irgendwann auf eigenen Beinen steht und seinen eigenen Weg findet.«
Mum:»Sicherlich, aber nur, wenn sich das Kind auch benimmt. Und zudem wäre es mir lieber, du wärst nicht mein Kind. Du kannst nichts, du leistetest nichts und du liegst mir nur auf der Tasche. Ich wünschte, du wärst tot oder erst gar nicht geboren worden.«
Lena:»Ja, das wäre wahrscheinlich für alle Beteiligten besser!«
Mit diesen Worten drehe ich mich um und bewege mich zum Gehen.
Mum:»Lena Schmidt, du denkst doch jetzt nicht ernsthaft, dass du gehen könntest. Ich bin noch nicht fertig!«
Doch ich laufe weiter und ignoriere ihre Worte. Und noch immer halte ich die Tränen zurück. Sie soll niemals wieder sehen, wie sehr mich ihre Worte treffen. Doch dieses mal, war es schlimmer als jemals zuvor.
Ich setze mich auf mein Bett und versuche alles auszublenden, ihre Worte hallen dennoch immer wieder in meinem Kopf nach.
...Ich würde dich abtreiben...dich zur Adoption frei gegeben...eine schwere Krankheit, die dich nicht mehr lange leben lässt....Ich wünschte du wärst tot...
In ihren Sätzen liegt so viel Hass, der mich in diesem Moment so sehr trifft, wie noch nie. Die erste Tränen, dich ich versuchte aufzuhalten, lief meine Wange hinab und mit ihr schien ein Damm in mir gebrochen. Ich fang an zu schluchzen und die Tränen laufen unaufhaltsam weiter.
Die Stimme in meinem Kopf erscheint wieder. Ich hatte sie in solchen Momenten schon öfter gehört und gab ihr bald auch einen Namen...Noe.
Noe:»Du weißt, dass sie Recht hat. Niemand liebt dich und jeder wird dich verlassen. Jeder. Sophie war erst der Anfang.«
Ich schließe die Augen, meine Tränen laufen immer weiter. Bald würde ich schon keine Luft mehr bekommen. Doch das ist mir gerade egal.
Noe:»Du kannst nichts und wirst auch niemals etwas können. Du bist ein Nichts. Niemand wird dich jemals mögen, geschweige denn lieben. Alle werden dich verlassen und du bist selber Schuld.«
Die innerlichen Schmerzen, die ich spüre, während sie das zu mir sagt, sind schrecklich zu ertragen und mit keinem Wort zu erklären. Wenn ich es erklären müsste, würde ich sagen, es zerreißt mich innerlich. Dazu kommt noch ewige Einsamkeit.
Noe:»Du machst alles kaputt und allen in deinem Umfeld geht es schlecht, weil du am Leben bist. Du solltest gehen, damit hier endlich Ruhe einkehrt. Du bist nur eine Last. Stirb endlich!«
Diese Worte wiederholt sie immer und immer wieder, bis ich selber glaube, was sie da sagt. Und sie hat ja auch irgendwo Recht. Es ist meine Schuld und jeder wäre ohne mich besser dran.
Die Worte meiner Mutter kamen mir wieder in den Sinn
...Ich wünschte, du wärst tot...
In diesem Moment wüsche ich mir selber so verdammt sehr, zu sterben. Das alles hier nicht mehr ertragen zu müssen.
Ich fing an, mich selbst zu verlieren. Kämpfen wollte und konnte ich nicht mehr und es schien so, als würde Noe meinen Körper übernehmen. Ich fühle nichts mehr, auch die Tränen hörten nun endlich auf, meine Wangen hinab zu laufen.
Ein Gedanke taucht in meinem Kopf auf. Es war nicht mehr als ein Wort.
...Lebe...
Aus diesem Wort schöpfe ich viel Kraft, doch Noe beherrscht noch immer meinen Körper.
Wie in Trance stehe ich auf und hole die Erinnerungskiste von Sophie hervor. Noe fängt an zu Grinsen, doch ich habe einen Plan, sie wieder in meinen Kopf einzusperren.
Ich nehme die Klinge heraus und drücke sie auf meinen Arm. Die Stelle, an der die Klinge meinen Arm berührt, zieren mehrere Narben. Viele alte, doch auch mehrere neuere. Ich schließe die Augen, verstärke den Druck der Klinge und schneide mich. Immer wieder und wieder zertrennt die Klinge meine Haut. Augenblicklich fließt Blut heraus und ich spüre den Schmerz. Noe ist vorerst weg. Zurück bleibt nur der pochende Schmerz meiner Schnitte und die ewige Leere. Mein Blut läuft schnell meine Hand herunter und tropft auf meinen Boden. Ich setze mich auf die Kante meines Bettes und schaue zu, wie das Blut weiter aus der den Wunden heraus quillt und meine Hand hinab läuft. Einige Zeit verstreicht, in der ich einfach so sitzen bleibe. Wie lang genau, weiß ich nicht.
Als es aufhört zu bluten, gehe ich in mein Bad und wasche das getrocknete Blut vorsichtig ab. An manchen Stellen der Schnitte brennt es und ich ziehe scharf die Luft ein. Daran werde ich mich nie gewöhnen.
Danach verbinde ich meinen Arm, lege mich in mein Bett und lass den Gedanken freien Lauf.

Das Leben ist scheiße...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt