🌸 Kapitel 4 🌸

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Hinter dunklen Vorhängen

Kaum hatte Noemi den Stand erblickt, löste sich der unerträgliche Hunger, der sie noch vor wenigen Sekunden geplagt hatte, in Luft auf

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Kaum hatte Noemi den Stand erblickt, löste sich der unerträgliche Hunger, der sie noch vor wenigen Sekunden geplagt hatte, in Luft auf. Mit geweiteten Pupillen deutete sie auf die lilanen Tücher, dabei kam sie Leos Gesicht aufdringlich nahe.
,,Bitte, bitte, bitte!", quengelte sie, ,,Willst du denn nicht auch wissen, wie deine Zukunft aussieht? Und wie oft trifft man schon auf ein echtes Medium?"

Leo rang um Fassung. Falls es doch so etwas wie einen Gott geben sollte, hatte er heute einen Heidenspaß damit, ihr mehr und mehr Steine in den Weg zu legen und darüber zu lachen, wie sie zwischen ihnen hin- und herstolperte.
,Schlimmer kann es gar nicht mehr werden', dachte sie.
,,Man trifft nie auf ein echtes Medium. Und warum? Weil es so etwas wie echte Medien nicht gibt - außer, du sprichst von den sozialen - und die sind virtuell. Schon allein der Name Madame Roswitha schreit doch förmlich nach rumänischer Halsabschneiderin. Das ist eine einzige Bauernfängerei, die auf naive Menschen abzielt. Auf Leute, die den Lauf der Dinge nicht erwarten können, weil sie zu faul sind, um in der Gegenwart auf ihre Ziele hinzuarbeiten. Wer hört denn nicht gern, dass er in einigen Jahren seine große Liebe findet oder sich unerwartet eine berufliche Aufstiegsmöglichkeit ergibt. Wenn der Preis stimmt, erzählen dir diese Hochstapler alles, was du hören möchtest. Ich für meinen Teil stelle mich in der Gegenwart in die Schlange vor ,,Lucky Wok", um in der Zukunft Asianudeln mit Ente essen zu können! Kommst du?"

Widerstrebend folgte Noemi ihr. An der Art, wie sie gleich einer Sprungfeder unruhig auf und ab wippte, erkannte Leontien, dass ihre Freundin die Schlacht noch nicht verloren geben wollte. Noemi presste unter Aufbietung ihrer ganzen Selbstbeherrschung die Lippen zusammen, um nichts zu sagen, während sie im Tempo eines fußkranken tibetanischen Mönchs zum Bestellschalter vorrückten. Leo gab ihr noch maximal fünf Sekunden.
,,Das ist nicht fair!", platzte es bereits nach vier Sekunden aus ihr heraus, ,,Schließlich bin ich auch mit dir das Kochbuch und die Bierdeckel kaufen gegangen! Und Klavier spielen wolltest du auch nicht. Den Gefallen könntest du deiner besten Freundin schon tun. Bitteeee!", sie zwirbelte eine Locke zwischen den Fingerspitzen und schenkte ihr den patentierten Hundeblick™. Jeder andere wäre bei diesem Blick schwach geworden. Aber Leontien war nicht wie andere. In ihrem Kopf hatte sie bereits einen festen Plan ausgearbeitet, wie der Tag ausklingen sollte: Mit den Asianudeln würden sie und Noemi sich an ihren Stammplatz setzen, einer kleinen Nische vor den Fenstern mit Blick auf das riesige Verkehrsrondell; sie würde ihrem ganzen Frust über ihren Stiefvater und dessen Sohn Luft machen, und dann würde sie nach Hause fahren, um die Geschenke einzupacken.
,,Wenn du unbedingt eine Zukunftsprognose haben möchtest, kann ich dir eine geben - kostenlos und mit hundertprozentiger Eintrittswahrscheinlichkeit."
Sie schloss die Augen, wiegte sich hin und her - eine lebende Wasserpflanze - und verkündete mit bedeutungsschwangerer Stimme: ,,Oh, mystische Macht, komme über mich! Da! Mein drittes Auge sieht etwas! Ganz deutlich! Ich sehe, ... dass ich nie im Leben auch nur einen Fuß in dieses ranzige Schwindler-Tipi setzen werde!"
Sie öffnete die Augen. ,,Zufrieden?"
,,Nein", antwortete Noemi, aber es war offensichtlich, dass sie sich, wie so oft, geschlagen geben musste.

Afterlife - Flucht vor dem TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt