Unter zwei Bedingungen
Die eisblauen Augen des Schattens brannten sich in ihre. Sie blitzten wie zwei Saphire aus den dunklen Löchern seiner Maske. ,,Es hat keinen Zweck wegzulaufen, ma veuve noir ...", säuselte seine Stimme in ihrem Kopf, ,,Glaubst du, du könntest dich vor mir verstecken?" Plötzlich änderten sich seine Gesichtszüge, verschmolzen wie warmes Wachs mit der Maske und bildeten Noemis freundliches Gesicht. Ihre unschuldigen Augen flehten Leontien an, zu ihr zurückzukommen. Im nächsten Moment starrte sie in Jaspers arrogante Visage. Dann verschwamm alles in einem Gemisch, das mit dicken Regentropfen an der Windschutzscheibe ihres Peugeots 107 herunterlief. Sie streckte die Hand aus, um auf den Knopf des Radios zu drücken. Erst hörte sie nur ein Störgeräusch, doch das Rauschen wich nach und nach einer Gänsehaut-erzeugenden Melodie:
Dein Tod steht bevor, doch du darfst nicht sterben.
Wirst du es tun, liegt die Welt in Scherben.
Entscheide richtig und sei auf der Hut,
die Zeit läuft ab und bald dein Blut.In diesem Moment drang durch die Lüftung Sand in den Innenraum des Fahrzeugs. Die feinen Körner färbten sich mit jedem Ton dunkler. Blutrot.
Vier Reiter werden über uns richten,
was dein Tod begann, wird alles vernichten.
Nur Eines erlöst uns von der Qual:
Bei größter Not die richtige Wahl.Leo schreckte hoch. Der letzte Ton der schaurigen Melodie verklang, und sie sah sich zitternd um. Das war nicht ihr Dachbodenzimmer. Wo war sie? Der flackernde Schein der Fackeln brachte die Erinnerungen zurück. Alles war real. Ihr Tod, der Sand in ihrer Reflexion, der Schatten, Himmel und Hölle. Es dauerte einen Augenblick, bis sie sich wieder gefangen hatte.
Während sie die fliederfarbene Bettdecke zurückschlug und aufstand, dachte sie an Eva, die sie in diese Höhle verschleppt hatte. Aus einem unerfindlichen Grund, brauchte sie Leo, um aus ihrer Verbannung zu entkommen und die Herrschaft über das gesamte Jenseits zurückzuerlangen.
,C'est fou!', dachte Leontien und näherte sich der Felswand, in deren Stein mehrere Ausbuchtungen gehauen worden waren, ,Mein ganzes Leben lang war ich so sicher, dass der Glaube nichts weiter ist, als eine Rechtfertigung für Unterdrückung und Ignoranz. Und jetzt muss ich feststellen, dass selbst die Geschichte von Adam und Eva wahr ist.' Dazu fiel ihr ein Zitat Sherlocks ein: ,,Wenn Du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann ist das, was übrig bleibt, die Wahrheit, wie unwahrscheinlich sie auch erscheinen mag". Und es war unmöglich, dass ihr Gehirn dieses Szenario selbst erschaffen hatte, das stand fest. Schlussfolgerung: Sie lag nicht im Koma, sondern war wirklich der ,,Gast" der ersten Frau der Menschheitsgeschichte.
Die Einbuchtungen im Fels entpuppten sich als eine Art steinerner Schrank. Leontien griff wahllos in eines der Fächer und zog ein bodenlanges Kleid aus einem eigenartigen Material heraus, das an Schlangenhaut erinnerte. Jenseits hin oder her – das würde sie nicht anziehen! Sie faltete es wieder ordentlich zusammen und legte es auf den Boden. Nacheinander beförderte sie ein rückenfreies Kleid aus Spinnengewebe, einen langen Umhang, der den Anschein erweckte, ein Eigenleben zu führen, und einen Sari aus leuchtenden Fäden hervor, bis sie endlich etwas fand, das einigermaßen praktisch aussah, ohne an wesentlichen Stellen Haut zu zeigen: Einen Ganzkörper-Jumpsuit aus schwarzem Leder. Leo zwängte sich hinein und er war überraschend bequem. Die Alternative dazu wäre eine Reihe von Anzügen gewesen. Eva hatte anscheinend nicht gewusst, ob die gesuchte Person männlich oder weiblich sein würde, und hatte deswegen alle möglichen Vorkehrungen getroffen. Leo wurde klar, dass Eva jede Aktion, ja vielleicht sogar jedes Wort, akribisch geplant hatte: Von der Massenpanik in der Empfangshalle, über den Versuch, sie mit Nahrung an die Unterwelt zu binden, bis hin zu ihrem Seelenbad. Sie hatte gewusst, dass die Energie des Bades Leontien leichtsinnig machen würde, hatte geschickt dafür gesorgt, dass sie sich wohl fühlte, nur um sie dann in diese Unterwasserhöhle zu ziehen, aus der sie aus eigenem Antrieb nicht mehr entkommen konnte. Sie saß in der Falle, und logisch betrachtet blieb ihr nichts anderes übrig, als Evas Angebot anzunehmen.
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Afterlife - Flucht vor dem Tod
Paranormal🔮Dein Tod steht bevor, doch du darfst nicht sterben. Wirst du es tun, liegt die Welt in Scherben. Entscheide richtig und sei auf der Hut, die Zeit läuft ab und bald dein Blut.🔮 Sie soll sterben und damit die Apokalypse auslösen? Das klingt für d...