Amnesie und Armageddon
Wie ein dünner Wasserfilm lag die Kälte des Portals auf ihrer Haut. Sein überirdisch blaues Licht erhellte ihren Rücken und die Osterglocken und Tulpen zu ihren nackten Füßen. Leontien drehte sich um, die verschwommene Silhouette von drei Personen war wie durch einen Schleier auf der anderen Seite zu erkennen. Adrenalin strömte durch jede Faser ihres Körpers, ihre Pulsschlagader pochte im Takt ihres zu schnell schlagenden Herzens. Schreie und Verwünschungen hallten in ihren Ohren nach, ihr war schwindelig und übel. Das Portal wurde immer kleiner, die Schemen auf der anderen Seite bewegten sich hektisch, verschwammen bis keine klaren Linien mehr erkennbar waren und schließlich erstarb auch das fluoreszierende Blau.
Mit dem Schimmer war auch das Übernatürliche verschwunden und ließ sie allein und verwirrt zurück. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, ihre Hände zitterten und ihr Bauch rumorte. Abgesehen von der Übelkeit durchströmte Leontien ein merkwürdiger Cocktail aus Empfindungen. Gelb blubberndes Hochgefühl mischte sich mit erstickender blauer Sehnsucht, als hätte sie etwas Großes erreicht, ein Ziel auf das sie lange hingearbeitet hatte, aber dafür einen geliebten Menschen zurückgelassen.
Sie konnte diese Gefühle nicht einordnen, geschweige denn erklären. Könnte sie doch nur einen klaren Gedanken fassen!
Doch nichts Greifbares wollte durch die Nebelwand dringen, die ihren Geist umhüllte. Eine mentale Mauer blockierte sie.Mit gehetztem Blick scannte sie ihre Umgebung ab:
Alles war menschenleer, still und unheimlich. Sie selbst stand auf der bepflanzten Anhöhe einer Verkehrsinsel und überblickte verlassene Straßen. Autos standen verwaist am Straßenrand, der rote Opel Corsa, der auf dem Lidlparkplatz zu ihrer Rechten abgestellt worden war, wirkte verloren wie eine Blume auf einem verdorrten Acker. Die Scheiben des Supermarktes waren eingeschlagen und an manchen Stellen notdürftig mit Pappe ausgebessert worden.
Was hatte sich hier ereignet?Bei dem Anblick dieser Geisterstadt - ihrer Stadt - die sie etwas zu stark an ,,The Walking Dead" erinnerte, verflogen alle Glücksgefühle, die noch vor einigen Sekunden unerklärlicherweise aufgetaucht waren wie aufgescheuchte Krähen beim Schuss des Jägers. Nur die Verwirrung blieb. Leontien ballte die Fäuste zusammen, als ein stechender Schmerz durch ihre linke Wade fuhr.
Fluchend schleppte sie sich von der Verkehrsinsel und ließ sich mit dem Rücken an den grünen Metallzaun sinken, der den Parkplatz begrenzte. Ihr Atem ging immer noch stoßweise und ihre Lunge brannte, als hätte sie einen 400 Meter Sprint hinter sich. Immer wieder schaute sie nach rechts und links, um sicherzugehen, dass nicht doch noch ein Zombie hinter einer Ecke lauerte oder auf sie zuwankte, um seinen toten Körper an ihrem frischen Fleisch zu nähren.
Als sie an sich herabsah, um zu sehen, woher der Schmerz kam, fiel ihr ihre Kleidung auf:
Sie trug einen ockergelben Sack, jedenfalls augenscheinlich. Am Kragen des kratzigen Leinens waren kleine umgedrehte Kreuze eingestickt und statt Ärmeln hatte er Armschlitze an den Seiten. So etwas würde sie normalerweise nur anziehen, wenn ihre Mutter ihr mit einer saftigen Taschengeldkürzung drohen würde oder damit, dass sie sonst ihre kleinen Brüder babysitten müsse. Nein, eigentlich nicht mal dann. Doch das war nicht das Beunruhigendste: Große Risse klafften im Stoff, als wäre er von Krallen zerfetzt worden. Das Blut, das aus Kratzern an ihren Armen und drei fingerlangen Schnitten an ihrer Wade austrat war nicht rot, sondern silbrig-rosa, färbte sich aber mit jedem verstreichenden Moment dunkler.
DU LIEST GERADE
Afterlife - Flucht vor dem Tod
Paranormal🔮Dein Tod steht bevor, doch du darfst nicht sterben. Wirst du es tun, liegt die Welt in Scherben. Entscheide richtig und sei auf der Hut, die Zeit läuft ab und bald dein Blut.🔮 Sie soll sterben und damit die Apokalypse auslösen? Das klingt für d...