🌸 Kapitel 12 🌸

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Der Fluss der Toten

Der Fall durch das Portal dauerte nur einige Sekunden, war aber äußerst unangenehm

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Der Fall durch das Portal dauerte nur einige Sekunden, war aber äußerst unangenehm. Das übelkeiterregende Gefühl erinnerte Leontien an den Freefall-Tower des Movieparks. Damals hatte Leontien ausnahmsweise Noemis Drang nach verrückten spontanen Aktionen nachgegeben und diese Entscheidung hatte sie bitter bezahlen müssen: Mit einem ganzen Nachmittag über der versifften Kloschüssel des Freizeitparks.

Sie kämpfte den Brechreiz herunter, während der Hüne sich mit ihr in Bewegung setzte. Bei diesem Geschaukel wurde man ja seekrank. Wäre sie nicht so erschöpft gewesen, hätte sie sich sicherlich gewehrt. Doch jetzt, da alles Adrenalin abgebaut war, fühlte sie sich unglaublich müde und schlapp. Sie hatte schrecklichen Durst. Leo musste sich geschlagen geben; sie konnte einfach nicht mehr. Immer wieder fielen ihr die Augen zu. Um nicht einzuschlafen, zwang sie sich, ihre Umgebung wahrzunehmen.

Die eisige Kälte drang bis in ihre Knochen und ließ ihre Zähne bei jedem Atemzug schmerzen. Wie gern hätte sie das papierdünne Hängerchen wieder gegen ihren Skifreizeit-Pullover eingetauscht. Die feuchte Luft roch nach Schwefel und Moder. Leo hatte irgendwo mal gelesen, dass Kalkgestein des öfteren Pyritanteile besaß, die bei der Oxidation einen solchen Gestank verursachten. Vielleicht waren sie ja in einer Art Höhle? Die Schritte ihres Entführers hörten sich jedenfalls so an, als würde er über nassen Stein laufen. Von dem Geräusch der Schritte abgesehen, war es bedrückend still. Totenstill.

Durch die Stille schoben sich ungewollte Bilder in ihr Bewusstsein. Bilder, die sie zuvor dank des ganzen kranken Mists; der Reflexionen, riesigen Sanduhren, Teufelszahlen, seelensaugenden Zombies, goldenen Armbänder und beängstigenden schwarzen Reiter hatte unterdrücken können. Die aufkommenden Erinnerungen stachen wie Dolche mitten in Leontiens Herz. Noemis braune Rehaugen. Was sie wohl gerade machte? Der Ausdruck auf Anaïs Gesicht, als sie ihr sagte, sie wäre ein schlechter Mensch. Hatte überhaupt schon jemand von ihrem Tod erfahren? Jörges vor Schock geweitete Augen, als sie ihm die Kette entgegenschleuderte. Wie lange war es nun schon her? Drei, vier Stunden? Die Scheinwerfer des Autos kurz vor dem Aufprall.

Und das war der Moment, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatte. Die Erkenntnis schlug wie eine Faust in ihr Gesicht. Sie war tot. Wirklich und wahrhaftig tot. Ihr Körper lag wahrscheinlich noch auf der nassen Straße oder vielleicht auch schon in der Leichenhalle, der Kopf aufgeplatzt wie eine reife Tomate.

Dieser Gedanke war zu viel. Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie übergab sich. Der Hüne zuckte nicht einmal mit der Wimper, er schritt einfach mit grimmigem Gesicht voran.
Gerade, als Leontien dachte, dass sie es keine weitere Sekunde mehr in dieser Position aushalten würde, setzte er sie ab. Da alles Blut aus ihren Beinen gewichen war, knickten sie unter ihr weg wie die eines unbeholfenen Rehkitz. Ihr Entführer schnaubte. ,,Und wegen dir habe ich mich mit dem Schatten angelegt?"
Das Blut schoss prickelnd in die Adern zurück und Leo richtete sich mit vor Unbehagen verzerrtem Gesicht auf. Sie hielt es für klug zu schweigen.

Afterlife - Flucht vor dem TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt