"Was siehst du?"
"Einen Jungen mit blauen Augen und braunen Haaren."
"Was siehst du?"
"Er trägt ein blaues Oberteil, er lächelt etwas, in seinem Mund hängt eine Zigarette. Er hat große Pupillen, vielleicht ist er auf Drogen."
"Ist er. Was siehst du?"
"Einen Jungen, hab ich doch gesagt."
"Siehst du mehr?"
"Er ist vielleicht 17."
"Sag mir, was du siehst."
"Ich sehe einen Jungen, der Drogen nimmt. Er sieht durch aus, als wäre er fertig mit der Welt. Vielleicht liegt es an den Drogen."
"Wieso nimmt ein Mensch Drogen?"
"Spaß."
"Sieh' ihn dir an, sieht das nach Spaß aus?"
"Nein."
"Wieso nimmt ein Mensch Drogen?"
"Flucht. Kompensation."
"Wovor sollte man flüchten? Er hat doch alles, was man braucht."
"Vor sich selbst."
"Er ist zufrieden mit sich, das denkt er zumindest. Was siehst du?"
"Einen Jungen, der sich einredet, glücklich zu sein und sich mit Drogen zu bereichern, obwohl er sich in sie flüchtet, obwohl sie ihn kaputt machen."
"Wieso tut er Dinge, die ihn kaputt machen?"
"Weil es ihm egal ist."
"Wieso tut er Dinge, die ihn kaputt machen?"
"Weil er unzufrieden ist."
"Was siehst du?"
"Kompensation. Selbstzweifel. Einen Jungen, der sich in die Drogen flüchtet, ohne es zu merken. Einen Jungen, der sich einredet, selbstbewusst zu sein, der sich einredet, zu leben, etwas zu erleben, doch er lebt nicht, er flüchtet sich in exzessives Verhalten. Das Gegenteil von Leben. Die Flucht."
"Was siehst du?"
"Unsere Gesellschaft. Viele Leute sind so."
"Wieso?"
"Weil wir uns in ein System pressen, dass uns kaputt macht."
"Was siehst du?"
"Ich sehe die Augen eines Jungen, der Angst hat, in dem System unterzugehen und sich deswegen einredet, seine Existenz habe einen Sinn. Er redet sich ein, er sei reflektiert und er würde leben, doch er flüchtet sich nur aus der Realität durch Drogen und bildet sich etwas darauf ein, um seinem Leben einen höheren Wert zu geben, als das der Anderen. Um nicht unterzugehen, um was besonderes zu sein, weil er in sich nichts besonderes sieht, weil er sich minderwertig fühlt."
"Was siehst du?"
"Unsere Gesellschaft. Ein sich selbstzerstörendes Konstrukt voller Hilflosigkeit, Minderwertigkeitskomplexen und Flucht vor sich selbst."
"Was siehst du?"
"Mich selbst. Ein Opfer der Gesellschaft."
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Verblendete Welt.
Poetry"Was siehst du?" "Eine Gesellschaft, die rennt und rennt, vor sich selbst, weil sie sich selbst kaputtmacht und nicht ausbrechen kann."