"Was siehst du?"
"Einen Mann in schwarzem Anzug und Krawatte."
"Siehst du mehr?"
"Im Hintergrund stehen andere Männer, die irgendwas machen. Da sind Zahlen und Diagramme auf Tafeln. Vielleicht ist es in einer Bank oder an der Börse."
"Mehr."
"Ich sehe wirtschaftliches Arbeiten, ich sehe Geld und Kapitalismus."
"Mehr."
"Ich sehe ein System, dass immer höher strebt."
"Mehr."
"Sie streben nach mehr. Nach immer und immer mehr."
"Gut. Was siehst du?"
"Ich sehe die Spirale des Kapitalismus. Ich sehe Diagramme, die höher wollen, ich sehe immer mehr Geld und immer günstigere Produkte. Ich sehe eine abartige Welt, die krankhaft nach immer und immer mehr strebt, bis alles in sich zusammenfällt."
"Was siehst du?"
"Menschen, die sich durch Besitz definieren."
"Was siehst du?"
"Ich sehe Menschen in anderen Ländern, die ausgebeutet werden, die leiden, ich sehe zerstörten Regenwald, schwarze Lungen von Arbeitern unterm Mindestlohn. Und ich sehe das Behaupten der Legitimität dessen durch diese Männer."
"Was siehst du?"
"Ich sehe Kapitalismus. Ich sehe einen wirtschaftlichen Wettbewerb. Ich sehe Konkurrenz, Neid, Gier, Geiz, Maßlosigkeit. Ich sehe krankhaften Hunger nach mehr. Wie ein Tier. Immer und immer und immer und immer und immer mehr. Ich sehe Menschen, in deren Handeln nichts als Geld im Fokus steht. Menschen, denen es egal ist, wie sehr sie unseren Planeten zerstören, denen es egal ist, wie viele Menschen unter ihrem Handeln leiden und sterben. Menschen, die der Grund sind, wieso unsere Gesellschaft geprägt ist von Neid, Gier und Konsumsucht."
"Macht dich das wütend?"
"Ja."
"Wieso?"
"Weil es sich nicht ändern lässt. Weil die Konzerne zu viel Einfluss auf unsere Politik nehmen, weil Lobbyarbeit betrieben wird. Das ist abartig. Die Politik entscheidet schon lange nicht mehr zugunsten des Volkes, sondern zugunsten der Unternehmen. Es gibt zahllose Beispiele."
"Was siehst du?"
"Menschen, die gelernt haben, Menschen wie Produkte zu behandeln und zu steuern. Menschen, die in uns nichts sehen als Tiere, die ihren Marktstrategien blind folgen, ohne etwas zu merken. Tiere, die kaufen und kaufen und kaufen, weil sie sich ihre Bestätigung in Konsum suchen, weil Konsum uns kurzfristig glücklich macht. Mehr sind wir für diese Menschen nicht."
"Was siehst du?"
"Werbung. Ich sehe, wie den Menschen 24 Stunden am Tag gezeigt wird, was sie nicht haben, um sie unzufrieden zu machen. Ein System, was die Menschen kaputt macht, damit sie sich durch Konsum wieder befriedigen können, ein System, was die Menschen aber nur so kaputt macht, dass sie nicht merken, dass sie kaputt gemacht werden. Wir werden gesteuert von Plakaten und Eindrücken, von Schönheitsidealen und Werbung, alles, was wir sehen, zeigt uns, was wir nicht haben, aber unbedingt brauchen und wie wir aussehen müssen, um hübsch zu sein. Man macht uns unglücklich, in dem man unreine Haut verurteilt und uns dann aber Produkte verspricht, die gegen unreine Haut helfen, die wir dann kaufen. Wir leben in einer Welt, in der es so viele Produkte gibt, das wir den Überblick verlieren. Man lehrt uns, dass wir immer das Neuste brauchen, das Beste, das Bequemste. Doch man kann nicht immer das Neuste haben, in einer Welt, die uns so viele Produkte anbietet, dass wir den Überblick verlieren. Der Mensch wird in einer kapitalistischen Welt immer unzufrieden sein. Darum wird er nie aufhören, zu kaufen. Das ist die Strategie des Kapitalismus."
"Was siehst du?"
"Eine Gesellschaft, die rennt und rennt, vor sich selbst, weil sie sich selbst kaputtmacht und nicht ausbrechen kann."
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Verblendete Welt.
Poetry"Was siehst du?" "Eine Gesellschaft, die rennt und rennt, vor sich selbst, weil sie sich selbst kaputtmacht und nicht ausbrechen kann."