8. Kapitel

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Ich starrte in die Dunkelheit.
Jetzt war alles aus.
Dieses Wesen mit den weiß glühenden Augen wollte uns holen.
Töten, ermorden.
Und wir konnten nichts dagegen tun.

Doch nichts geschah.
Keine leuchtenden Augen tauchten auf.
Geräusche waren nicht anwesend.

„Aja...", wimmerte Finn leise.
Seine Stimme klang so...zittrig, ängstlich.
Er war noch viel zu klein, um zu sterben.
Der Junge hatte noch sein ganzes Leben vor sich, es durfte nicht schon wieder beendet werden.
Ich würde mein eigenes dafür hergeben.
Ich würde alles tun.

Langsam wandte ich mich zu meinem kleinen Bruder. Sein Gesicht war durch das schwache Licht der Taschenlampe nur sehr erschwert erkennbar, doch ich konnte seine Furcht und sein Entsetzen deutlich darin erkennen.
Nie hatte ich solche Angst gesehen; Nie.
Vor allem nicht in Finns Gesicht.

Ich schluckte, drehte mich wieder um.
Erschrocken schrie ich auf, sprang zurück.
Dabei verlor ich mein Gleichgewicht, taumelte nach hinten und schlug auf dem Boden auf.

Augen.
Leuchtende Augen.
So hell und klar.

„Macht ihr das immer? Ist das ein Sport?", fragte mich eine Stimme.
Neugierig, kindlich.
Jaro.
Erleichtert atmete ich auf.
Es war nur das hellbauäugige Wesen.
Nur...

„Jaro...erschreck mich nicht so...", flüsterte ich leise. Mein Herz pochte laut, meine Hände zitterten wie verrückt.
Noch immer war diese Gänsehaut auf meinem gesamten Körper vorhanden.
Und sie verschwand nicht.

So langsam entspannte ich mich wieder, ließ Jaro dabei aber nicht aus meinem Blick.
Wehe, er würde Finn etwas tun.
Ich wusste zwar nicht, ob ich diese Wesen schlagen konnte, ob ich sie verletzen würde, jedoch würde ich schon einen Weg finden, mich zu rächen.
Finn war mein kleiner Bruder.
Und ich würde ihn beschützen, egal, was mir in den Weg kam.
Egal, was ich verlieren würde.
Egal.
Hauptsache, mein Bruder war sicher.

„Erschreck mich nicht so? Was heißt das?"
Leise seufzte ich.
„Du weißt nicht, was das heißt? Es...es ist...wenn man Angst hat... wegen jemand anderen", murmelte er leise.
„Angst? Was ist Angst?", fragte mich Jaro wissbegierig, die hellblauen Augen schwebten näher an mich heran.

Beinahe hätte ich geantwortet, er sei Angst. Doch was, wenn er wirklich ein Kind war? Wenn es sowas denn gab.
„Jaro, das verstehst du nicht. Du bist noch zu klein dafür", hauchte ich.
Meine Stimme zitterte etwas, als ich zu ihm sprach.
Ich hatte mich einfach noch nicht unter Kontrolle. Selten passierte mir so etwas.
Äußerst selten.
Vor Jahren schon hatte ich es mir selber beigebracht.
Es war so um einiges einfacher, einen Tod - ein ganzes Leben - zu vergessen.

Das Wesen gab einen undefinierbaren Laut von sich. War er wütend? Trotzig? Fröhlich? Traurig? Neutral? Ich wusste es nicht. Alles, in meinem Kopf vor sich ging, war der Gedanke an Flucht; Freiheit. Finn und ich mussten nachhause. Jetzt. Sofort.

„Jaro? Kannst du uns bitte den Ausgang zeigen?", fragte ich ihn leise. Die Augen hüpften etwas hin und her.
„Muss ich wieder rückwärtslaufen?"
„Äh...ja, sonst sehen wir dich nicht"
Jaro sagte nichts mehr, also schloss ich einfach darauf, dass er einverstanden war.

Ich drehte mich zu meinem Bruder. „Finn, kannst du aufstehen?", fragte ich ihn leise, hielt ihm meine Hand hin. Er nickte etwas, ergriff sie und zog sich daran hoch. Schnell nahm ich noch die Taschenlampe mit, dämmte sie mit meinem T-Shirt, damit wir zumindest ein bisschen sahen.

Wir liefen eine gefühlte Ewigkeit durch die Villa, dessen besten Jahre schon längst vorbei waren.
Irgendwann jedoch blieb Jaro stehen, seine Augen verschwanden einen Augenblick. Dafür war ein lautes Knarren zu hören; Eine besonders schwere und vermutlich ebenso alte Tür wurde geöffnet.

Tatsächlich erblickte ich eine Landschaft, wenn auch nur schemenhaft.
Man konnte sie in einem Wort beschreiben: Bäume.
Überall waren Bäume.
Sie umzingelten das alte Haus, hielten es in Schach.

Der Eingang war in ein seltsames, grell weißes Licht getaucht. Woher kam es?
Ich trat einen Schritt nach vorne, sah mich um und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Eine Blüte.
Hell und klar leuchtete sie, weswegen sie eindeutig den Namen Mondblume verdient hätte.
Ähnelnd einen Vollmond, hell und klar.
Wie der in jener Nacht, die mich zu diesem Geschehnis hinführte.

Vorsichtig trat ich näher, hielt meinen Bruder an der Hand.
„Jaro, was ist das?", fragte ich das Wesen leise.
„Hat keinen Namen. Es gibt uns Kraft"
Ich nickte mit meinem Kopf. So langsam wundert mich gar nichts mehr.

Ich streckte meine Hand aus, berührte diese mysteriöse Blume, als in diesem Moment Finn leise aufschrie.
Sofort drehte ich mich zu ihm, erblickte das, was er sah.
Ich verkrampfte mich, starrte auf den Boden.
Finns Schatten war da.
Meiner ebenfalls.
Doch...er war viel kleiner, als der meines Bruders.
Am meisten schockierte mich aber etwas anderes.
Mein Schatten war komplett entstellt.

Fading Shade [#NewBookChallenge]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt