10. Kapitel

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Ich drehte mich mit einem Ruck um, erblickte, wie mein kleiner Bruder zu Boden fiel. Sein Gesicht, das durch die hell glühende Mondpflanze beleuchtet war, verzog sich schmerzerfüllt. Immer wieder stieß er leise Schreie aus.

Wie erstarrt stand ich da, starrte ihn an und war unfähig mich zu rühren, um irgendetwas zu tun. Ich sah zu, konnte nicht wegsehen, aber auch nicht gegen diese Starre in mir ankämpfen. Nichts konnte ich tun.

Erst, als Finn verzweifelt meinen Namen rief, schaffte ich es. Sofort rannte ich zu meinem kleinen Bruder, schmiss mich vor ihn auf die Knie.
Aus seiner Brust ragte ein Messer.
Blut floss hervor, tränkte sein zerrissenes T-Shirt.

Ein Schluchzer entglitt mir, ich beugte mich über Finn.
„Shh...halt durch...shhh...du schaffst das..."
Vorsichtig bettete ich seinen Kopf auf meinen Knien, strich weinend durch seine Haare.
„Kleiner...nicht aufgeben, ja? Wir finden einen Weg...eine Lösung...shhh..."
Finn wimmerte vor Schmerz war völlig verkrampft. Immer wieder lief ein Zittern durch seinen Körper.

Ich schluckte, nahm vorsichtig seine Hand.
„Aja...? P-passt d-du auf mi-mich auf?", hauchte er kaum hörbar, gab erneut Schmerzenslaute von sich.
„Ja, kleiner Bruder. Ich werde immer auf dich aufpassen und dich nie vergessen. Ich werde...immer für dich da sein, okay? Immer. Du bist mein kleiner Bruder, mein Finn."
Ich drückte seine Hand fest, schluckte.
So viele Emotionen durchflossen mich.
Ich war verzweifelt.
Angsterfüllt.
Traurig.
Aber auch Wut durchdrang mich.
Auf denjenigen, der Finn das angetan hatte.
Er war mein kleiner Bruder!
Ich hätte ihn beschützen müssen.
Ich war eine schlechte Schwester.

Meine Augen wurden von mir zusammengekniffen, sie brannten ziemlich.
Ich wollte einfach nur, dass ich aufwachen würde.
Einfach nur diesem Albtraum entfliehen.
Alle sagten, ich solle meine Träume leben.
Was aber, wenn es Albträume waren?
So wie dieser hier?
Hoffentlich war es ein Traum.
Hoffentlich.
Ich wünschte es mir so unglaublich sehr, dass es schon fast wehtat.
Finn durfte nicht sterben!

„A-aja?", hauchte mein Bruder leise, hustete und rang kurz darauf nach Luft.
„Aja...geh...geh nicht...fort..."
Ich drückte seine Hand so fest, dass ich Angst hatte, sie zu zerquetschen.
„Niemals, Finn. Niemals. Ich werde dir nicht von der Seite weichen"
„Aja! Aja...komm...komm zurück...", flüsterte er, klang nun ziemlich panisch.
„Ich bin doch hier, Kleiner...shhh...shhh...alles gut..."
„Aja...ich...ich hab...dich..."
Ich schluckte, kniff meine Augen zusammen.
Mir wurde alles zu viel.
Finn war der einzige Mensch, der mir aus meiner verschlossenen Art heraushelfen konnte. Er war ein so wunderbares Wesen; Gutmütig und doch sehr aktiv und gesellig.

„Du...hast mich...?", fragte ich leise, als er nicht mehr weiterredete.
Keine Antwort.
Langsam öffnete ich meine Augen, sah zu ihm und entdeckte den Grund, weswegen er nicht weiterredete.
Seine Augen standen offen, sahen mich an.
Kalt.
Leer.
Tot.
Erschrocken tastete ich nach seinem Herzschlag, doch da war nichts.
Totenstille.
Nur eine leblose Puppe war er.
Als habe Finn nie existiert.

Ich schluchzte auf, drückte ihn fest an sich.
„NEIN!!!", rief ich voller Verzweiflung. Alles zog sich in mir zusammen, riss mich in das tiefe Loch, in dem ich schon einmal war. Doch dieses Mal gab es keine Möglichkeit, wieder herauszukommen.
Ich hatte Finn verloren.
Meinen kleinen Bruder.

Schluchzend wiegte ich ihn in meinen Armen, blickte nicht auf.
Als ich dies jedoch tat, erstarrte ich.
Rote Augen.
Feurig.
Meine Angst verwandelte sich in rasende Wut.

„DU WARST DAS!!!"
Ich legte meinen Bruder vorsichtig ab, sprang auf und rannte mit voller Wut in meinen schattenhaften Gegner.
„DU BIST AN ALLEM SCHULD!!!"

Das Wesen lachte nur, packte mich am Genick.
„Ja, und es war mir ein ziemliches Vergnügen", kicherte es psychopatisch, drückte immer fester zu.
Ich wehrte mich, versuchte zu entkommen.

Mein Schatten.
Er war verschwunden, nicht mehr vorhanden.
Gestorben.
Wie Finn.
Einfach nicht mehr existent.

Gerade wollte ich mit meiner Taschenlampe ausholen, als mich das Wesen gegen die Wand knallte und mich zu würgen begann.
Keuchend schnappte ich nach Luft.
Alles, was ich jetzt noch sah, war rot.
Glühendes Rot.

Fading Shade [#NewBookChallenge]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt