6. Kapitel

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Ich schluckte, als ich ihm in die Augen sah.
Mein kleiner Bruder.
So...verletzt.

„Finn!"
Rasch legte ich die Taschenlampe zu Boden, legte meine Arme um ihn.
„Oh Gott, Finn, was ist mit dir passiert?!"
Ich ertastete mit meinen Fingerspitzen den Knoten des Knebels, löste ihn nach einigen Minuten erfolgreich.
Der Zehnjährige begann zu weinen, kuschelte sich schluchzend an mich.
„Aja..."
Sanft wiegte ich ihn hin und her.
„Shhh...alles gut, ich bin hier. Shh..."

Ob er auch gefesselt war? Tatsächlich entdeckte ich Handfesseln, die viel zu eng saßen und seine kleinen Hände sehr schmerzhaft einschnitten.
So vorsichtig wie möglich versuchte ich ihn davon zu befreien.

Es benötigte viele Versuche und ziemlich viel Geduld. Durch das sehr schwache Licht war meine Sicht ziemlich eingeschränkt, was dazu führte, dass es noch viel länger dauerte, als es bei normalen Sichtverhältnissen der Fall gewesen wäre.
Aber am Ende hatte ich es tatsächlich geschafft; Er war frei.

Der Junge schluchzte erneut leise auf, kuschelte sich enger an mich.
„Ich habe so Angst, Aja...", hauchte er kaum hörbar in mein Ohr.
Sanft strich ich ihm über seinen Rücken.
„Das brauchst du nicht, Kleiner", flüsterte ich ihm zu.
„Ich bin doch da und ich werde dich vor allem beschützen, ja?"
Finn nickte etwas, vergrub sein Gesicht in meinem T-Shirt, das ironischerweise schwarz gefärbt worden war.

„Wer hat dir das angetan?", fragte ich nach einiger Zeit leise.
Finn schluchzte wieder leise, schniefte etwas.
„Dieses...Ding. Mit Feueraugen", erklärte er mir nach einiger Zeit kaum hörbar.
Feueraugen?
Was meinte er damit?
Ich hatte zwar eine schattenlose Gestalt mit weißglühenden Augen erblickt, auch eine mit einem strahlenden Hellblau, Jaro.
Aber Feueraugen?
Gab es noch mehr von...ihnen?
Ich schluckte.
„Shh...es wird dir nichts mehr tun können, ja? Wir werden jetzt hier rausgehen und von hier verschwinden. Für immer. Nie wieder werden wir dieses verfluchte Haus betreten; Nie wieder wirst du eine Gestalt mit leuchtenden Augen sehen. Wir werden nachhause finden, ja? Dort wird Mama schon auf uns warten und uns in ihre Arme schließen; Ganz fest"

Finn löste sich von mir, sah mich zweifelnd an.
„Aja...denkst du wirklich, das wird so sein? Versprichst du es mir? Hoch und heilig?"
Ich hielt inne, zögerte etwas. Meine Aussagen würden nicht eintreffen; Das war mir bewusst.
Und doch...konnte ich sofort alle Hoffnungen zerstören?
Konnte ich ihm einfach sagen, was ich dachte?
Oder musste ich ihn anlügen?
Er war ein Kind; Noch viel zu klein, um einige Dinge im Leben zu verstehen, die für mich, als schon fast Erwachsene, selbstverständlich und eindeutig festgelegt waren.
„Ich verspreche es dir Kleiner. Alles wird so eintreffen, wie ich es dir vorhin gesagt habe."
Finn nickte, kuschelte sich wieder an mich.
Ein Lächeln lag auf seinen Lippen.
„Danke, dass du mich nie anlügst, Aja..."
Ich schluckte, strich ihm sanft durch seine Haare.
„Das würde ich doch nie tun..."
Es schmerzte, ihn so sehr anzulügen.
Doch es musste sein; Ich musste meine selbstaufgestellten Gesetze brechen, damit Finn nicht in diese Hoffnungslosigkeit miteinbezogen war; Sich nicht auch verlor, wie es mir schon einmal passiert war.

Es war wieder still geworden. Müde lehnte ich gegen das Bettgestell, seufzte auf. Finn schien schon eingeschlafen zu sein, so erschöpft war er gewesen.
Dann jedoch ertönte ein lautes Krachen.
Erschrocken zuckte ich zusammen.
Es hatte sich so vertraut angehört.
Ja, wie das Zuschlagen einer Tür.
Sofort legte ich Finn sanft auf die Seite, packte meine Taschenlampe, sprang auf und rannte zu der Tür.
Sie war zu.

Ich atmete tief aus.
Zumindest konnte man Türen wieder aufmachen...
Doch meine kurzanhaltende Erleichterung verschwand schnell wieder.
Es hab hier keinen Griff.
Nur ein Schlüsselloch.
Verzweifelt verkrampften sich meine Hände um die Taschenlampe.
Wir saßen in der Falle.

Langsam beugte ich mich nach vorne, um durch dasSchlüsselloch zu spähen. Vielleich...konnte ich ja einen Draht finden, mit dem ich die Tür aufbekam.
Was ich jedoch am anderen Ende des Schlüsselloches erblickte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
Ein Auge.
Weiß glühend.

Fading Shade [#NewBookChallenge]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt