Kapitel 8 | Lyra

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Auch wenn sich Lyra liebend gerne frei kämpfen würde, hielt sie still. Sie wusste, dass sie keine Chance gegen ihre Angreiferin, geschweige denn alle Angreifer, hatte. Zu stark war die Kraft, mit der die Frau hinter ihr sie festhielt. Außerdem hatte das Mädchen gleich gemerkt, dass ihre Angreifer weitaus mehr Kraft und Erfahrung aufbringen konnten, als sie und ihre Schwester. Jetzt konnte Lyra nur noch hoffen, dass ihr und Ameih nichts geschehen würden und dass das alles nur ein großes Missverständnis war.

Sie hörte, wie auch ihre Schwester den Kampf aufgab, dann ertönte hinter Lyra eine Stimme: „Das sich einige Stammesmitglieder immer noch hier her trauen. Und dann auch noch so Junge? Wie tief muss euer Anführer nur gesunken sein, das Leben zweier junger Stammesmitglieder aufs Spiel zu setzten? Sprecht, warum seid ihr in unserem Wald? Solltet ihr uns ausspionieren?"

Während ihrer Rede verfestigte Lyras Angreiferin ihren Griff, wahrscheinlich, um ihr (noch mehr) Angst einzujagen. Das Mädchen hätte aufschreien können vor Schmerz, da sie genau da festgehaltem wurde, wo zuvor ihre Armfesseln gewesen waren. Jedoch wollte sie keine Schwäche zeigen, weshalb sie keinen Schmerzenslaut von sich gab.

In Hoffnung, dass sich so der Griff ihrer Angreiferin lockern würde, nahm Lyra all ihren Mut zusammen und sprach mit zittriger Stimme: „Wir wurden aus unserem Stamm verbannt und sind auf der Flucht". Sie traute sich nicht zu sagen, dass der Grund, weshalb sie verbannt worden waren, die Tatsache war, dass sie blind war.

Sie schämte sich nun mehr dafür, als je zuvor. Wie konnte sie schon irgendwem helfen oder ein wichtiges Mitglied in einem Stamm werden? Sie würde niemals ohne die Hilfe ihrer Schwester irgendwo weit kommen. Die Worte des Häuptlings und des Schamanen hatten in ihrer Seele tiefere Schnitte hinterlassen, als sie gedacht hatte.

„Und das sollen wir euch einfach so glauben?", sprach wieder die harte Stimme hinter Lyra, „Jeder kann einfach so sagen, dass er verbannt worden wäre. Und in diesem Alter wird man nur verbannt, wenn man die Prüfungen nicht geschafft hat, was ich ehrlich gesagt bei euch beiden bezweifle; man muss schon wirklich schlecht sein, um die nicht zu bestehen. Wenn ihr uns nicht die Wahrheit sagt, über das, was ihr hier wollt, werden wir euch jetzt gleich auf der Stelle die Kehle durchschneiden!"

Lyra durchlief ein eisiger Schauer. Und sie hatte schon gedacht, der Stamm wäre grausam gewesen. Doch das, was diese Frau hinter ihr vorhatte, war so schlimm, dass sie sich beinah wünschte, vom Stamm gleich hingerichtet worden zu sein. Das hätte ihr zumindest viel Leid erspart.

Bevor sie jedoch weiter nachdenken konnte, hörte sie Ameihs Stimme. Ihre Schwester hatte wohl wieder ihre Sprache gefunden. „Bitte! Sie sagt die Wahrheit. Meine Schwester ist blind, doch wir konnten es bis zu den Prüfungen geheim halten. Danach jedoch ist alles aufgeflogen, weshalb wir fliehen mussten."

Lyra hielt den Atem an. Es fühlte sich seltsam an, dass Ameih das Geheimnis, das sie so lange gehütet und niemals ausgesprochen hatten, einfach laut vor ein paar fremden Menschen preisgab. Doch Lyra wusste, dass die Wahrheit die einzige Chance für sie war, hier möglicherweise lebend rauszukommen.

„Niemand kann einfach so einem Stamm fast 18 Jahre lang vorgaukeln, man wäre nicht blind. Wir sind weder dumm, noch naiv und von so einer Lüge lassen wir uns nicht verarschen! Wir sollten ihnen gleich hier und jetzt die Kehle durchschneiden!", zischte die Frau hinter Lyra, den letzten Satz an ihre Gruppe gewandt.

Lyra hörte schon, wie ihre Angreiferin ein Messer zückte und dachte, ihr Leben würde jetzt ein Ende nehmen, als sie eine tiefe Stimme rechts neben sich hörte, die sich zuerst räusperte und dann sprach: „Tray, beruhige dich. Du musst nicht immer gleich jedem Eindringling ein Messer durch den Hals ziehen"; Lyra bemerkte, wie die Frau, die sie festhielt und wohl den Namen Tray trug, ihren Mund öffnete um sich, wie das Mädchen zumindest annahm, zu verteidigen, der Mann lies sich aber nicht unterbrechen und redete in einem ruhigen, aber dennoch eindringlichen Ton weiter: „Wir sollten die beiden erst einmal zu Siren und Adrion bringen. Vielleicht sagen sie ja wirklich die Wahrheit und sind doch keine Spione des Stammes."

Nachdem der Mann seine Rede beendet hatte, war es erst einmal still. Keiner traute sich etwas zu sagen und Lyra konnte förmlich spüren, wie die Gedanken ihrer Angreiferin arbeiteten. Anscheinend war sie es nicht gewohnt, dass man ihr widersprach.

In diesem kurzen Moment der Stille konnte sich, trotz der gefährlichen Situation, in der sie und ihre Schwester sich gerade befanden, das Mädchen etwas entspannen. Sie konnte einen warmen Windhauch ausmachen und, neben den Atemzügen ihrer Angreifer und Ameihs, auch das leise Rascheln der Blätter im Wind hören.

Dann wurde aber auch schon der kurze Augenblick der Ruhe von ihrer Angreiferin unterbrochen. „Na gut. Dann bringen wir sie eben zu meinen Eltern. Aber wenn sie irgendwann Ärger machen sollten, was sie bestimmt werden, denkt dran: Ich hätte ihnen gleich die Kehle aufgeschlitzt!", zischte sie, sichtlich unerfreut, dass man ihr widersprochen hatte und packte das Messer wieder zurück.

Lyras Angreiferin, die das Mädchen nur noch mit einer Hand festhielt, setzte sich in Bewegung. Lyra wusste, dass sie, wenn sie sich wehren würde, alles nur noch schlimmer machen würde, weshalb sie ruhig hinter Tray herlief. Auch Ameih hatte wohl verstanden, dass Widerstand in dieser Situation gerade zwecklos war, zumindest hörte Lyra ihre Schwester nicht, außer deren Atemzüge.

Obwohl der Griff von Tray ziemlich fest war, wenn auch nicht so fest, wie als diese Lyra noch vorhin festgehalten hatte, kam ihr der Griff dann doch eher angenehmer rüber, da Tray dann doch sanfter war, als Mago, Blibor, der Häuptling oder der Schamane.

Das Mädchen hatte eigentlich erwartet, dass sie auf dem Weg zum Lager ihrer Angreifer nicht mehr richtig klar denken können würde, doch nun war sie hochkonzentriert und hatte nur eines im Sinn: Überleben. Ihre Sinne waren bis aufs Äußerste geschärft, ihre Muskeln angespannt. Dies lies sie sich aber nicht anmerken, weshalb sie sich weiterhin wehrlos von ihrer Angreiferin mit sich ziehen lies.

Im Prinzip waren Lyras und Ameihs Hoffnung nur Trays Eltern, die, wie Lyra zumindest hoffte, nicht ganz so schlimm waren, wie ihre Tochter. Das Mädchen war sich sicher, dass, wenn sie getötet werden sollten, weil ihre Angreifer wirklich dachten, sie wären Spione des Stammes, sie und ihre Schwester um ihr Leben kämpfen würden, auch wenn die beiden keine Chance gegen ihre Angreifer, vor allem nicht in deren Lager, haben würden.

Hi Leute,

hier ist (endlich) das achte Kapitel. Yey. Ich habe mal wieder einen Abend damit verschwendet, ein Kapitel abzutippen. Ich schau wie immer erst morgen noch mal über das Kapitel, weshalb es noch Fehler geben könnte.

Joa, bis gleich dann noch mal

~Pinnwand

IndianerschwesternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt