Kapitel 17 | Lyra

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Eigentlich hatte Lyra nun vorgehabt, Tray erst einmal aus dem Weg zu gehen, doch wie es das Schicksal nun mal wollte, war sie gleich am Tag nach ihrer gemeinsamen Nachtwache mit der Verbannten in einer Grenzüberwachung eingeteilt. Oft hatte das Mädchen bis dahin an ihr Gespräch mit Tray und ihrem Fast - Kuss denken müssen. Was wäre passiert, wenn ihre Nachtwache nicht ausgerechnet in diesem Moment beendet gewesen wäre?

Seufzend stand sie auf und machte sich auf den Weg zur Mitte, wo sie mit Tray mit der Grenzüberwachung anfangen würde. Lyra hoffte, dass es jetzt zwischen ihnen beiden nicht komisch werden würde, auch wenn sie selbst keine Ahnung hatte, wie sie sich bei Tray nun am besten verhalten sollte.

Viel zu schnell war das Mädchen auch schon in der Mitte angekommen. Tray, die schon auf sie gewartet hatte, kam auf Lyra zugelaufen, begrüßte sie und nahm sie sanft an die Hand, um ihr so den Weg zu zeigen. Lyra, die kaum mehr als ein kurzangebundenes „Hallo" hatte herausbringen können, folgte Tray schweigend, obwohl ihre Gedanken rasten.

Eine ganze Zeit lang hielt das Schweigen zwischen den beiden an. Anscheinend wusste selbst Tray nicht - die sonst immer einen Spruch auf Lager hatte - was sie sagen sollte. Dann jedoch, nachdem sie schon eine Weile lang gelaufen waren und Lyra das Gefühl hatte, dass sie schon fast am Ende ihrer Strecke angelangt waren, weshalb sie sich bald wieder auf den Rückweg machen würden, drehte sich Tray zu Lyra um und blieb stehen.

Das Mädchen wünschte sich, sie könnte der Verbannten ins Gesicht blicken, um zu sehen, was in dieser vorging, jedoch merkte sie auch so, dass Tray mit sich rang. Als die Verbannte nach einer Weile immer noch nichts sagte, riss sich Lyra schließlich zusammen und fragte: „Ist alles in Ordnung?" „Ja, es ist nur...“, fing Tray zögerlich an, „Bitte verzeih mir!“

Bevor das Mädchen auch nur anfangen konnte zu fragen, was es denn zu verzeihen gab, spürte sie die weichen Lippen der Verbannten auf den ihren.Und auch wenn dieser Kuss wohl noch nicht mal eine Sekunde angedauert hatte und Lyra nicht einmal ansatzweise die Chance gehabt hatte, irgendwie auf diesen Kuss zu reagieren, so war es für das Mädchen das schönste Gefühl auf Erden gewesen. Fühlte sich so Liebe an?

Ihr Herz klopte wie wild und auch wenn es nicht gerade der wärmste Tag im Jahr war, so war ihr durch und durch heiß. "I-ich, also ... uh, vergiss das einfach, das war eine dumme Idee", sagte Tray plötzlich und wandte sich von ihr ab. Lyra konnte hören, wie verletzt sie war. 'Nein, so soll es nicht enden. Ich muss etwas tun!', dachte das Mädchen mit leichter Panik. Sie wusste zwar nicht wirklich, was sie fühlte und was sie in so einer Situation überhaupt machen sollte, doch sie wusste, dass sie irgendwie reagieren musste.

Also packte sie kurzentschlossen Trays Arm, drehte sie wieder zu sich und berührte sanft deren Wangen. Mit ihren Daumen suchte sie Trays Lippen und strich vorsichtig über diese. Dann näheste sie sich der Verbannten und vereinte ihre Lippen. Etwas unbeholfen bewegten sich ihre Lippen im Einklang. Es war offensichtlich, dass weder die eine noch die andere schon einmal so etwas in der Art gemacht hatte.

Dieser Moment hätte für Lyra bis in die Ewigkeit andauern können, jedoch lösten sie sich dann doch irgendwann voneinander. Sie mussten schließlich auch atmen. Das Mädchen lehnte ihre Stirn an die von Tray. Lyras Körper kribbelte unaufhörlich und sie empfand ein Gefühl, das sie noch nie zuvor empfunden hatte.

Die Verbannte atmete einmal hörbar ein und aus, dann fing Tray an zu sprechen: „Weißt du ... wie du bestimmt schon gemerkt hast, bin ich jetzt nicht unbedingt die Person, die oft über ihre Gefühle spricht. Aber verdammt, Lyra, bei dir kann ich kaum einen klaren Gedanken fassen und meine Gefühle spielen verrückt. Ich war mir nicht sicher, was mit mir los war, aber der Kuss war so fantastisch und jetzt bin ich mir sicher. Ich habe mich in dich verliebt. Und ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass meine Gefühle nicht einseitig sind, denn ansonsten würdest du mir mein Herz brechen."

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