10. Was mich runterzieht/ Die kleinen Momente

2 0 0
                                    

Was zieht mich runter? Da gibt es viele Sachen!
Klausuren ziehen mich runter. Schlechte Noten ziehen mich runter. "Unlösbare" Probleme ziehen mich runter. Falsche Blicke, eine verspätete Bahn, wenn mich jemand schubst, Streit und viele andere Sachen ziehen mich runter. Es gibt so vieles, dass man sich fragt, ob es sich überhaupt lohnt zu leben, in den Momenten, in denen alles schief läuft. Wäre es da nicht besser sein Leben zu beenden, auf welche Weise auch immer? Sich vors Auto schmeißen, sich aufs Gleis legen, sich von der Brücke werfen, sich die Pulsadern aufschneiden, sich erhängen, es gibt so viele Möglichkeiten.
Aber... Gibt es denn keine andere Möglichkeit? Besteht das Leben nur aus Katastrophen? Lohnt es sich denn nicht zu leben?
Manche würden zweifellos sagen, dass es keinen anderen Ausweg gibt, als vom Antlitz dieser Erde zu verschwinden.
Doch was ist mit mir? Sage ich das auch? Nein! Nein, das tue ich nicht. Auch ich habe manchmal besonders Pech. Auch ich lasse mich manchmal runterziehen. Auch ich habe manchmal das Gefühl, dass alle Probleme über mich hinauswachsen. Auch ich habe manchmal das Gefühl, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Daran merke ich, dass ich zu viel denke. Denn es gibt immer einen Ausweg. Auf jeden Regen folgt Sonnenschein, auch wenn sich der Regen von einem Nieseln in ein Ungetüm aus einem Zusammenspiel von Gewitter, Sintflutregen und einem Orkan verwandelt und kein Ende in Sicht ist. Ich lasse mich nicht endgültig runterziehen. Man sollte sich nicht endgültig runterziehen lassen. Jeder Mensch hat Sachen, die ihn wieder hochziehen. Es sind kleine Momente, Vorlieben und Hobbies, denn wer auf  großes wartet, übersieht das kleine Glück. 
Sei es Musik, der Lieblingssänger, das perfekte Lied, dass in der Seele Widerhall findet oder ein Lied, dass einen Augenblick besonders macht, da es so gut zu diesem passt. Sei es eine Sportart, ein Ballsport, der Tanz, das Reiten oder eine beliebige Art, bei der man abschalten kann, auf hören kann zu denken und seinen Geist mit seinem Körper zu einer Harmonie verbinden kann, nach der die Welt ein kleines Stückchen besser scheint, als davor. Sei es die Vorliebe zur Kreativität, bei der man in Form von Gemälden, Comics, Gedichten, Lyrics, Geschichten, oder bei was auch immer seine Gefühle darstellt und somit besser verarbeiten kann, sodass sie nicht mehr auf einen einprasseln und in einem wüten. Sei es eine andere Vorliebe wie das Lesen, das Gestalten und Zusammenstellen, das Verkleiden oder das Spielen, bei dem man sich über kleine Fortschritte freut und mitfiebert, sei es in einer Schlacht, beim Kombinieren der passenden Teile, beim Finden des perfekten Outfits oder mit der Hauptperson des Buches, zu der man freundschaftliche Gefühle hegt.
Oder seien es die kleinen Momente, die man bemerkt, oder nicht, da man zu sehr mit dem Warten auf Großes oder dem Zweifeln an der Welt beschäftigt ist. Das Lächeln einer fremden Person in der Bahn oder im Bus. Die Aufmerksamkeit, die Freunde einem zuteil werden lassen. Das "Danke!" wenn man jemanden vorbeilässt, ihm Platz macht, ihm die Tür aufhält oder sonstige Nettigkeiten macht.
Wenn jemand diese Nettigkeiten für einen macht, ohne diesen zu kennen. Die Zeit, die man mit der Familie und anderen geliebten Menschen verbringen kann. Das Lachen der kleinen Schwester, des kleinen Bruders oder eines anderen kleinen Kindes, das seine Freude mit der Welt teilt. Oder vielleicht das Haustier, welches an einem hochspringt, um ihn abzuschlabbern, das sich an einen schmust, um von ihm gestreichelt zu werden, das einen voller Freude anschnaubt, das anfängt zu zwitschern, wenn man in den Raum kommt.
All das und vieles mehr lässt die Welt weniger traurig, trostlos und verzweifelt erscheinen. All das übersehen wir leicht, doch sollten wir uns einmal umschauen, statt in z.B. der Bahn auf unser Handy zu starren. Sollten wir uns umhören, statt die Welt mit Kopfhörern und sehr lauter Musik, also Taub, zu bewandern, so bemerken wir sie.
Die kleinen Momente.
Der Abend mit einer Tasse mit dem Lieblingsgetränk im Bett, oder auf dem Sofa, oder im Sessel, beim Lesen, oder Filme schauen, oder Serien gucken, oder Musik hören und Nachdenken, oder beim Tüfteln. Die Zeit sich zurückzulehnen und zu sagen "heute habe ich Zeit, heute mache ich, was mir gefällt". Zeit, den Weg entlang zu spazieren und sich umzuschauen statt blind vorbeizuhetzen, da man wieder zu spät ist.
Letztendlich auch sagen zu können "mir geht es gut!", "ich lebe", "ich habe Menschen, die mir Freude bereiten, bei denen ich mich wohl fühle und mich nicht verstellen muss, Menschen, die mich nehmen, wie ich bin!". All das zieht uns hoch. All das lässt uns, vielleicht auch unterbewusst, schwere Schicksalsschläge verkraften. All das zeigt uns, dass es sich lohnt zu leben. All das lässt uns sagen:"Ich will noch nicht gehen, ich will noch bleiben!". All das bringt uns davon ab, die nächstbeste Möglichkeit des Selbstmordes zu nutzen, die wir in dem Moment sehen.
All diese kleinen Momente.

Wohin mit den Gedanken?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt