Kapitel 6[1/2]

253 9 6
                                    

***

Er ist gegangen. Hoseok weiß bereits wohin genau, geht daher nicht auf die Suche nach ihm und denkt nicht daran, dass der Omega in einer Winternacht auf der Straße bleiben musste. Stattdessen sitzt der Alpha in einem Sessel in seinem Schlafzimmer und redet sich ein, nicht mehr zur Tür zu schauen. Taehyung wird heute Abend nicht kommen, er wird diesen Raum nicht betreten. Es waren zehn Nächte, aber Hoseok scheint mit diesem Omega sein Leben gelebt zu haben, die besten Teile davon. Der Alpha zweifelt nicht mehr daran, dass er nur diese zehn Nächte gelebt hat, und alles, was ihm bleibt, ist, sie in seinem Gedächtnis wiederzubeleben und die Kraft daraus zu schöpfen, um weiterzumachen. Egal, was Hoseok noch bevorsteht, solche Nächte wird er nicht mehr haben, jemanden so wie Taehyung auch nicht. Hoseok war zu selbstbewusst, dachte, dass das Gefühl, das in ihm aufkam, wechselseitig war, hatte nicht erwartet, dass der Omega die Freiheit wählen wird, und jetzt sitzt er in seinem dunklen Schlafzimmer und hört dem unaufhörlichen Jammern seines verlassenen Wolfes zu. Obwohl es scheint gar kein Jammern zu sein, es weint das Herz, das ohne Wärme und Stärkung zurückgeblieben ist.

"Ist er weg?" Jimin bleibt auf der Schwelle stehen und sieht seinen depressiven Bruder an. Hoseok nickt. "Es tut mir leid."

"Habe ich das Richtige getan?" fragt der Alpha sich. "Ich liebe ihn, ich liebe ihn so sehr, dass ich ihn los ließ. Das macht man doch, wenn man liebt? Warum kann ich dann seine Entscheidung nicht akzeptieren?"

"Hoseok…"

"Ich wollte ihm Freiheit geben", unterbricht er Jimin. "Ich wollte ihn nicht unter Druck setzen, und jetzt kämpfe ich mit dem Wunsch, zu ihm zu gehen und ihn nach Hause zu bringen. Ich verstehe, dass es so nicht geht, dass man die Liebe nicht erzwingen kann, aber Jimin, ich sterbe ohne ihn."

Der Omega kommt näher, lehnt sich an den Tisch und ein paar Sekunden sucht er nach den richtigen Worten. Er hatte noch nie einen so gebrochenen und verlorenen Anführer gesehen. Jedes Wort von dem Alpha geht wie ein Messer durch sein Herz, und Jimin wäre bereit, ihm seines zu geben, nur damit sein Bruder nicht so leiden musste.

"Ich dachte, ihr fühlt das gleiche für einander", räuspert sich der Omega. "Alles deutete darauf hin. Ich verstehe es wirklich nicht. Vielleicht hat er es spontan gemacht? Auf jeden Fall ist noch nichts verloren. Er ist immer noch in Lykan und du kannst ihn zurückholen. Gib ihm und uns ein paar Tage, wir werden uns etwas einfallen lassen."

Hoseok will Jimin glauben, er versucht in seinen Worten etwas zu finden, woran er sich festhalten kann, verliert nicht die Hoffnung. Ab diesem Tag fährt Hoseok jeden Abend zu Yoongis Haus. Der Alpha sitzt lange in seinem hinter Bäumen geparkten Auto und beobachtet das Licht im Fenster. Noch wird er sich dem Omega nicht nähern, wenn auch der Wolf ihm sein Brustkorb öffnet und raus kommt. Hoseok wird Taehyung Zeit geben.

***

"Wirst du gar nicht leiden?" überrascht schaut Yoongi Taehyung an, der durch die Wohnung eilt.

"Keine Zeit", der Omega holt einen unter das Sofa geworfenen Schuh hervor und schnürt ihn zu.

"Mir musst du nichts vormachen, als ob ich nicht wüsste, dass du es warst, der sich im Badezimmer eingesperrt und die ganze Nacht geheult hat", sagt Yoongi missbilligend.

"Nachts kann ich heulen und leiden und an meiner Liebe sterben, aber tagsüber muss ich arbeiten, um meinem Ziel mindestens einen Millimeter näher zu kommen", antwortet der Omega ruhig. "Ich gehe neue Dokumente abholen, ab jetzt heiße ich V, merk es dir, und von dort aus gehe ich sofort zu Bildungszentren, finde heraus, was es für Aufnahmeprüfungen gibt und bereite mich vor. Ich denke, dass ich mich in einem Jahr vorbereiten und parallel auch arbeiten kann, damit alles so wird, wie ich es geplant habe. Warum gehst du nicht zur Arbeit?"

Zehn Nächte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt