twenty four seven

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Tina Turner

Schritte im Laub. Rascheln. Atemzüge, kurz, abgehackt, gehetzt. Sie rannte und sie wollte nicht zurückkehren. Erstmal nicht. Bäume, Sträucher zogen an ihr vorüber, doch sie nahm kaum etwas wahr. Über ihr schwankten die blätterbehangenen Äste der Baumkronen, ärgerlich, aggressiv. Darüber zogen sich die Wolken zusammen und in der Ferne grollte der Donner. Wie konnten sie es wagen? Wie konnten sie sie ausschließen? War ihnen nicht bewusst, wer sie war? War ihnen nicht klar, was sie mit einer Handbewegung anrichten konnte? Sie war die Mächtigste, sie allein, und dass sie elf Jahre bei den Magiern verbracht hatte, den Magiern der anderen Seite, war ganz allein ihre Schuld. Sie hatten Lucy ausgesetzt. Sie schlug ein paar Äste mit beiden Armen auseinander. Ein magischer Stoß verließ ihre Finger, brandmarkte die umliegenden Bäume und hinterließ glühende Einkerbungen. Die Tiere rannten weg vor ihr und sie jagte sie. Sie war die Mächtigste, sie allein. Sollten sie doch alle sehen, was sie davon hatten, wenn sie ihr den Rücken kehrten. Sie könnte sie alle vernichten. Alle miteinander. Die Welt würde ihr gehören, nur ihr und keiner konnte sie aufhalten. Sie war die Mächtigste. Ein Baum lag ihr im Weg. Sie ließ ihn mit einer Handbewegung wegfliegen. Weiter lief sie in den Wald, immer weiter. Tiefer hinein in das Wirrwarr aus Bäumen, Sträuchern und Geäst. Dorthin, wo das Tageslicht die dichten Kronen des Waldes nicht mehr durchbrach. Dorthin, wo die Dunkelheit auf dem Thron saß. Dorthin, wo sie alleine war. und hier war sie. Allein im dunklen Wald. Niemand schloss sie aus, eher schloss sie die Welt aus.

Sie schloss die Augen und auf einmal sah sie ihn. Seine dunkelblauen Augen sahen sie an. Schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu schauen. In ihnen lag... Respekt. Ja, er respektierte sie, ihre Stärken, Schwächen, Vorlieben und Abneigungen.
Akzeptanz lag auch darin, er akzeptierte sie als das, was sie war.
Ehrlichkeit. Er sagte ihr alles, zwischen ihnen gab es keine Geheimnisse, sie sagten sich die Wahrheit.
Und Zuneigung. Es war die selbe Zuneigung, die auch sie für ihn verspürte und vielleicht etwas mehr als das...

Doch dann holte die Realität sie wieder ein. Sie hatte ihn belogen. Er wollte nichts mehr von ihr wissen und er hörte ihr auch nicht mehr zu. Und dann war da diese Sache mit der Zuneigung... Natürlich gab es diese Zuneigung, doch der Ursprung war nicht der, den sie sich erhofft hatte. Was noch übrig blieb war der Blick, der nun auf ihr ruhte. Verachtungsvoll, gekränkt, enttäuscht und voller Abneigung. Sie spürte die Tränen in ihren Augen brennen. Sie hasste sich. Sie hasste ihre Familie und sie hasste die Welt. Ihr Zorn blühte von neuem auf. Sie war wie eine Bombe, die jeden Moment explodieren konnte und der Docht brannte schon, es dauerte nur noch wenige Sekunden.

Lucy, nicht...

Doch sie sperrte ihn aus. Er hatte ihr nichts mehr zu sagen. Nie wieder würde sie auf ihn hören. Er hatte ihr nicht zugehört, als es wichtig war und nun war es zu spät. Dann explodierte sie. Das Laub flog, Vögel fielen aus ihren Nestern und segelten durch die Luft. Die Bäume bogen sich bis zum Boden. Ein Sturm brach aus ihrem Inneren. Rehe und Hirsche röhrten. Ein Blitz entlud sich. Grell und bedrohlich. Die Wolken türmten sich zu einem gewaltigen Wolkenschloss. Es war schwarz und unheilvoll. Dann wurde der Wind zu einem Strudel. Er wirbelte um sie herum, entwurzelte Bäume und riss die Wolken mit sich. Es begann zu regnen. Alles flog umher und in der Mitte schwebte sie. Unter ihren geschlossenen Lidern leuchteten ihre Augen rot. Ein dunkler Schein umspielte ihren zarten Körper, der sich dem riesigen Unwetter entgegenbog.

Dann schlugen die Flammen nach oben. Sie fraßen die Bäume wie hungrige Raubtiere. Rissen die Äste runter und schlugen die Stämme brutal nieder. Es breitete sich rasant aus ohne Rücksicht. Dampf stieg auf, wo das Wasser auf das Feuer traf und der Rauch wirbelte um den mächtigen Orkan. Die Erde grollte. Sie bog und schüttelte sich wie ein schwerfälliger, wütender Riese. Sie bäumte sich auf. Warf alles umher, was Wind und Feuer herunter gerissen hatten. Und mitten im Chaos schwebte Lucy. Sie war der Ursprung dieses Unwetters. Sie besaß die Macht. Und nicht nur über die Elemente. Langsam schraubten sich die Vögel in Drehrichtung des Orkans nach oben. Nicht nur einzelne. Schwärme, Massen von Vögeln verdunkelten das Tosen noch zusätzlich. Rehe brachen aus dem Unterholz, rannten umher wie eine wilde Armee von hungrigen, aggressiven Soldaten.

Keiner von ihnen floh vor dem Feuer. Wenn sie es wollte, würden sie direkt hineinrennen. Nein, sie alle gehorchten ihr. Sie war die Herrscherin über diesen Wald. Sie war die Herrscherin über diese Welt, wenn sie wollte. Sie war die Herrscherin des Universums. Sie konnte alle in die Knie zwingen, wenn sie nur wollte. Und in diesem Moment wollte sie nichts lieber.

Doch dann waren da wieder diese Augen. Seine Augen. Er sah sie an. Bittend, ja, flehend. Seine Lippen bewegten sich, doch sie verstand nicht, was er sagte. Was sagte er? Sie hörte es nicht, weil... Weil der Sturm zu laut war. Und langsam ebbte es ab. Der Wind wurde sanfter. Die Äste fielen, die Wolken zogen langsam auseinander, die Erde wurde ruhig und das Feuer legte sich. Sie bekam es jedoch nicht mit. Immer noch konzentrierte sie sich auf sein Gesicht, seine Augen, seine Lippen und auf einmal konnte sie ihn hören.

Lucy... Lucy, bitte, das bist nicht du.

Woher willst du wissen, wer ich bin?

Weil ich dich kenne, Lucy, ich kenne dich so, wie du mich kennst. Und nicht nur deine Lieblingsfarbe, dein Lieblingsessen, deinen Lieblingssong, ich kenne dich. Deine Ängste, Sorgen, Vorlieben und Abneigungen. Ich kenne dein Innerstes und dein Innerstes ist nicht das, was du nun vorgibst zu sein, du bist mehr als das.

Sie schwieg. Stumme Tränen liefen über ihre Wangen. Ihre Augen hielt sie geschlossen.

Was... Was wenn ich mich verändert habe, was ist, wenn ich nicht mehr diese Lucy bin? Was ist, wenn ich genau zu dem Monster geworden bin, als das ich rausgeschmissen wurde?

Nein, das glaube ich nicht Lucy.

Ich habe dich angelogen.

Ich habe es dich nicht erklären lassen.

Der Strom von Tränen schien kein Ende nehmen zu wollen. Sie schluchzte laut. Ihr Körper zitterte, doch sie war gefangen in ihrem Inneren. Sie wollte ihm glauben. Sie wollte das sein, was er in ihr sah, doch da war noch immer dieser Zorn. Dieser Hass und dieser Durst nach Macht. Die Kälte, die ihr Herz umgab. Ihre Arme schlangen sich um sich selbst und sie krümmte sich zusammen.

Ich... Ich kann nicht Nico. Ich kann... Kann das nicht sein. Ich bin... Ich bin jetzt auf der anderen Seite. Es tut mir leid.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 03, 2020 ⏰

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