Magie - Auf welcher Seite stehst du?

seventeen

YouNotUs, Kelvin Jones

Vor lauter Aufregung tat Lucy etwas, was sie noch nie zuvor getan hatte.
Sie verließ die Gemeinschaft.
Zum ersten Mal musste sie einfach raus. Jetzt lief sie durch den Wald.
Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Wie schön es hier war. So ganz anders, als alles was sie sonst immer sah und sie liebte es. Die Stille, die eigentlich keine war. Überall raschelte es, Vögel zwitscherten, Zweige knackten und es roch so gut nach frischer Luft.

Auf einmal spürte sie die Präsenz einer anderen Person. Sie ließ sich nichts anmerken und lief weiter, dich ihr Geist streckte sich nach der Person aus. Niemand aus der Gemeinschaft, das war klar. Alex? Ich überprüfte kleine Details, die mir an ihm aufgefallen waren. Vieles stimmte überein, doch in Feinheiten unterschied sich die Person von ihm.
Es war ein Junge. Oder ein junger Erwachsener. Er näherte sich, sie spürte die Anspannung. Sie spürte den Versuch, in ihren Geist einzudringen, doch auf Geistes Ebene war sie eine Meisterin.

Sie spielte ihm Dinge vor, die nicht existierten. Geräusche, Schatten, die an ihm vorbeihuschten. Seine Anspannung stieg. Er kam ihr bekannt vor. Wieso war er so vertraut? Er rückte näher. Immer näher kam er, aber sie blieb ruhig. Der Überraschungseffekt war auf ihrer Seite. Was hatte er vor? Sie wusste es nicht, konnte es nicht herausfinden. Jetzt war er fast da.
Sie blieb stehen.

"Hallo James"
Er blieb ebenfalls stehen. Sie drehte sich um. Vor ihr stand ihr Bruder.
Er war sichtlich verwirrt. Sie lächelte überlegen.
"Woher...?", fragte er.
"Tja, ich bin wohl doch nicht so nutzlos wie ihr dachtet. Was willst du?", ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.
"Ich sehe nach dir", antwortete er. "Aber nun erzähl, seit wann hast du magische Fähigkeiten?"
"Schon immer"
"Das ist nicht möglich", zischte er leise. "Und ob es das ist"

Sie fixierte ihn und er flog gegen einen Baum. Er versuchte sich davon zu lösen, gegen ihren Zauber anzukommen. Schließlich gelang es ihm. Er flog durch die Luft auf die zu.
Auch Lucy erhob sich in die Lüfte. Er ließ Zweige, Äste und Steine aufsteigen. Sie wirbelten herum. Um Lucy, auf sie zu. Aber sie hielt sie von sich weg. Wie von einer unsichtbaren Kugel umgeben blieb sie sicher in dem Sturm aus Waldboden. Kurz konzentrierte sie sich, dann flog alles weg und folgte wieder den Gesetzen der Schwerkraft. Sie bewegte die Äste eines Baumes, die sich nun um James schlangen und ihn fest an den Baum zogen. Er war gefesselt.

"Du...", begann er, doch ein Ast legte sich vor seinen Mund und ließ ihn verstummen.
"Ja? Ich höre? Was bin ich?", zischte sie wütend. "Was wolltest du sagen?"
Er kämpfte, wand sich, doch der Baum war stärker, sie war stärker.
Nach einer Weile ließ sie ihn schließlich runter.
"Du dumme Schlampe", zischte er.
Sie kam auf ihn zu. Ihre Augen wurden von eisblau feuerrot. Hinter ihr baute sich eine Front aus schwarzer Magie auf. Sie wirbelte umher.

"Würdest du das bitte wiederholen", flüsterte sie gefährlich leise, während sich die Magie zu einem tosenden Sturm entwickelte. Er zog ängstlich den Kopf ein.
"Bitte, verzeih mir, ich hab das nicht so gemeint", flehte er sie an.
Langsam ließ sie das Getöse ab ebben, bis es schließlich wieder ruhig war.
"Es ist also wahr", murmelte er, während er sich langsam aufrichtete.
"Was ist wahr?"
"Du dreckiges Ding bist tatsächlich der Seelenwandler auf den wir so lange gewartet haben"
"Der Seelenwandler? Unmöglich", sagte sie und schüttelte den Kopf. Dass er sie gerade dreckiges Ding genannt hatte, überging sie einfach.

Es konnte nicht sein, sie war nicht der Seelenwandler. Das hätte sie doch gemerkt. Es hätte Zeichen, Hinweise gegeben.

"Es muss so sein. Vor sechzehn Jahren waren die hundert Jahre vorbei. Das war an deinem Geburtstag. Sieh dich an. Du bist so stark wie ich es niemals sein werde und das ganz ohne Training."
"Liegt vielleicht daran, dass ich ein Mädchen bin", erwiderte sie trocken.
"Aber woher solltest du das nehmen? Du hattest nie Unterricht"
"Hatte ich"
"Ja, bei einem Magier aus der Gemeinschaft, aber was du benutzt ist reine schwarze Magie, was etwas ironischer hat, wenn man bedenkt, dass du auch die starke Seite der weißen Magie in dir trägst..."
"Was? Das ist nicht möglich, ich komme doch aus einer rein schwarzmagischen Familie, ich bin deine Schwester! Wie sollte da die weiße Magie reingekommen sein?"

"Du bist nicht meine Schwester. Du bist meine Cousine. Die Schwester meiner Mutter hat uns alle verraten. Sie ist mit einem Magier der anderen Seite durchgebrannt und von ihm schwanger geworden. Sie starb bei der Geburt, deswegen zogen wir dich groß, der Hauptgrund war allerdings, dass du an dem prophezeiten Datum geboren warst."
Das war doch wirklich das, was man hören wollte...
"Leider hast du nie magische Fähigkeiten aufgewiesen, deswegen setzten wir dich aus, um sie durch dieses traumatische Erlebnis hervorzurufen. Als wir jedoch kamen, um dich zurück zu holen, warst du nicht mehr da. Wir haben lange nach dir gesucht, doch Mutter hatte keine Visionen, was nur eines bedeuten konnte: du warst in einer Magiergemeinschaft weißer Magier, denn das war die einzige Einschränkung der Seher. Dass sie nicht die andere Seite sehen konnten. Wir haben lange gesucht, aber diese Gemeinschaft war besonders gut geschützt. Der einzige Weg, herauszufinden, ob du wirklich dort bist, war einen von uns dort einzuschleusen. Ein vollblütiger Schwarzmagier wäre natürlich sofort aufgeflogen, aber ein Halbblut..."

"Alex", flüsterte sie. "Alex ist auch ein Halbblut, aber wie kommt es, dass er nicht so stark ist, wenn er beide Seiten in sich trägt, ich aber schon?"
"Er trägt die falschen Seiten in sich. Seine Vater war der Schwarzmagier, damit hatte er von beiden Seiten nur das schwächere. Nun zählen bei dir aber noch ganz andere Faktoren rein:
Du bist ein Mädchen, hast die beiden starken Seiten in dir, bist die Seelenwandlerin und das aller Beste, du hast eine Seelenverwandtschaft mit einem Zwilling"
"Seelenverwandtschaft?", Lucy war verwirrt.

"Die Seelenverwandtschaft entsteht beim ersten Kontakt der zwei dafür bestimmten Magier. Sie ist äußerst selten und oft treffen sich die Magier auch einfach nicht, was sie umso seltener macht. Sie hat das verstärken der magischen Fähigkeiten zur Folge und beide Magier ziehen nur Vorteile daraus. Eigentlich funktioniert es nur zwischen gleichartigen Magiern also beispielsweise schwarz und schwarz. Da du aber beide Seiten in dir trägst, ist es auch mit diesem weißen Magier möglich. Er ist aber zusätzlich auch noch ein Zwilling, was die Magie noch mehr verstärkt und deswegen macht dich das ganze noch stärker."
"Wer ist es?", fragte sie leise, doch eigentlich wusste sie die Antwort bereits. "Nico...", flüsterte sie.

Das erklärte die tiefe Verbundenheit, die Kommunikation über Gedanken. Das seltsame Gefühl, das sie gehabt hatte, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Die Leichtigkeit, mit der sie sein Innerstes sehen und verstehen konnte. All das lag an der Seelenverwandtschaft. Und sie hatte geglaubt sie wären durch besondere Gefühle verbunden... Ein stechender Schmerz fuhr in ihre Brust. Sie sank in die Knie. Ihr Blick ging ins Leere.
Wenn sie dachte ihr Leben sei bis jetzt kompliziert und frustrierend gewesen, so hatte sie sich geirrt. Schlimmer ging es immer.