"Ich kann das nicht James!"

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James und ich apparierten in eine abgelegene Gasse in der Nähe der Kirche und des Friedhofs. In diesem Moment wünschte ich mir einfach nur wieder zu verschwinden. Ich hatte keine Lust meiner Schwester ein weiteres Mal zu begegnen und noch weniger Lust hatte ich darauf die nächsten paar Stunden von mitleidigen Blicken von den Anwesenden überhäuft zu werden. Ich hatte einfach genug davon. Ich hatte es momentan satt in meiner Haut zu stecken.

Hand in Hand liefen wir beide zur Kirche und betraten diese. Ich ignorierte die Blicke der anderen, als wir uns unseren Weg nach vorne anbahnten und uns in die erste Reihe auf der linken Seite setzten. Petunia und Vernon saßen auf der rechten Seite und eigentlich hätten wir uns auch zu ihnen setzten können, doch ich konnte meiner Schwester einfach nicht in die Augen blicken. Während dem gesamten Gottesdienst weinte ich stumme Tränen und ich hatte meinen Kopf an James' Schulter gelehnt, während meine Hand in seiner verweilte.

Die ganze Zeit musste ich daran denken, dass wenn nur eine Sache anders gelaufen wäre, meine Eltern vielleicht noch am Leben wären. Wenn der Fahrer des Autos, der den Unfall verursacht hat eine Minute später losgefahren wäre oder wenn meine Eltern früher oder später von Petunias Hochzeit gekommen wären, würden meine Eltern dann immer noch hier sein?

„Komm Lily", flüsterte James mir irgendwann ins Ohr. Gegen Ende hatte ich komplett angeschaltet und nichts mehr von allem mitbekommen. Anscheinend musste es schon vorbei sein, doch das hieß leider nicht, dass schon alles vorbei war. Denn der schlimmste Teil stand noch bevor: Die richtige Beerdigung.

James stand auf und hielt mir seine Hand hin, die ich ergriff. Zusammen gingen wir der Menschenmasse hinterher, raus aus der Kirche. Dafür, dass es November war, war ziemlich gutes Wetter und die Sonne strahlte die ganze Zeit. In dem Moment bildete ich mir ein, dass meine Eltern diese Sonnenstrahlen sind und mir zu verstehen geben, dass alles gut wird und, dass sie trotzdem immer bei mir sind. Doch für mich ergab das in diesem Moment einfach keinen Sinn.

„Oh Lily, es tut mir so leid!" Eleanor kam auf mich zu gerannt und zerquetschte mich fast mit ihrer Umarmung. Auch sie hatte geweint, was man unschwer erkennen konnte. Ihre Eltern kamen ebenfalls auf mich zu und umarmten mich.

„Wenn du irgendwas brauchst, wir sind für dich da", sagte mein Onkel leise und lächelte mich traurig an. Verdammt, mein Onkel war meinem Vater so ähnlich. Sie waren Brüder und sie trennten nur fast zwei Jahre Altersunterschied. Beide hatten die gleichen Lachfalten an Mund und Augen und das gleiche warme und freundliche Gesicht. Im Gegensatz zu Petunia und mir waren mein Vater und mein Onkel immer wie beste Freunde gewesen, was ich immer schon sehr bewundert hatte. Insgeheim sehnte ich mich auch immer danach. Denn so waren Petunia und ich auch mal gewesen. Bevor ich wusste, dass ich eine Hexe bin.

Ich brachte kein Wort über die Lippen und so setzten wir stumm unseren Weg zum Friedhof fort, doch kurz vorher blieb ich stehen.

„Ich kann das nicht James!", sagte ich mit Tränen in den Augen. „Ich bin nicht bereit dazu mich endgültig von ihnen zu verabschieden, ich werde nie dazu bereit sein!"

James zog mich fest an sich und strich mir über das Haar. „Ich weiß, dass es schwer ist Lily und ich würde dir so gerne helfen. Du musst nicht dabei sein, wenn du nicht willst, aber ich weiß, dass du es bereuen wirst, wenn du jetzt gehst", redete er sanft auf mich ein. Ich löste mich von ihm und nickte.

Ich wusste langsam echt nicht mehr, wie es mir möglich war immer noch weinen zu können. Gefühlt hatte ich in den letzten Tagen und Stunden schon mein Pensum für mein ganzes Leben aufgebraucht, doch als die Särge, in denen meine Eltern lagen in die Erde gelassen wurden, wurde mir von meinem Körper das Gegenteil bewiesen. Ich klammerte mich haltsuchend an James und mittlerweile war mein sonst stummes Weinen, lauten Schluchzern gewichen. Mir war es egal, dass andere Leute mich so sahen, denn ich konnte einfach nicht anders.

Gegen Ende bekam jeder eine Rose, die er ins Grab legen konnte (sehr sarkastisch, wenn man bedenkt, dass meine Mutter Rose hieß). James wartete ein bisschen abseits auf mich, als ich als letzte meine Rose in das Grab legte. „Ihr fehlt mir so sehr. Warum musstet ihr gehen?", flüsterte ich vor mich hin und blickte auf die von Rosen bedeckten Särge hinab, ehe ich all meine letzte Kraft zusammenpackte und mich abwandte. Dieser Teil war nun auch endlich geschafft.

Eigentlich stand noch ein gemeinsames Essen in dem Lieblings Restaurant meiner Eltern an, doch ich konnte nicht mehr. Ich konnte nicht noch mehr Zeit hier verbringen, unter all den Muggeln. Denn ich hatte das Gefühl durch den Tod meiner Eltern die letzte Bindung zur Muggelwelt verloren zu haben.

„Lily, kann ich kurz mit dir reden?", fragte plötzlich jemand, was mich aus meinen Gedanken hochschrecken ließ. Ich erkannte meine Schwester, die neben den Toren des Friedhofs alleine auf mich wartete. Ich war ihr den ganzen Tag über aus dem Weg gegangen, doch jetzt konnte ich mich nicht mehr vor ihr verstecken. James drückte mir einen Kuss auf die Stirn und flüsterte mir zu, dass er in der Seitenstraße warten würde, ehe er verschwand.

„Das ist also dein Freund", sagte Petunia, als wir langsam nebeneinander herliefen.

Ich nickte. „Ja, das ist James"

Petunia ging nicht weiter darauf ein. Sie wusste ganz genau, dass James ein Zauberer war und ich wusste dadurch auch, wie viel sie von ihm hielt. Dabei war für sie egal, wie nett und höflich er war. „Ich bitte dich darum Mum und Dad's Tod rückgängig zu machen"

Abrupt blieb ich stehen und schaute meine Schwester entgeistert an. „Was?"

„Du sollst es rückgängig machen", wiederholte sie ihre Worte.

„Petunia, ich kann ihren Tod nicht rückgängig machen"

„Wieso nicht?! Du bist doch eine Hexe. Mit ein bisschen Hokus Pokus kann man doch alles machen in deiner ach so tollen Welt"

„So funktioniert das nicht. Selbst in meiner Welt kann man keine Toten wieder zurückholen", erwiderte ich.

„Du willst es nicht!"

„Was?!"

„Du willst es gar nicht rückgängig machen! Jetzt kannst du in Ruhe weiter dein ach so tolles Leben leben, ohne dass du durch deine Familie eingeschränkt wirst. Hast jetzt auch noch ein tolles Sümmchen geerbt, warum dann den Tod der Eltern rückgängig machen, wenn man auch einfach mit seinem Freund durchbrennen kann"

Geschockt starrte ich Petunia an. „Ich würde alles tun, um Mum und Dad zurückzuholen, aber es geht verdammt nochmal nicht"

„Natürlich geht es nicht, wäre ja vielleicht zu viel Aufwand für die kleine Lily Evans", spottete meine Schwester. „Weißt du was?! Du ganz allein bist an ihrem Tod schuld! Ohne dich wären wir alle in der Familie viel glücklicher gewesen und dann wären Mum und Dad jetzt bestimmt nicht tot!"

Ich fühlte mich, als hätte mir einer eine Ohrfeige verpasst. „Meine Schuld?! Ich kann nichts dafür, dass dieser blöde Idiot Alkohol getrunken hat und Auto gefahren ist und deswegen unsere Eltern auf dem Gewissen hat. Aber natürlich, es ist immer einfacher die Schuld komplett auf mich zu schieben. Egal was auf dieser beschissenen Welt falsch läuft, Lily Evans ist es schuld, einfach weil sie da ist. Weißt du was, mir reichts! Ab heute werde ich dich nicht mehr mit meiner Existenz belästigen und du wirst mich nie wiedersehen. Dann kannst du dein Leben mit deinem ach so tollen Ehemann weiterleben ohne, dass du eine nervige Schwester hast, die du einfach hasst, obwohl sie dir nie etwas getan hat", schrie ich Petunia wütend an. Mir war es egal, dass andere Leute vielleicht etwas davon mitbekamen, ich wollte einfach nur endgültig weg von hier. Ich drehte mich um und stürmte davon.

„Lily!", schrie mir meine Schwester noch hinterher, doch ich verschwand, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Als ich schließlich James in der Seitengasse sah, rannte ich auf ihn zu und warf mich in seine Arme.

In dem Moment wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich nun endgültig den Kontakt zur Muggelwelt verloren hatte und ich das auch wollte. Ich wollte nichts mehr damit zu tun haben, denn ich wusste, dass mein richtiges Leben, das was ich am liebsten lebte, in Hogwarts stattfand und da passte mein Muggel-Ich nicht rein. Ich musste nun diesen Teil von mir loslassen und mir wurde bewusst, dass das einzige was ich noch hatte meine Freunde und James waren. Und dieser Gedanke machte mich mehr glücklich als traurig.

Hopeless Love - Jily FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt