Chapter 2

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'Danke Welt! Du zeigst mir wie wenig ich wert bin.' {Herz aus Holz - Casper}

"Schau dir die mal an!", lachten sie.

Senkte meinen Kopf, lief schnell an ihnen vorbei, rein, in die Klasse. Zu meinem Glück war Herr Strauch, unser Mathelehrer, bereits da. Wie üblich setzte ich mich an meinen Platz, ganz vorne, vor dem Pult. Nahm mir mein Mäppchen heraus, wo Casper drauf stand. Brachte mich zum Lächeln, so wie alle Gedanken an Benjamin.

"Ach, träumt die kleine Medina wieder von ihrem Casper", lachte Eric hinter mir.

Doch Herr Strauch schien ihn nicht zu bemerken, leider. Und der Mut, mich zu wehren, fehlte. Selbstvertrauen ist weg.

Nach weiteren fünf Minuten begann endlich der Unterricht. Mal wieder blieb der Platz neben mir leer, und ich einsam. Der Unterricht verlief "normal", Papierkügelchen im Rücken, Sprüche werden gedrückt. Normal eben.

Nach 45 Minuten war der Unterricht endlich vorbei und die ganzen Schüler stürmten heraus. So wie ich war, ließ ich mir Zeit. Wollte mich nicht durch die ganzen Schülermassen drängeln.

"Medina?", die raue Stimme meines Lehrers ließ mich aufschrecken.

"Ja?", gab ich kleinlaut zurück.

"Du bereitest mir Sorgen, Medina. Warum willst du dich uns nicht anvertrauen?"

Schneller packte ich meine Sachen, wollte raus.

"Du kannst uns vertrauen!"

Bilder tauchten auf. Er, wie er mich anfasst. Er, wie er mich schlägt. Er, wie er sich an mir vergriff.

Fing an zu zittern. Kälte strömte durch meinen Körper. Tränen schossen in meine Augen. Spürte seine Hände überall an meinem Körper. Überall.

"Medina?", er sprach sanft, erinnerte mich an ihn. Ließ Tasche fallen. Sackte in den Stuhl. Blickte starr an die Tafel. Atmen tat weh. Leben schmerzte.

"Alles okay bei dir?", wieder diese Stimme. Wurde zu viel. Brauchte ihn. Nahm die Tasche, kramte mein Handy heraus und die Kopfhörer. Stöpselte ihn ein und startete die Musik. Wärme durchströmte meinen Körper als seine Musik mich erreichte. Schloss die Augen, lauschte.

Bleib hier! Bitte bleib! Schweig! Ich muss dir was zeigen, es ist tief unten, ganz weit. Ein Schritt, ein Blick, ein Gedanke, eine Klinge, eine Träne, eine Hand, ein Schnitt.

Erst durch das Antippen meines Lehrers, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich nahm mir die Kopfhörer aus den Ohren und sah ihn an.

"Tut mir leid, es war nur irgendwie zu viel für mich", entschuldigte ich mich.

"Kein Problem", er lächelte mich sanft an und setzte sich auf den Platz neben mich. "Also, magst du es mir erzählen?"

Medina, dreh nicht durch. Denk an was schönes! Denk an Benjamin! Tatsächlich beruhigten mich die Gedanken an ihn etwas.

"Danke, Herr Strauch. Ich weiß, es ist nett gemeint, aber nein danke. Damit muss ich alleine klarkommen!"

Er musterte mich kritisch. Irgendwie erinnerte mich dieser Blick an meinen Vater. "Und wieso trägst du im Sommer Pullis und lange Jeans? Ich meine, es ist ziemlich heiß draußen."

"Mir ist kalt", platzte es schnell aus mir heraus.

Er zog eine Augenbraue hoch. "Wir haben 29°C, wie kann es dir da kalt sein?"

Ich sah auf den Boden, spielte nervös mit den Fingern. "Mir ist immer kalt."

"Wo dein Vater noch nicht tot war, bist du im Sommer ebenfalls mit kurzen Klamotten rumgelaufen!"

Ich atmete laut aus. War dieser Lehrer ein Stalker oder was? "Herr Strauch, es geht sie nichts an, was ich anziehe. Und jetzt muss ich auch in den nächsten Kurs, ich bin so oder so schon zu spät!"

Er seufzte kurz auf, anscheinend hatte er sich mehr aus diesem Gespräch erhofft. "Magst du vielleicht nach Hause? Du sahst vorhin recht fertig aus."

Überrascht sah ich ihn an. Er ließ mich nur deshalb früher gehen?

"Sicher?"

Er nickte und deutete auf die Tür. "Wir sehen uns morgen."

Glücklich ging ich raus, ertrug die verwirrten und verächtlichen Blicke die auf mir lagen. Stieß die Eingangstüre auf. Ging raus, wurde begrüßt von fröhlichen Vogelgezwitscher. Schulterte meine Tasche und schlug den Weg zum Friedhof an. Ich brauchte meine Ruhe.

Am Friedhof angekommen, goss ich erstmal die Pflanzen, pflückte die abgestorbenen. Schmückte das Grab etwas auf. Verteilte die Rosenblätter darauf, die ich auf dem Weg hierher heimlich gepflückt hatte. Und obwohl es erst Vormittag war, zündete ich auch die Grabkerze an. Als ich das Feuerzeug aus meiner Tasche holte, fiel mein Blick auf meine Zigarettenschachtel, die ich von meiner Mutter geklaut hatte. Ohne zu zögern nahm ich mir eine heraus und zündete sie mir an. Genüsslich zog ich an ihr und pustete den Rauch in perfekten Ringen wieder heraus. Während ich rauchte, stöpselte ich mir wieder meine Kopfhörer rein, startete meine Casper Playlist und lief nach Hause.

Wie gern ich glauben würde, das alles perfekt wird. Doch wurde zu oft enttäuscht um zu glauben, das alles perfekt wird. Man Dad, wie frustriert muss man sein, sich jeden Abend an seinen Schreibtisch zu sitzen und einen Brief an eine Person zu schreiben, die nicht mehr existiert? Klar, tief in meinem innern existierst du noch immer. Aber das bringt mir auch nichts. Du hast es geschafft, Dad. Dich vor einen Zug zu stürzen und diese scheiß Welt hier zu verlassen. Mir bleibt nichts von dir. Nur die Kette und dein in Liebe geschriebener Abschiedsbrief. Adrian hat alles von dir weggeschmissen. Alles weg. Alle Andenken. Will so gern zu dir, will mich treiben lassen in deine Arme. Augen schließen, sie öffnen und in deinen Armen liegen. Hol mich zu dir, verdammt! Mir fehlt der Mut, doch wenn du mich holst ...
Will doch nur weg von dieser scheiß Welt. Nur Kummer, nur Angst. Mir bleibt nur der Schmerz. Sonst nichts. Empfange keine Liebe, nur Hass. Du hast mir die Liebe gegeben, die ich brauche. Doch du bist weg. Tot.

Der Sinn des Lebens ist leben{Casper FF}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt