Anmachsprüche

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-Ich lag wieder auf der Wiese. Lachend, fröhlich, neben ihm. Wir schauten in den strahlend blauen Himmel und die Sonnenstrahlen kitzelten uns auf der Nase. Ich setzte mich auf und blickte über die wunderschöne bunte Blumenwiese. Ich spürte sein Gesicht neben mir und drehte mich zu ihm um. Er lächelte. Unsere Lippen kamen sich immer näher und mein Herz schlug immer schneller und schneller. Doch plötzlich veränderte sich sein Gesicht. Das Lächeln verschwand, als hätte es nie existiert. Seine Augen verrenkten sich zu Schlitzen und er trug plötzlich eine Sonnenbrille. Das Gesicht des Jungens vom Zusammenstoß blickte mir entgegen und ich spürte die nackte Angst in mir hochkrabbeln. Er drückte mich auf den Boden und umklammerte meine Handgelenkte so fest, dass es mir das Blut abschnürte. Ich versuchte mich wehren und seinem harten Griff zu entkommen, doch er war zu stark. Ich wollte schreien, doch der Kloß in meinem Hals verhinderte es. „Du...", zischte er, was ein zittern auf meinem ganzen Körper auslöste. Was wollte er von mir? „Es tut mir leid!", schrie ich angsterfüllt, „Es tut mir so leid!!" Es half nichts. Sein Griff wurde nur fester und seine Miene finsterer. Ich konnte kein Wimmern unterdrücken. Plötzlich holte er mit seiner Faust aus. Sie sauste auf mein Gesicht zu. Ich schrie.-

Ich schreckte hoch. Mein Herz pochte rasend und der Angstschweiß lief mir die Stirn herunter. Im selben Moment kam Madeleine mit einem Blick herein, der mein Gefühl beschrieb. „Vivienne! Was ist los?" Sie kam an mein Bett, nahm meine Hand und streichelte mit dem Daumen beruhigend über meinen Handrücken. Mein Atem wurde langsam ruhiger und meine Gedanken sortierten sich. „Nur ein blöder Traum...", murmelte ich.
„Willst du drüber reden?" Wollte ich das?
„Nein." Ich redete nicht gerne über meine Gefühle und meine Gedanken.
„Okay, wenn du meinst", sie schenkte mir ein warmes Lächeln, „Dann kannst du auch gleich aufstehen. Ich hätte dich eh in 5 Minuten geweckt. Das Frühstück steht schon bereit." Innerlich stöhnte ich auf. Ich hatte keine Lust aufzustehen, aber andererseits hatte ich auch Angst vorm Einschlafen. Ich wollte diesen Traum so schnell wie möglich vergessen. Ich quälte mich aus dem Bett und Madeleine stand auf und verließ den Raum.

Als ich mich fertig gemacht hatte, lief ich runter zum Frühstück. Madeleine kochte sich gerade noch einen Kaffee als ich mich seufzend auf einen Stuhl niederließ. Schweigend aß ich mein Käsebrötchen, bis Madeleine sich mit ihrer Kaffeetasse in der Hand auf den Stuhl neben mich setzte. Die Tasse war mit „Ich hasse bedruckte Tassen" bedruckt. Typisch Maddie. Sie schaute mich besorgt an: „Und du willst wirklich nicht über deinen Traum reden?" Wieso war sie denn so hartnäckig? Ich wollte wirklich nicht darüber reden doch bevor ich antworten konnte, klingelte es an der Tür. Ich stand auf und rannte zur Tür. Bestimmt war es Leyla, die mich wie jeden Morgen abholte. Schwungvoll öffnete ich die Tür, doch als ich sah wer da stand hätte ich sie am liebsten wieder zugehauen. Ich verzog das Gesicht. Ben lehnte cool im Türrahmen und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich glaub ich kotze. „Wo ist Leyla?", rief ich entsetzt. „Guten Morgen erstmal!", grinste er, worauf ich ihm einen genervten Blick zuwarf. Er machte keinen Anstalten weiterzusprechen und ich wurde ungeduldig: „Wo ist Leyla denn jetzt?!" „Leyla ist krank. Schau nicht gleich so geschockt! Sie ist wie jeder normale Mensch einfach mal erkältet. Morgen kommt sie wahrscheinlich wieder, aber du kannst sie heute trotzdem besuchen kommen. Ich hab mir gedacht ich hole dich trotzdem ab. So als kleine Überraschung." Die war im gelungen. Normalerweise wartete er immer unten am Tor während Leyla mich holte. Ich hoffte ja immer noch dass sie heute einfach nur getauscht hatten, aber als wir aus der Tür traten war keine Leyla am Tor zu sehen. Oh nein, mein erster Schultag ohne Leyla seit langem. Gestern war sie noch vollkommen gesund. Ich hoffe dass sie morgen kommt, weil zwei Tage ohne Leyla du nur mit Ben halte ich nicht aus. Obwohl ich ihn jetzt seit zwei Wochen kannte, hatte sich meine Meinung über ihn nicht geändert. Er war immer noch ein arroganter, selbstverliebter, nerviger Schleimer, der verdammt heiß aussah. Wenn er wenigstens hässlich wäre, wäre es viel einfacher ihn zu hassen, aber so?
Wir machten uns auf den Weg und Ben textete mich mit irgendwelchen sinnlosen Fakten über sich zu, die ich nie wissen wollte („Ich trage immer zwei verschieden farbende Socken"; „Ich sammle Batterien"; „Meine momentane Unterhose ist schwarz")! Ich sag doch der ist komplett bescheuert! Ich versuchte ihn so weit wie möglich zu ignorieren bis er fragte: „Wie findest du eigentlich Anmachsprüche?" Bevor ich antworten konnte, fing er schon an seinen ganzen Vorrat an Anmachsprüchen auszupacken. Wenn ich gewusst hätte, dass SOWAS kommt, wären mir seine Fakten über sich selbst lieber gewesen. Ein Spruch bescheuerter als der Andere: „Eigentlich wollte ich dich ja anbaggern, meinen Bagger habe ich leider vergessen. Meinen Löffel habe ich aber dabei! Darf ich dich auch anlöffeln?
Oder kennst du den: Glaubst du an liebe auf den ersten Blick oder soll ich nochmal vorbeilaufen?
Oder den: Sind deine Eltern Terroristen? - Weil du so Bombe aussiehst!
Ah, am besten ist immer noch der: Du musst der wahre Grund für die globale Erderwärmung sein! ..." Er hörte garnicht mehr auf zu reden und ich schlug mir nach jedem Spruch innerlich eine Hand an den Kopf. Der Spruch „Ich bin vom ADAC und würde dich heute Abend gern abschleppen" und sein zusätzliches Schnalzen gaben mir den Rest und ich blieb stehen. Erst lief er plappernd weiter, doch als er bemerkte dass ich stehen geblieben war kam er wieder zurück zu mir und schaute mich etwas verwirrt an. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und schaute ihm tief in die Augen: „Ben...egal was du mit deinen Sprüchen erreichen willst... ES. FUNKTIONIERT.NICHT! Kein Mädchen findet das geil!" Er schaute mich an als hätte ich grade gesagt, dass ich fliegen kann doch er fing sich schnell wieder. Wahrscheinlich hatte ihm noch nie ein Mädchen widersprochen oder gar die ehrliche Meinung gesagt. „Ach wirklich? Glaub mir, ich werde dich schon noch rumkriegen." Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Wie jetzt? Rumkriegen??? Was er damit meinte, sollte ich noch früh genug herausfinden.


Die Zeit in der Schule verging nur schleppend. Doch als die Schulglocke das Ende des Unterrichts ankündigte, versuchte ich so schnell wie möglich nach Hause zu kommen um
1. Ben nicht zu begegnen und
2. so schnell wie möglich Leyla zu besuchen.
Zu Hause angekommen stand das Mittagessen schon fertig auf dem Tisch und Madeleine saß am Essenstisch und las ein Buch. Ich schmiss mein Zeug in die Ecke und setzte mich zu Maddie. Sie blickte kurz auf und nuschelte etwas dass sehr nach „Guten Appetit" klang. Ich füllte meinen Teller und schaufelte die Nudeln in Rekordgeschwindigkeit in mich rein, sodass man meinen könnte, ich hätte seit Jahren nichts mehr gegessen. Als ich fertig war, sprang ich so schnell auf, dass mein Stuhl hinter mir umkippte. Ich machte keine Anstalten ihn aufzuheben, sondern packte schnell meine Sachen in eine große Handtasche. Ich wollte Leyla nämlich gleich die Hausaufgaben und Einträge des Tages mitbringen. Madeleine beobachtete das Schauspiel mit hochgezogenen Augenbrauen, schüttelte dann den Kopf und war wieder in ihr Buch vertieft. „Ich bin dann weg!", rief ich und verließ das Haus. Schon krass wie schnell man jemanden vermissen konnte. Leyla war mir in letzter Zeit echt wichtig geworden und ich weiß mittlerweile echt nicht mehr was ich ohne sie machen würde. Ich lief meinen altbekannten Weg, den ich mittlerweile im Schlaf konnte. Meine „Lieblingsecke" hatte ich ohne jeglichen Zusammenstöße überstanden. Gleich war ich da. Plötzlich klingelte mein Handy in den Tiefen meiner Handtasche. Ich lief weiter, während ich versuchte mein Handy unter dem Schulzeug und anderen Mädchenkram zu finden. Gerade als meine Hände es ertastet hatten, stieß ich mit voller Wucht mit meiner Schulter gegen etwas, sodass mir meine Handtasche auf den Boden fiel und ihr gesamter Inhalt breitete sich über den Weg aus. Ich ließ mich sofort auf den Boden fallen um mein Zeug schnell aufzusammeln. Es waren Sachen rausgefallen, die nicht unbedingt für das Auge der Öffentlichkeit bestimmt waren (Ich glaub jeder weiß was gemeint ist). Mein Handy hatte natürlich schon aufgehört zu klingeln und die ganze Suchaktion war umsonst gewesen. Plötzlich kniete sich jemand neben mich und half mir die Sachen aufzusammeln. Mir fiel auf dass ich noch nicht mal wusste mit wem/was meine Schulter Bekanntschaft gemacht hatte. Ich blickte auf. Bitte nicht! Diese Sonnenbrille erkannte ich inzwischen auf 100 Metern. Ich spürte meine Angst wieder hochkommen, doch er lächelte mich schüchtern an, was meine Angst verschwinden lässt. Es war nur ein Traum, Vivienne. In echt würde er dich bestimmt nicht verletzten! Wer weiß, aber im Moment sah er aus als ob er nicht mal einer Fliege was zu Leide tun könnte. Als alles eingesammelt war stand ich auf. Er auch. „Danke", nuschelte ich. Ich hatte keine Ahnung wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte, nachdem was ich gestern gesagt hatte. Er anscheinend auch nicht. „Also langsam schuldest du mit was", meinte ich schmunzelnd, da mir nichts Besseres einfiel. Er grinste: „Klar. Lust auf nen Kaffee?" Okay, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Ich hatte mein Kommentar eigentlich ironisch gemeint, doch es war sein voller Ernst. Ich überlegte. Wollte ich wirklich mit jemanden aus meinen Albträumen Kaffee trinken gehen? Und was ist mit Leyla? Was Solls. Der Tag konnte eh nicht schräger werden. Hoffe ich zumindest.

Während mich der Junge, dessen Name ich immer noch nicht wusste, in die Innenstadt in ein kleines unscheinbares Café führte, erhaschte ich einen Blick auf mein Handy um zu sehen wer vorhin angerufen hatte. Es war Leyla. Sie hatte einmal angerufen und dann eine SMS geschrieben:
Hallo Vivi
Besser wenn du heute nicht kommst. Mir geht's echt übel und ich will nicht dass du dich ansteckst. Hoffentlich sehen wir uns morgen wieder!
Hab dich lieb
Leyla xxx
Das passte ja wie die Faust aufs Auge. Beruhigt steckte ich mein Handy weg und trat in das kleine italienische Café namens „Mocca Torium". Nachdem er der Bedienung zugenickt hatte führte er mich zu einem Tisch für zwei Personen ganz in der Ecke. Er war eindeutig nicht zum ersten Mal hier. Schüchtern ließ ich mich nieder und er musterte mich. Ich hasste diese Momente, von jemanden eingeschätzt zu werden und nichts dagegen tun zu können. Er räusperte sich: „Nun... Was möchtest du trinken?" Ihm schien nichts Besseres eingefallen zu sein und ich ging darauf ein: „Einen Tee, bitte." Er nickte, winkte die Bedienung herbei und bestellte einen Tee und einen Latte Macchiato. Als die Bedienung verschwand, folgte unangenehmes Schweigen. Plötzlich lachte er auf. Ich schaute ihn etwas verwirrt an und er erklärte lachend: „Mir fällt gerade auf, dass ich noch nicht mal deinen Namen weiß." Er hatte Recht. Ich hatte auch keine Ahnung wie er hieß. „Ich bin Vivienne und du?" Ich lächelte. Er lächelte zurück und zog seine Mütze vom Kopf. Ein dunkler Undercut kam zum Vorschein. „Ich bin Zayn...", murmelte er und setzte seine Sonnenbrille ab, „Zayn Malik."

Idiot oder MistkerlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt