Nachhilfe

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„NEIN!!!“, entfuhr es mir eindeutig zu laut war. Mrs. Granger hatte gerade die neuen Formeln an die Tafel geschrieben, und blickte mich nun erstaunt an: „Miss Kandor, falls Sie irgendetwas an meinem Unterricht zu bemängeln haben, sprechen Sie mich nach der Stunde darauf an, statt ihn derartig zu stören.“ Auch Ben, der zwei Tische neben mir saß, hatte mein Geschrei mitbekommen (so wie der Rest der Klasse) und lächelte mich schief an, was meine Gedanken wieder zu Leylas Vorschlag zurückkehren ließ. Nachhilfe mit Ben. Bitte, bitte hab ich mich verhört! Bitte, lieber Gott, sei gut zu mir! Mach, dass das nicht wahr ist! Vielleicht hat sie ja auch „Ken“ gesagt und ich habe es nur falsch verstanden, was gut möglich wäre, denn  Mrs. Grangers schrille Stimme im Hintergrund, ist wie ein Tinnitus im Ohr.
„Wieso? Ben kann echt gut erklären, vor allem Physik. Er hat mir auch schon oft geholfen“, meinte sie und schielte zu ihrem Bruder, der sich wieder dem Unterricht gewidmet hatte, aber sich auch ziemlich zu langweilen schien. Also doch Ben. Mist.
„Ich halte nicht sehr viel von Ben…“, murmelte ich, worauf mir Leyla einen ihrer „Jaja-schon-klar“-Blicke zuwarf und meinte: „So wie du meinen Bruder immer angaffst, kann ich dir das gar nicht glauben. Man könnte fast meinen, du willst was von dem!“
„WAS? NEIN!“
„Miss Kandor! Noch einmal und ich gebe Ihnen einen Verweis wegen mehrfacher Störung des Unterrichts!“ Sie drehte sich wieder zur Tafel und schüttelte den Kopf, während sie etwas murmelte, was stark nach „das gibt’s doch nicht“ klang.
„Man, kannst du nicht mal leiser reagieren?“, zischte Leyla.
„Sorry...“, nuschelte ich, „aber deine Behauptung ist trotzdem falsch. Ich will nichts von Ben!“ Leyla schien mir nicht ganz zu glauben aber meinte dann:
„Gut, dann brauch ich mir ja keine Sorgen machen. Wäre eh total bescheuert wenn du was von meinem Bruder wollen würdest.“ Sie zwinkerte, was ich mit einem quälenden Lächeln erwiderte, doch Leyla sprach schon weiter: „Also dann um 15:00 Uhr bei mir. Ich klär das mit Ben.“ Ich öffnete meinen Mund um noch etwas erwidern, doch die laute Schulglocke bremste mich und Leyla rauschte schon aus dem Raum, ohne eine Antwort ab zu warten.

Soll ich? Soll ich nicht? Soll ich? Bevor ich weiter nachdenken konnte, drückte mein Finger die goldene Klingel unter dem  Schriftzug „Clark“ und ich könnte mich im selben Moment dafür ohrfeigen. Man, ich hättet auch einfach nicht klingeln können, einfach nicht kommen und so tun als hättet ich den Termin gaaanz ausversehen vergessen. Dann morgen einen auf voll „Oh sorry, das habe ich ja total verplant!“ machen und ganz theatralisch an die Stirn fassen und am besten noch ein paar Tränen fließen lassen, damit es auch ja authentisch rüberkommt, aber NEIN ich dummes Kind muss ja natürlich kommen und klingeln. Jetzt gibt’s kein Zurück mehr. Im selben Moment surrte das Schloss, worauf ich das Tor leicht aufdrücken konnte. Zögerlich trat ich ein und schlenderte langsam den kleinen Weg hinauf zur Haustür. Kaum an der Tür angelangt, öffnete sich diese schon und Ben stand lässig in der Tür mit seinem typischen selbstsicheren Grinsen. Er trug eine graue Jogginghose und ein hautenges weinrotes Shirt, das mir einen verführerischen Anblick auf seine Muskeln bot, die ich ja schon mal ohne Stoff bewundern konnte.
„Ich habe gehört, du brauchst Nachhilfe?“ Er zwinkerte mir zu.
„Leyla meint das“, sagte ich achselzuckend und trat ein, nachdem er einen Schritt zur Seite gegangen war. Wie gewohnt wollte ich meine Jacke ausziehen, doch Ben kam mir zuvor und half mir von hinten meine Jacke auszuziehen, wobei er mich gelegentlich streifte, was ein Kribbeln in der Magengegend auslöste. „Ähm…danke“, stotterte ich und merkte wie meine Wangen heiß wurden. Oh man, werd jetzt nicht rot! Das ist doch genau sein Ziel!
Ich biss mir auf die Lippen  um meine Verlegenheit zu unterdrücken, doch Ben meinte schon: „Wollen wir hochgehen? Da ist mein ganzes Schulzeug und es ist wesentlich gemütlicher“ und zeigte hinter sich zur Treppe, die hinauf führte. Die Art wie er gemütlich betonte, ließ mich unbehaglich werden, doch ich folgte ihm langsam nach oben.
Sein Zimmer war groß. Sehr groß. Ein Kingsize Bett stand mit der Hinterseite an einer dunkelblauen Wand und ein großes Panoramaposter von New York in schwarz weiß hing darüber. An einer anderen Wand standen ein Bücherregal, das mit zahlreichen Büchern, CDs und DVDs gefüllt war, und ein Schreibtisch mit einem riesigen Lederschreibtischstuhl. Ein gigantischer blauer Teppich bedeckte den größten Teil des Paketbodens und ich musste zugeben. Es sah echt ganz gemütlich aus.
„Willkommen in meinem Reich!“, grinste Ben, breitete seine Arme aus, lief auf sein Bett zu und warf sich mich Schwung drauf. Ich schmunzelte. „Echt schön“, meinte ich.
„Komm her!“, rief Ben und klopfte neben sich auf sein Bett. Ich setze mich zu ihm, worauf er aufstand, sein Schulzeug holte und sich wieder näher als davor zu mir setzte.
„So, wobei brauchst du Hilfe? Was genau verstehst du nicht?“
„Einfach alles. Physik ist für mich ein unlösbares Rätsel.“
„Okay…“ Er kratzte sich am Kopf und schlug das Physikbuch auf. „Fangen wir mal ganz von vorne an.“
Und er fing an zu reden. Und zu reden. Und zu reden. Er ging mit mir einzelne Aufgaben durch und langsam kam Klarheit in meinen Kopf. Physik macht ja doch irgendwie Sinn. Doch eine Frage hatte ich doch: „Wieso bist du eigentlich so gut in Physik?“ Er lächelte und meinte: „Nun ja, ich mach das Jahr nicht zum ersten Mal.“ Oh, endlich ergibt es Sinn, dass er und Leyla in derselben Klasse sind. „Achso, verstehe.  Aber du bist ein guter Nachhhilfelehrer!“
„Das wollen wir ja mal sehen!“ Er rutsche näher zu mir hin, schob das Buch auf meinen Schoß und zeigte auf eine Aufgabe: „So, dann zeig mal was du kannst.“ Ich flog über die Aufgabenstellung und wie von alleine schrieb ich die Lösung auf den Block und rief: „Fertig!“ Er beugte sich zu mir und studierte meine Lösung, worauf er anerkennend nickte. „Und du bist eine gute Schülerin! Du lernst schnell.“
„Ich hoffe Mrs. Granger sieht das auch bald so. Meine Eltern werden mich killen, wenn sie von der Note hören“, murmelte ich. Tröstend legte Ben seinen Arm um mich und meinte: „Das wird schon. Wir können ja jetzt öfters zusammen lernen, dann wirst du so gut wie ich.“
Seine Nähe und seine netten Worte lösten ein wohliges Gefühl in mir aus. Er war heute so anders. Am Anfang war er noch so wie immer. So Machomäßig, aber jetzt? Wie ein anderer Mensch. Wie von allein legte ich meinen Kopf an seine Schulter.
„Danke.“
„Wofür?“
„Für deine Hilfe.“
Sein Arm zog mich noch enger an ihn und es fühlte sich gut an. Doch plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Leyla kam herein: „Hey Ben, ich wollte nur fragen…oh stör ich?“ Sie blickte uns amüsiert an, worauf ich mich schnell von Ben losriss. „Also…ich glaub…ich muss dann auch nach Hause“, stotterte ich und sprintete aus dem Raum. „Wir sehen uns morgen“, rief ich den beiden noch zu, während ich mit hochrotem Kopf die Treppe hinunterhechtete, doch Leyla war schneller und tauchte neben mir auf, gerade als ich die Tür öffnen wollte.
„Neee ich will nichts von Ben“, äffte sie mich mit übertrieben hoher Stimme nach.
„So rede ich überhaupt nicht!“
„Gesagt hast du’s aber und das gerade eben sah nach etwas ganz anderem aus“  Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute mich abwartend an. Sie hatte Recht, aber zugeben wollte ich das nicht.
„Na und? Er war einfach nur nett zu mir!“ „Ahja.“ Wie immer schien sie mir nicht zu glauben, aber sie hatte genauso wenig Lust auf Streit wie ich: „Sag doch einfach in Zukunft bitte die Wahrheit. Wenn du etwas von ihm willst ist das okay, aber lüg mich bitte nicht an.“
„Okay. Tut mir leid“, meinte ich, drückte sie zum Abschied und verließ das Haus. Mit Leyla konnte man sich einfach nicht streiten und das ist gut so.
Aber hatte ich sie wirklich angelogen? Weil ich will ja gar nichts von ihm, aber es  hatte sich so gut angefühlt als er seinen Arm um mich legte, ein unbeschreibliches Gefühl. Man, ich weiß einfach nicht was ich von dem ganzen halten soll. Ben war heute so anders. Schlag dir den Jungen aus dem Kopf, Vivienne! Du bist nur ein Spielzeug für ihn und Leyla würde es bestimmt auch nicht so gefallen, wenn du mit ihm zusammen kommen würdest auch wenn sie das momentan leugnet. Warts nur ab!
Während ich weiter über dieses ganze Gefühlschaos nachdachte, ging ich meinen altbekannten Weg nach Hause. Vom weiten sah ich schon das goldenen Tor meiner Villa und eine Person, die am dazugehörigen Zaun lehnte. Wer ist das? Beim Näherkommen erkannte ich langsam den Menschen und er schien auch mich entdeckt zu haben und kam mir entgegen. Oh nein, er ist jetzt das letzte den ich noch zu meiner Situation brauche, obwohl sich Freude in mir ausbreitete als ich sein Gesicht unter der Sonnenbrille erkannte.  Zayn trug ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht, was ihn noch attraktiver machte. Als ich bei ihm ankam, meinte er:
„Hey, ich hab schon auf dich gewartet.“

Idiot oder MistkerlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt