Thorin ließ sich keine Gelegenheit entgehen, mir zu zeigen, wie wenig er von mir hielt.
Größtenteils ignorierte er mich zwar, aber von Zeit zu Zeit warf er mir verächtliche Blicke zu, die mich dazu veranlassten, kurz davor zu stehen, ihn einfach aus dem Haus zu werfen.
Aber Gandalf, der in jeder Weise meine Hochachtung verdient hatte, schien wiederum große Stücke auf ihn zu halten, also musste ich den Prinzen wohl oder übel ertragen.
"Was gibt es Neues von dem Treffen in Ered Luin? Sind alle gekommen?", erkundigte sich Balin.
Die Zwerge hatten sich ein zweites Mal um meinen Esszimmertisch versammelt, Thorin am Kopfende.
Inzwischen war es beträchtlich dunkler geworden, und der flackernde Kerzenschein, durch den meine Hobbithöhle nun erhellt wurde, warf tanzende Schatten an die Wände.
Thorin nickte knapp. "Gesandte von allen sieben Königreichen."
Ich verzichtete darauf, mich zu erkundigen, um welche sieben Königreiche es sich handelte, sondern starrte nur zusammengesunken aus dem Fenster. Schließlich wollte ich mir nicht schon wieder unterkühlte Kommentare des Prinzen anhören müssen.
Die Zwerge erhoben erfreutes Gemurmel über Thorins Nachricht.
"Was sagen die Zwerge aus den Eisenbergen? Ist Dain an unserer Seite?", fragte Dwalin.
Thorin senkte den Blick.
"Sie werden nicht kommen. Sie sagen, dieser Auftrag ist unserer, und unserer allein."
Meine Neugier war geweckt. Worum könnte es sich handeln, dass die Zwergenheere sich nicht zusammenschlossen und miteinander loszogen? Warum hielten sie sich so bedeckt?
"Worum handelt es sich bei dem Auftrag?", bohrte ich also nach.
Thorin hatte bereits den Mund geöffnet, um mir eine zweifelsfrei unhöfliche Antwort zu geben, als er von Gandalf unterbrochen wurde.
"Weit im Osten", setzte der Zauberer an, "hinter Gebirgen und Flüssen, jenseits von Wäldern und Ödland, liegt ein einzelner, entlegener Berg."
Langsam ließ er seine Hand in die Manteltasche gleiten und zog eine alte vergilbte Karte hervor.
Vorsichtig faltete er sie auseinander und breitete sie auf dem Tisch aus.
Meine Augen brauchten einige Sekunden um sich an die dunklen Umstände zu gewöhnen.
"Der einsame Berg.", las ich leise vor.
Obwohl ich Schwierigkeiten hatte, ihre Schrift zu entziffern, faszinierte die Karte mich.
Bücher und Karten hatte ich schon immer über das echte Leben gestellt.
Abenteuer anderer Leute hatten mich mitgerissen und gefesselt, nicht der Klatsch der in Hobbiton erzählt wurde.
Ich interessierte mich nicht dafür, wer wen mit wem betrogen hatte, sondern wie der Held die Hürden, die ihm in den Weg geworfen wurden überwand und die Prüfungen bestand.
"Oin hatte die Zeichen gelesen, und die Zeichen besagen, dass es an der Zeit ist.", riss Gloin mich aus meinen Gedanken.
Oin nickte eifrig. "Raben, die zurück zum Berge fliegen, wurden gesichtet, so wie es vorhergesagt wurde."
Er machte eine kurze Pause, wie um sich sicher zu sein, dass ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit galt.
"Wenn die Vögel zurück zum Erebor kehren, so wird die Herrschaft des Ungeheuers enden.", zitierte er und sah in die Runde.
Verwirrt blickte ich von meinen Händen auf.
"Welches Ungeheuer?"
"Nun, dass würde sich wohl auf Smaug den Schrecklichen, diebischstes und größtes Ungeheuer unserer Zeit beziehen.", klärte Bifur mich auf. "Er ist ein Feuerspucker mit Klauen, wie Dolchen und Zähnen wie Schwertern, außerdem extrem anfällig für wertvolle Metalle-"
"Danke, ich weiß was ein Drache ist.", unterbrach ich ihn schroff.
Wir verfielen in Schweigen, bis schließlich Balin, der sich in den letzten Minuten kaum zu Wort gemeldet hatte, es wieder ergriff.
"Die Aufgabe wäre schon schwer genug mit einer Armee, die hinter uns steht. Aber wir sind bloß zu dreizehnt, und weder dreizehn der Besten, noch der Weisesten."
Sofort brachen die Zwerge in Protestgeheul aus, und die Wortfetzen, die zu mir hindurchdrangen brachten mich dazu zu grinsen.
"Wir mögen wenige sein, aber wir sind Krieger, alle von uns, bis zum letzten Zwerg!", erhob Fili seine Stimme über die der anderen.
"Und lasst uns nicht vergessen, dass wir einen Zauberer in unseren Reihen haben!", warf Kili ein. "Gandalf hat zu seiner Zeit sicherlich Hunderte von Drachen getötet!"
Sofort richteten sich alle Blicke erwartungsvoll auf Gandalf.
"Oh, also, nun, uh, ich würde nicht sagen, dass-", begann Gandalf vorsichtig, wurde aber sofort von Dori unterbrochen.
"Wie viele?"
Verwirrt starrte Gandalf ihn an. "Wie meinen?", erkundigte er sich.
"Nun, wie viele Drachen Ihr getötet habt. Gebt uns eine Zahl!", rief Dori ungeduldig.
Peinlich berührt begann Gandalf zu husten, woraufhin die Zwerge wieder in ohrenbetäubendes Protestgeheul ausbrachen.
Langsam ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, bis er schließlich an Thorin hängen blieb.
Er hatte sich als einziger nicht erhoben, sondern saß nach wie vor angespannt an seinem Platz und starrte seine Gefährten an.
Als es absehbar war, dass diese sich nicht so schnell wieder beruhigen würden, erhob Thorin sich.
"Shazara!", brüllte er. Sofort verstummten alle Zwerge und richteten ihren Blick auf den Prinzen. "Wenn wir diese Zeichen gesehen haben, glaubt ihr etwa nicht, dass andere sie ebenfalls sehen werden? Gerüchte machen die Runde. Der Drache Smaug ist seit vielen Jahren nicht mehr gesehen worden. Viele blicken nach Osten zum Berge, wägen die Gefahr ab. Die ungeheuren Reichtümer unserer Vorväter mögen unbewacht sein. Lehnen wir uns zurück, während andere beanspruchen, was unseres ist? Oder ergreifen wir die Möglichkeit den Erebor zurückzuerobern? Du Bekâr! Du Bekâr!"
Sofort brachen die Zwerge wieder in zustimmendes Geschrei aus, und unwillkürlich fragte ich mich, wie sie es bei diesem ständigen Geräuschpegel miteinander aushalten konnten.
"Du vergisst eines.", unterbrach Balin das Triumpfgeheul der Zwerge. "Das Haupttor ist versiegelt. Es gibt keinen Weg in den Berg."
Gandalf beugte sich vor und legte einen großen, eisernen Schlüssel auf den Tisch.
"Das, mein lieber Balin, ist nicht vollkommen wahr."
Er war etwa so groß wie meine Hand und mit kunstvollen Verzierungen versehen.
"Wie seid Ihr ihn seinen Besitz gekommen?", fragte Thorin argwöhnisch und besah sich den Schlüssel genauer.
"Thrain, dein Vater, hat ihn mir zur Aufbewahrung überlassen. Er gehört nun dir."
Gerade als ich versuchte einen erneuten Blick auf den Schlüssel zu erhaschen, ließ Thorin ihn in seine Manteltasche gleiten.
"Wenn es einen Schlüssel gibt, so muss es auch eine Tür geben.", rief Fili begeistert.
Gandalf nickte. "Diese Runen", er deutete auf eine Ansammlung seltsamer Zeichen auf der Karte, "besagen, dass es einen versteckten Durchgang zu den tiefer gelegenen Hallen gibt."
"Es gibt einen weiteren Weg hinein!" Kilis Stimme spiegelte die erleichterten Gesichtsausdrücke der Zwerge wider.
"Vorausgesetzt wir finden ihn.", warf Gandalf ein. "Zwergentüren sind im geschlossenen Zustand unsichtbar. Die Antwort liegt irgendwo in dieser Karte verborgen, und ich bin nicht im Besitz der nötigen Fähigkeiten um es herauszufinden. Aber es gibt andere in Mittelerde die dazu fähig wären.
Das was ich vorhabe wird viel List erfordern und auch nicht gerade wenig Mut. Wenn wir aber vorsichtig und schlau handeln, glaube ich kaum, dass sich das als Problem herausstellen sollte."
"Darum brauchen wir einen Dieb!", rief Ori begeistert.
Auch mir begann der Plan langsam einzuleuchten.
"Einen guten, einen Experten!", spekulierte ich begeistert.
"Und seid Ihr das?", erkundigte Gloin sich.
Verwirrt sah ich ihn an. "Bin ich was?"
"Hört hört. Sie sagt sie sei eine Expertin."
"I-i-ich?", stotterte ich, von der Wendung die dieses Gespräch genommen hatte, überrascht. "Nein. Nein. Nein. Ich bin keine Diebin; ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas gestohlen!"
"Ich muss mich bedauerlicher Weise der jungen Frau Baggins anschließen. Auf mich wirkt sie kaum wie eine Diebin.", mischte Balin sich ein.
Ich nickte heftig.
"Die Wildnis ist kein Ort für sanftmütige Wesen, die weder kämpfen noch sich zu verteidigen wissen.", stimmte Dwalin seinem Bruder zu.
Sofort begannen die Zwerge wieder lauthals zu diskutieren.
"Genug jetzt!", knurrte Gandalf. Plötzlich wirkte der Zauberer bedrohlich wie nie zuvor. "Wenn ich sage, dass Bella Baggins eine Diebin ist, so ist sie auch eine Diebin."
"Außerdem", setzte er wieder ruhiger hinzu. "sind Hobbits außergewöhnlich leise. Sie können unbemerkt an jedem vorbeikommen, wenn sie wollen. Und der Drache ist auf den Geruch von Zwergen fixiert, der von Hobbits ist ihm völlig unbekannt, was uns einen bedeutenden Vorteil verschafft.
Du hast mich gebeten den vierzehnten Mann- in unserem Fall Frau- für diese Mission zu finden, und ich habe Bella Baggins auserwählt. In ihr steckt sehr viel mehr als ihr Äußeres vermuten lassen könnte, und sie hat weit mehr zu bieten als jeder von euch ahnt, sie selbst mit einbezogen. Ihr müsst mir in diesem Fall einfach vertrauen."
Thorin bedachte mich ein letztes Mal mit einem abfälligen Blick, bevor er sich an Gandalf wandte. "Gut. Dann machen wir es auf Eure Art. Gebt ihr den Vertrag."
Ehe ich auch nur ein Wort des Protestes anbringen konnte, wurde mir schon ein Pergament in die Hand gedrückt, welches sich nach zweitem Hinsehen als der Vertrag herausstellte.
Langsam stand ich mit dem Pergament in der Hand auf und verließ den Raum, da ich mich bei dem ständigen Gebrabbel der Zwerge kaum konzentrieren konnte.
"...Bedingungen: Anteil an Gesamtgewinn, wenn vorhanden, nicht höher als ein vierzehntel. Scheint gerecht.", überflog ich leise den Anfang.
Die folgenden Abschnitte übersprang ich, bis mir kurz vor Schluss ein paar unschöne Worte ins Augen fielen.
"Platzwunden? Ausweidung? Verbrennung?", las ich ungläubig vor.
"Er brennt dir das Fleisch in einem Wimpernschlag von den Knochen.", erklärte mir Bofur, mit einer Stimme mit der ich jemandem den Düngvorgang in einem Garten beschrieben hätte.
Ein leichtes Schwindelgefühl ergriff mich.
"Alles in Ordung?", fragte Bofur, der von meinem Unwohlsein bemerkt hatte.
"Ja.", murmelte ich. "Mir ist nur leicht schwindelig."
Erleichtert fuhr er mit seiner Erklärung fort. "Denk an einen Ofen mit Flügeln."
Das Schwindelgefühl verstärkte sich, und machte es mir beinahe unmöglich auf den Beinen zu bleiben.
"Ein Lichtblitz.", redete Bofur unbekümmert weiter. "Brennender Schmerz. Dann- Poof. Du bist nur noch ein kleines Häufchen Asche."
Plötzlich wurde mir auch noch schlecht. Meine Sicht begann zu verschwimmen und wurde zunehmend dunkler. Dann knickten meine Beine unter mir weg, und das Letzte was ich spürte, bevor mich die Finsternis überwältigte, war der harte Boden.•
"Mir geht es gut, lasst mich bloß noch einen Moment dasitzen.", versuchte ich Gandalf abzuwimmeln.
"Du saßt hier schon viel zu lange! Sag mir; wann sind die Deckchen und Teller deiner Mutter dir so wichtig geworden? Ich erinnere mich an ein kleines Hobbit Mädchen, dass immer weggerannt ist, auf der Suche nach Elben in den Wäldern, das lange draußen geblieben ist, und nach Einbruch der Dunkelheit zurück nach Hause gekehrt ist. Dieser junge Hobbit hätte nichts lieber getan, als herauszufinden, was sich hinter den Grenzen des Auenlandes befindet.
Die Welt ist nicht in deinen Büchern und Karten, sie ist dort draußen!"
"Ich kann nicht einfach abhauen! Ich bin eine Baggins, aus Bag End.", protestierte ich, sobald der Zauberer ausgeredet hatte.
"Du bist aber auch eine Took. Wusstest du, dass dein Ur-Ur-Ur-Uronkel, Bullroarer Took, so groß war, dass er sogar ein echtes Pferd reiten konnte?"
"Ja." Ich verdrehte die Augen. Es war klar gewesen, dass Gandalf diese Geschichte erwähnen würde.
"Nun, er konnte. In der Schlacht der Grünen Felder bot er den Goblin Reihen die Stirn. Er schwang seinen Knüppel so fest, dass er den Goblin Königs Kopf fein abtrennte, und ihn einhundert yards durch die Luft fliegen und in einem Kaninchenbau verschwinden ließ. So war die Schlacht gewonnen und gleichzeitig das Golfspiel erfunden."
Ich sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. "Ich bezweifle, dass Ihr diese Geschichte nicht erfunden habt."
"Nun, alle guten Geschichten verdienen ein bisschen Verschönerung. Du wirst auch die eine oder andere zu erzählen haben, wenn du zurück kommen wirst."
Ich schwieg.
"Könnt Ihr mir versprechen, dass ich zurück kommen werde?", fragte ich plötzlich leise.
Gandalf seufzte, und sah mich aus traurigen Augen an.
"Nein. Und wenn, dann wirst du nicht mehr die Gleiche sein."
Ein plötzliches Gefühl der Trauer ergriff mich. Ich wollte Bag End nicht verlassen, ich wollte nicht anders sein.
"Das habe ich mir gedacht.", murmelte ich bitter. "Es tut mir Leid, Gandalf, aber ich kann das nicht unterschreiben. Ihr habt den falschen Hobbit ausgewählt."
Ohne ein weiteres Wort schlug ich die Decke zur Seite, stellte die Tasse, die ich zwischen den Händen gehalten hatte auf den Boden und stand von meinem Armsessel auf.
Mit einem letzten entschuldigenden Blick Richtung Gandalf verließ fluchtartig ich den Raum.
Ich hatte meine Entscheidung getroffen.•
Hey♥
Zuerst einmal ein frohes neues Jahr:) Ich hoffe eurer Jahr 2014 war ein voller Erfolg, und 2015 wird noch besser werden♥︎
Ich habe mich in diesem Kapitel als Versuch sehr dicht an das Drehbuch gehalten, werde es Zukunft aber eher vermeiden, da man sich so nicht wirklich frei fühlt. Leider konnte ich nur das englische auftun, habe also alles übersetzt, somit könnte es von der deutschen Filmversion doch etwas abweichen.
Dieses Kapitel möchte ich schneewittchenfalle widmen, weil sie toll ist, genauso wie ihre Thorin Geschichte! Schnuppert mal rein, ihr werdet es definitiv nicht bereuen!♥
Wie immer freue ich mich über Votes und Reads.♥
#plantyourtrees
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Burning Gold
FantasyEs ist ein Tag wie jeder in Hobbiton als Bella Baggins' Leben völlig auf den Kopf gestellt wird. Von einer Sekunde auf die andere ist ihr ganzes Haus voller Zwerge, die fest davon überzeugt sind, dass sie die perfekte "Meisterdiebin" für ihre Missi...