Kapitel 8 (+100 Reads Artwork)

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Die Temperaturen waren den ganzen Tag nicht gestiegen und meine Jacke flatterte im Wind hinter mir, während ich mit dem Fahrrad auf dem Weg zu meiner ersten Therapiestunde in einem Monat war. Ich hatte überhaupt keine Lust und seit der letzten Stunde hatte sich bei mir eh nichts verändert, also war das hier nur verschwendete Lebenszeit.

Über meine Kopfhörer spielten R'n'B Beats von Young Kira & THANI, während ich die Textzeilen sang, die sich anfühlten wie aus meiner Seele geschnitten. Den Originalsong hatte ich nie gehört, lediglich die Beats, aber es reichte mir. Man konnte allein durch den Beat die Gefühle des Songs fühlen und das war alles, was für mich zählte. Ich hatte lange gesucht, bis ich auf passende Beats gestoßen bin, aber dass sie gerade im deutschsprachigen Raum zu finden waren, hätte ich nicht gedacht.

Das Haus meines Therapeuten kam in Sicht und ich zog meine Kopfhörer vom Kopf. Mathias musste mich nicht unbedingt so auf dem Fahrrad sehen, mir war schon klar wie gefährlich es war, aber es interessierte mich einfach nicht. Eine Standpauke meines Therapeuten hingen war viel nerviger, also tat ich was getan werden musste, um das vorzubeugen.

Wenn über seinen Urlaub alles gleich geblieben war, hatte er vor und nach mir keine Termine, also drückte ich nachdem ich mein Fahrrad abgestellt hatte direkt auf die Klingel. Mathias arbeitete von Zuhause aus und er wohnte in einem eigenen Haus, so weit weg von irgendeinem Bahnhof, dass ich es einfacher fand mit dem Rad zu fahren. Und ich hasste es Rad zu fahren.

Mathias machte eine Minute später mit einer Tasse Kaffee in der Hand die Tür auf, auf welche er entschuldigend zeigte, mit den Worten:

,,Ich bin seit vier auf den Beinen''.

,,Ist gut, wenn du nicht so weit außerhalb wohnen würdest währe ich pünktlich mit der Bahn hier und nicht zu früh mit dem Rad'' entgegnete ich grinsend, während ich meine Schuhe auszog und meinen Rucksack daneben fallen ließ. Das Haus hatte noch immer den normalen Lavendel Geruch, der mich direkt etwas schläfrig machte und an den ich mich die vergangenen zwei Jahre so sehr gewöhnt hatte.

,,Das habe ich von dir ja jetzt nicht nur einmal gehört.'' erwiderte Mathias ebenfalls grinsend und ging mit mir zusammen in den Raum, von dem ich noch immer nicht wusste, ob es ein Behandlungs- oder Wohnzimmer war. Ich ließ mich direkt auf meinen alten Platz fallen, auf dem weißen Sofa in der Ecke. Mathias grinste und setzte sich in den Sessel gegenüber.

Der ganze Raum hatte sich über den letzten Monat nicht verändert. Zwar hatte Mathias gesagt er würde den Raum umgestalten, war aber anscheinend darüber hinweggekommen. Der ganze Raum war noch immer hell, vor allem weiß, eingerichtet. In den Regalen standen Spiele und Bücher, auf dem Tisch daneben lagen Papier und Stifte.

,,Wie läuft's so bei dir?'' riss Mathias mich aus meinen Gedanken und ich sah wieder zu ihm. Jetzt sollte ich erzählen, was in meinem Leben passiert war. Mit einem einfachen gut würde er sich nicht zufrieden geben.

,,Ziemlich gut. Ich war letzten auf Nadjas Abschlussparty, wie bei Ole damals. Weil sie ja jetzt 18 ist. Das wird bei uns aber nicht gefeiert. Nur der Tag davor, bevor man erwachsen wird sozusagen. Wir haben ihr auch zum 18. nicht geschenkt und ihre Eltern waren sowieso nicht da. Und ich habe ein Mädchen kennengelernt. Also...nicht so kennengelernt. Einfach...Bekannte. Sie heißt Melissa und hat letztes Jahr die Schule beendet. Joa. Das war's''

Mathias nickte zufrieden. Vermutlich sah er Fortschritte darin, dass ich mich mit anderen Leuten traf und etwas offener war. Wenn er wüsste...

,,Hast du dein Tagebuch weitergeführt?''

Dieses gottverdammt Tagebuch... natürlich hatte ich es weitergeschrieben. Oder eher in Stichpunkten geführt, um das Ganze hier nicht ganz umsonst sein zu lassen. Ich hatte es über die letzten Sommerferien überhaupt nicht geführt und generell nichts getan, um die Therapie voranzutreiben. Letztes Jahr war echt mein Tiefpunkt gewesen. Notentechnisch, sozial und in allem anderen. Ich hatte gerade noch die Kurve bekommen, um nicht in die Klinik gehen zu müssen. All das war zu einem großen Teil meinen Freunden zu verdanken, die in der Zeit so für mich da gewesen waren, wie ich es gebraucht hatte. In den Phasen, in denen ich mich nicht einmal aus dem Bett bewegen konnte, waren sie zu mir gekommen und hatten dafür gesorgt, dass ich grundlegende Dinge auf die Reihe bekam. Meine Eltern hatten dank ihnen den Großteil meiner Phasen nicht mitbekommen und nur durch meine Noten und selten durch mein Verhalten ahnen können, was los war.

PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt