Ein Telefonat

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„Na meine Süßen, werdet ihr mich vermissen?“, fragte ich die kleinen Mädchen, die ins Esszimmer gestürmt kamen.

„Bitte bleib noch ein bisschen da!“, bettelte die fünf jährige Katharina und kuschelte sich an meinen Arm.

„Das geht leider nicht, ich muss arbeiten, weißt du.“, meinte ich und hob Julia, meine zweite Nichte auf meinen Schoß.

„Kommst du uns bald wieder besuchen?“, fragte sie mich mit großen Augen.

„Natürlich! Zu Weihnachten bin ich wieder da. Dann bring ich euch tolle Geschenke mit.“, versprach ich und die Kleinen jubelten.

„Katharina, Julia! Lasst euren Onkel doch mal in Ruhe sein Frühstück essen.“, meinte Johannes, als er den Raum betrat.

Die Mädchen drückten sich noch etwas enger an mich und ich legte den Arm um sie.

„Das passt schon so. Ich kann ja mit einer Hand essen.“, sagte ich grinsend zu meinem Bruder, während meine Nichten kicherten.

„Wann willst du losfahren?“, wollte Johannes wissen, während er gegenüber von mir Platz nahm.

„In ein, zwei Stunden, denk ich. Sonst schaff ich es nicht nach Hause, bevor es dunkel wird.“, antwortete ich und biss in mein Brot.

Seit der letzten Show in Bregenz waren mehrere Tage vergangen. Schon am Abend nach der Vorstellung war ich zu meinen Eltern gefahren. Danach war ich drei Tage bei meinem Onkel und nun hatte ich noch zwei Tage bei meinem Bruder und seiner Familie verbracht, er wohnte nicht einmal eine Stunde von unseren Eltern entfernt. Manchmal beneidete ich ihn dafür, dass er in Vorarlberg wohnen konnte. Wien war zwar schön, aber ich vermisste manchmal die Ruhe und Einsamkeit und natürlich die Berge, die gingen mir am meisten ab.

„Kann ich mit dir mit nach Wien kommen?“, fragte Katharina und zupfte mich an meinem T-Shirt.

„Nichts lieber als das, aber ich glaub dann würden dich deine Mama und dein Papa ganz doll vermissen.“, meinte ich und strich ihr übers Haar.

„Aber wir können euren Onkel ja mal alle besuchen fahren.“, meldete sich Anna, Johannes Frau, die gerade in den Raum getreten war.

„Ohja!“, riefen die Mädchen begeistert.

„Ihr könnt natürlich jederzeit vorbei kommen.“, bestätigte ich grinsend.

„Dann würde ich auch endlich mal wieder meine liebe Schwester sehen. Wie geht es der Jenny denn so? Ich hab gestern mit ihr telefoniert, sie war ganz glücklich und hat irgendetwas über einen Mann geredet. Weißt du darüber etwas Genaueres?“, fragte mein Bruder grinsend, während mir fast das Herz stehen blieb.

War es jetzt also doch passiert? Ich hatte doch gewusst, dass es keine gute Idee war, Jenny alleine zu lassen, schon gar nicht wenn Jörn in der Stadt war. Was würde ich wohl vorfinden, wenn ich nach Hause kam? Bei dem Gedanken bekam ich eine Gänsehaut und mir kam es vor, als wäre es schlagartig kälter geworden.

„Alles okay mit dir, Oliver?“, fragte Johannes besorgt und ich lächelte gezwungen.

„Ja, alles bestens.“, behauptete ich mit krächzender Stimme, während sich mein Kopfkino schon einschaltete und ich Jenny und Jörn wild küssend in meiner Wohnung sah. Schlagartig wurde mir etwas übel und ich begann sogar zu zittern.

Das konnte alles nicht wahr sein. War Jörn deswegen so seltsam gewesen, weil er gewusst hatte, was bevor stand? Wie um Himmelswillen sollte ich das überleben?

Während ich noch immer Panik schob, sah mich Johannes besorgt von der Seite an. Ich beschloss mich noch die letzten Stunden zusammen zu reißen, ich wollte nicht, dass meine Familie davon etwas mitbekam. Im Auto würde ich noch genug Zeit haben, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Jedes Blatt hat zwei Seiten (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt