Teil 6

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Es dauerte eine Weile, bis von innen das Klicken mehrerer Schlösser und Ketten zu hören war. Die Tür öffnete sich und eine Frau mittleren Alters mit grauem Dutt schaute heraus.
„Marie!", rief sie freundlich. Die beiden umarmten sich.
Mich sah sie mit spitzem Blick an.
„Bist du ihr Freund?"
Wir wechselten betretene Blicke.
„Ja, also, eigentlich... kennen wir uns noch nicht so lange."
„Ich bin Conrad", schob ich noch schnell hinterher.
„Na dann kommt mal herein, ich habe gerade Kaffee aufgesetzt."

Unsere Schuhe und Jacken zogen wir im Flur aus und folgten ihr in ihre Wohnung.
Ob es unordentlich war oder ob es ein System gab, welches nur sie durchschaute, war mir nicht ganz klar. Papierstapel türmten sich wie Raumteiler in den Zimmern auf, Gläser mit Inhalten, die sowohl Experiment als auch Nahrungsmittel sein konnten, standen in Sammlungen auf den Schränken und Grünes aller Art wuchs auf den Fensterbänken. Maries Beschreibung einer Ökotante war passend, wenn nicht sogar eine Untertreibung.
„Wollt ihr auch einen Kaffee?"
„Ich gerne", sagte Marie.
„Und du?"
„Äh, nein danke."
Sie huschte wieder in die Küche und kam kurz darauf mit zwei Tassen Kaffee, Milch und Zucker zurück.
„Setzt euch, setzt euch."
Wir ließen uns auf einer gelb bezogenen Couch nieder, sie setzte sich auf einen Holzstuhl.
„So, warum seid ihr denn hier?", fragte sie, während sie sich Sojamilch in ihren Kaffee schüttete.
Wir wechselten überfragte Blicke.
„Ihr zwei Schätzchen müsst mir schon sagen, was los ist, denn mein Bauchgefühl sagt mir, dass ihr etwas auf dem Herzen habt. Und helfen kann ich euch nur schwer, wenn ihr mir nichts erzählt."
Ich sah zu Marie. Ihr besorgter Blick war deutlich genug, um zu sagen, dass die Wahrheit momentan wahrscheinlich nicht das Beste ist.
„Ihr habt doch nicht etwa finanzielle Gründe mich zu besuchen, nicht?", scherzte sie.
„Nein, das nicht", begann ich, „Maries Mutter geht es im Moment nicht so gut. Wahrscheinlich hat sie die Grippe erwischt und wir wollten uns nicht anstecken."
Sie nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und setzte diese wieder ab. Mit hochgezogenen Augenbrauen nickte sie dann zustimmend.
„Absolut richtig. Die Ansteckungsgefahr sollte man nicht unterschätzen. Viele beachten das gar nicht."
Scheinbar hatte ich mit dieser Ausrede genau den Gesundheitsgeist in ihr getroffen.
„Und warum bist du dabei? So wie ich das verstanden habe bist du ja nicht ihr Freund."
„Tante Evelin!", kam es entrüstet von Marie.
„Ich frage ja nur."
„Schon gut", sagte ich, „Wir wollten uns sowieso ein wenig kennenlernen und wir dachten, dass wir jetzt deshalb nicht den Kontakt verlieren. Natürlich nur, wenn das in Ordnung ist."
„Das kriegen wir schon hin. Einer von euch kann auf dem Sofa schlafen und eine Matratze habe ich auch noch."
„Super, vielen Dank!"
„Ist doch keine Ursache."
Sie verschwand mit ihrer inzwischen leeren Tasse in der Küche. Ich sah mich im Raum um und dachte über die heutigen Ereignisse nach. Es war ein wirklich chaotischer Tag und eine Pause war nun mehr als notwendig. Einige der Dinge, die heute geschehen waren, schienen mir immer noch nirgends anders als in Alpträumen möglich zu sein. Als könnte ich meine schlechten Gedanken einfach damit aus meinem Kopf schaffen, atmete ich mit geschlossenen Augen einmal tief ein und wieder aus.
1... 2 ... 3 ... 4 ... 5
Mit einem finalen langen Ausatmen öffnete meine Augen wieder. Ich bemerkte, dass Maries besorgte Blicke mich trafen. Mit einem ruhigen Lächeln versicherte ich ihr, dass es nichts gab, worüber man sich sorgen sollte. Doch mich selbst konnte ich mit einem einfachen Lächeln nicht täuschen. Meine eigenen Sorgen ließen sich leider nicht so einfach beschwichtigen. Nachdenkend zupfte ich an meinem Ohrläppchen und durchbohrte mit leerem Blick die verdorrte Petersilie auf dem Fenstersims, als wüsste sie die Antwort auf meine Fragen.

Auch als wir später einen Film schauten, konnte ich mich kein Stück darauf konzentrieren. Immer noch wollten die gleichen Gedanken in meinem Kopf keine Ruhe geben. Bei dem Gedanken an Zoey drehte sich jedes Mal mein Magen um. Dass ich heute kaum etwas gegessen hatte, trug wohl auch nichts Positives dazu bei. Immer wenn ich daran dachte, dass ich nie wieder die Zoey, die ich kannte, treffen würde, machte mir wirklich zu schaffen.
Nachdem wir zu Abend gegessen hatten und es inzwischen draußen dunkel geworden war, machten wir uns langsam bettfertig. Obwohl die Übernachtung sehr spontan und ohne jegliche Ausstattung dazu stattfand, ließen sich doch alle Dinge, die wir brauchten, finden.
Mit offenen Augen lag ich mit dem Rücken auf der Matratze. Ich lag bequem, besonders für eine spontane Unterkunft, aber trotzdem starrte ich an die Decke, anstatt zu schlafen. Ich blickte auf den gelegentlich aufblinkenden Rauchmelder über mir und wünschte, dass ich irgendeine Möglichkeit hätte das alles zu verhindern. Wenn ich doch irgendetwas tun könnte...

Eine neue Welt - Eine ABDL-GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt