Teil 8

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Auf dem Weg ging ich noch einmal alles durch, wir besprochen hatten und rief nochmal jeden Schritt auf. Mein Handy war aufgeladen und ich war bereits in der Rolle des Testers. Auch mein Instrument zum Sammeln von Beweisen war bereit. Nur die Kamera meines Mobiltelefons sah aus meiner Hosentasche und selbst die war kaum zu erkennen, konnte aber alles problemlos filmen. Ich konnte meinen Herzschlag in den Ohren hören, aber ich versuchte mich auf das Wesentliche zu fokussieren und nicht nervös zu werden.
Obwohl die Uhrzeit momentan keineswegs von Bedeutung war, ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich nervös auf die tickenden Zeiger blickte.
„14:07, 14:07, 14:07..."
Beim plötzlichen Schlag am Arm  schrak ich auf. Die Frau, die ich angerempelt hatte, warf mir einen brüskierten Blick zu, bevor sie sich wieder umdrehte und weiterging. Mein „Entschuldigung" kam wohl auch zu spät, angenommen sie hatte es überhaupt gehört.
Bevor ich den Plan ein zweites Mal durchgehen konnte, stand ich bereits vor dem Bürogebäude. Wie vor einem langen Tauchgang holte ich ein letztes Mal tief Luft und schritt durch die Vordertür.
Mit selbstbewusstem Gang ging ich durch die Eingangshalle auf den Aufzug zu und drückte die Taste.
Hätte ich den Aufzug nicht mit einer älteren Dame, die mich kritisch musterte, teilen müssen, hätte ich im Spiegel noch einmal meine Haare gerichtet. Zwar war meine Absicht hier weder ein Vorstellungsgespräch, noch musste ich jemanden von mir überzeugen. Doch trotzdem tat ich mein Bestes, um den jungen, unerfahrenen Tester mit finanziellen Beweggründen in mir zu wecken.
Auf der 12. Etage öffneten sich die Türen des Aufzugs. Hinter einer Glastür mit Metallrahmen konnte ich eine Rezeption erkennen. Ich drückte die Klingel neben dem Schild, auf dem der Schriftzug „Wathos" in modernem Stil in eine Metallplatte eingraviert war.
Die Tür sprang auf und die füllige Frau hinter der Theke warf mir nur einen missbilligenden Blick zu.
„Ich wollte gerne die neuen Produkte testen."
Mein Ziel war es, möglichst schnell das ganze hinter mich zu bringen, also kam ich direkt zum Punkt. Sie setzte sich ihre Lesebrille auf und kramte eine Liste hervor.
„Haben Sie denn angerufen?"
Das hatte ich nicht.
„Nein, habe ich nicht."
„Das ist ungünstig. Sie müssen sich vorher anmelden."
Mit all dem Selbstvertrauen, das ich besaß, tat ich so, als sei das gar kein Problem.
Demonstrativ warf ich einen Blick den Gang entlang ins Wartezimmer.
„Da sind aber noch einige Stühle frei."

Am Ende des Ganges wartete das Wartezimmer auf mich, bei dem genauso wenig an Designereinrichtung wie auf dem ganzen Stockwerk gespart wurde. Es waren noch zwei weitere Personen dort, die sich die Zeit mit Zeitschriften lesen vertrieben. Mit einem kurzen Nicken begrüßten wir uns. Ebenfalls schnappte ich mir ein Magazin vom Tisch in der Mitte und begann zu lesen. Erst dann fiel mir ein, dass es wohl nicht unklug war, jetzt anzufangen zu filmen, denn ich würde wohl kaum Zeit haben, den Aufnahmeknopf zu drücken, wenn ich aufgerufen würde und mein Handy in meiner Hosentasche war. Also zog ich mein Mobiltelefon aus der Tasche und startete ein Video. Folglich steckte ich mein Handy wieder so ein, dass nur die Kamera zu erkennen war.
Mehrere Male streckte ich meine Finger aus und ballte sie wieder zu einer Faust zusammen. Zur Ablenkung betrachtete ich die beiden Personen, mit denen ich das Wartezimmer teilte. Vom Alter her konnten die beiden ein Paar sein, das sie an beiden Enden des Raumes Platz genommen hatten, sprach jedoch nicht sonderlich dafür. Der Mann brauchte beinahe zwei Stühle, während der der Frau noch Platz für ihre Handtasche ließ.
Der Gedanke, dass diese Personen ebenfalls Windeln tragen würden, wäre unter anderen Umständen wahrscheinlich ein Grund zum Lachen gewesen. Im jetzigen Kontext erschienen mir Windeln zwar auf eine seltsame Weise bedrohlich, doch mir war klar, dass es die Kontrolle über Menschen war, die mir so Angst einflößte.
„Conrad Feltmann bitte."
„Ja, hier."
Ich stand auf und folgte der jungen Dame, die mich die Flure entlangführte. Im Vorbeigehen versuchte ich die Schilder an den Türen zu lesen, bekam aber immer nur Schnipsel mit.
„Hier hinein, bitte."
Ich betrat den Raum, vor dem die Frau stehengeblieben war.
Sie schloss die Tür hinter sich und deutete mir, mich an den Tisch zu setzen. Sie setzte sich mir gegenüber. Einige Papiere lagen vor mir, daneben auch eine weiße Plastikverpackung. Vor ihr stand ein Laptop.
„Sie möchten also die Inkomtinenzprodukte der zweiten Generation testen?"
Ich nickte.
„In Ordnung, zuerst müssen Sie mir bitte Ihr Mobiltelefon geben."
Ich sah zu ihr auf.
„Warum das denn?"
„Wir werden damit nichts anstellen, wir wollen nur nicht, dass Aufnahmen gemacht werden oder Informationen über neue Produkte gesammelt werden."
Sie streckte fordernd die Hand aus. Langsam zog ich mein Handy aus der Tasche und drückte möglichst unauffällig den Standby-Knopf.
„Könnten Sie es bitte komplett ausschalten?"
Ihren Anweisungen folgend schaltete ich mein Handy aus und reichte es ihr.
„Dan-ke!"
Sie legte es in eine Schublade neben dem Tisch. Ich sah auf den Boden.
„Sie wissen, dass sie hier in einem unserer Räume für zwei Stunden schlafen werden, damit wir beobachten können, ob die Windel beim ersten Mal negative Nebenwirkungen auf Sie hat?"
Eigentlich wusste ich das nicht, doch ich nickte nur bei allem was sie mir erklärte.
„Sie wissen auch, dass wir Ihnen eine Art Gestell in Ihrem Genitalbereich anbringen werden, um ungewollte Erektionen in den ersten 24 Stunden zu vermeiden."
„Warum das denn?"
„Nunja, besonders bei Menschen des männlichen Geschlechts in deinem Alter kommt es nicht selten wegen des kleinen Vibrationsmotors zu ungewollten Erektionen oder sogar Orgasmen, bevor sich der Körper an die Windel gewöhnt hat. Das Gestell sorgt nur dafür, dass alles nach unten in die Windel geht."
„In Ordnung."
„Gut, dann bin ich gleich wieder mit Ihrer Windel und ein paar anderen Dingen zurück. Sie können schon einmal die Dokumente ausfüllen."
Sie verließ den Raum und schloss die Tür.
Einige Sekunden starrte ich prüfend die Tür an, dann stand ich hastig auf und langte über den Tisch. Ich tastete in der Schublade herum und zog mein Handy heraus. Es startete furchtbar langsam. Ich spannte alle Glieder an, während meine Augen ständig zwischen Handy und Tür hin- und hersahen.
Als der Bildschirm aufleuchtete, tippte ich mit zitternden Fingern das Passwort ein. Mit einer schnellen Handbewegung drehte ich den Laptop um und nahm einige Schnappschüsse. Auch die Dokumente fächerte ich aus und machte einige Bilder. Schwere Schritte auf dem Gang näherten sich plötzlich der Tür. In einer schnellen Bewegung warf ich das Handy beinahe zurück an seinen Ort zurück und schlug die Schublade zu.
„So, da bin ich wieder."
Sie schloss die Tür und ich richtete mich so gerade ich nur konnte in meinem Stuhl auf. Die junge Frau schloss die Tür und setzte sich wieder mir gegenüber.
„Wenn sie schon alles unterschrieben haben, dann können Sie schon einmal Ihre Hose-"
In dem Moment als ich mich zu Wort melden und sagen, dass ich mich doch umentschieden hatte, kam mir ein Geräusch aus der Schublade zuvor. Wir beide sahen zur Quelle des Lärms.
„Komisch", sagte sie verwirrt, „das war doch eigentlich ausgeschaltet."
Meine Lippen schmerzten fast vor Zusammenpressen. Sie hielt das klingelnde Handy in der Hand und sah mich an. Ich sah nur mit weit geöffneten Augen zurück und biss mir auf die Unterlippe.
„Haben Sie etwa Ihr Handy noch einmal benutzt? Sie hätten mich doch einfach-"
Jetzt verstand sie. Mit kaltem Blick rückte sie ihren Stuhl nach hinten und stand auf.
„Es tut mir sehr leid, aber da muss ich die Chefin informieren."
Vom Teppich gedämpften Schritte, dann das Zufallen der Tür.
Ich merkte erst, als ich wieder ausatmete, dass ich die Luft angehalten hatte. Besiegt senkte ich meinen Kopf. Jetzt konnte ich wohl mein letztes Gebet sprechen. Das war's. Vorbei. Chance vertan.
Hätte ich eine Zeitmaschine, würde ich nach heute Morgen reisen und all meine Pläne und Vorhaben vergessen. Ich verdammte mich für den Gedanken, überhaupt Hoffnung gehabt zu haben, irgendetwas bewirken zu können. Niemand hätte etwas tun können. Einerseits war dieser Gedanke beruhigend; ich hatte mein Bestes gegeben, andererseits war es auch niederschmetternd daran zu denken, dass ich nie wirklich eine Chance hatte. Ich musste an Zoey denken und an Marie, die ich so enttäuscht hatte. Ich könnte gerade keinen meiner Liebsten in die Augen sehen, aber mir selbst am wenigsten.
Die Tür sprang wieder auf.
„Die Chefin möchte Sie in Ihrem Büro sprechen."

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