Kapitel 5: What!?

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Bekannte? Flüchtige Bekannte!? Ich fragte mich zum 100sten Mal an diesem Tag, was mit diesem Jungen los war, woher er all diese Dinge über mich wusste. Ich hatte ihm nie meinen Namen verraten, geschweige denn etwas von meinem Zwillingsbruder erzählt. Heute in der Schule war das erste Mal, dass ich mit ihm geredet hatte. Seitdem ging mir diese Unterhaltung nicht mehr aus dem Kopf.

Nein, langsam wurde mir das echt alles zu viel. Ich meine, zu viel Grübeln war doch sicher nicht gut fürs Gehirn. Tag und Nacht dachte ich an nichts anderes als Mr Horans Warnung und an Lauries Tod, die innerhalb von zwei Tagen erfolgt waren. Jetzt auch noch Mason.

Irgendwie hing das alles zusammen. Doch wie? Wahrscheinlich war die Antwort sonnenklar, aber ich kam einfach nicht darauf. Das entscheidende Puzzelteil fehlte und mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich es am Freitagabend herauszufinden würde. Am Abend von Graysons Party.

Grayson wusste etwas. Vielleicht sogar alles. Da war ich mir sicher. Warum sonst hätte er Thayer und mich auf diese Party einladen sollen? Woher sonst sollte er wissen, dass ich darauf aus war mit Mason zu sprechen?

Ratlos starrte ich hinauf in den Sternenhimmel und auf die ruhige Straße, die unter meinen Füßen lag. Ich wusste, dass meine Mutter panische Höhenangst hatte. Sie hatte mir verboten aufs Dach zu gehen, doch das machte es nur umso reizvoller für mich. Nach jedem Streit oder wenn ich einfach nur Zeit zum Nachdenken brauchte kletterte ich durchs Fenster hinaus und ließ mich auf dem schmalen Vorsprung darunter nieder. So wie jetzt.

Die kühle Nachtluft schoss mir um die Ohren, das glatte Eis drohte mich ausrutschen zu lassen, doch ich ließ mich vorsichtig aus dem Fenster gleiten und setzte mich gekonnt auf dem Vorsprung nieder. Ironischerweise hatte mein Dad mir diese Fertigkeiten beigebracht. Als Polizeichef hatte er mir und Thayer nicht nur beigebracht wie man aus Häusern kletterte, sich selbst verteidigte und seine Gegner überlistete, sondern auch wie man Waffen benutzte, was eigentlich vollkommen illegal war. Um genau zu sein, hatte er uns beide zu den Freaks gemacht, die Thayer und ich heute waren. Thayer Malik, die unnahbare Sportskanone und Madison Malik, dieses oberschlaue Mädchen. Dabei würde ich mich selbst gar nicht als schlau bezeichnen. Ich war einfach nur aufmerksam. Mir entging kein Detail und wenn ein Lehrer, die Lösungen für einen Test vor einem liegen lässt, dann nutzte man das halt aus.

Bei dem Gedanken an die ungläubigen Blicke meiner Mitschüler als ich ohne mit der Wimper zu zucken einen zu 98% richtigen Test (100 wäre zu auffällig gewesen) abgegeben hatte, musste ich lächeln. Gleichzeitig bemerkte ich aber auch, wie ich auf dem eisigen Vorsprung leicht nach vorne schlitterte. Mir fiel auf, dass ich gar nicht mehr wusste, ob ich es zurück in mein Zimmer schaffen würde, bei so glattem Eis. Bei dem Gedanken daran wurde mir übel, also versuchte ich nicht daran zu denken. Stattdessen konzentrierte ich mich auf meine Umgebung und genoss die eisige Luft, die meinen Atem in Form kleiner Wölkchen sichtbar werden ließ, genoss den Moment der Ruhe, in dem meine Welt in Ordnung zu sein schien. Naja, meine Welt war auch so schon in Ordnung, aber die Welt um mich herum, Stratford, stand Kopf.

Ich weiß nicht wie lange ich so da saß und die Taubheit in meinem Kopf genoss, als plötzlich grelle Scheinwerfer die Nachtluft zerteilten. Mit einem Mal war die Ruhe gebrochen und auch mein Kopf begann wieder zu arbeiten. Madison was back. Ja, ich war zurück und was ich sah sorgte nur für noch mehr Verwirrung. Das Auto, das unsere Auffahrt hochfuhr war ein fremdes. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich jemanden kannte der einen Mercedes fuhr. Als mein Dad jedoch aus dem Wagen stieg, bekam der Fahrer des Wagens ein Gesicht. Doch seit wann fuhr mein Dad einen silbernen Mercedes!? Ich lehnte mich vor, ohne das Gleichgewicht zu verlieren und versuchte zu Erkennen, wer sonst noch in dem Wagen saß, was allerdings erheblich einfacher klang als es in Wirklichkeit war. Durch die getönten Scheiben waren bloß die Umrisse zweier weiterer Personen zu erkennen, die sich schemenhaft von der Dunkelheit abhoben.

"Madison!?" Der plötzliche Ausruf hätte mich beinahe ins Schlittern gebracht, doch gott sei dank saß ich Moment relativ fest. Schuldbewusst blickte ich nach unten zu meinem Dad. Sein schwarzes Haar, das fast die gleiche Farbe hatte wie meines, war im Laufe des Tages ein wenig aus der Ordnung gekommen und sein kratziges Kinn konnte auch mal wieder eine Rasur vertragen, doch ansonsten konnte ich nichts ungewöhnliches mehr feststellen. "Dad?" erwiderte ich ein wenig kleinlaut und sah wie er mich mit strengem Blick musterte. Verdammt! Er hatte mich auf dem Dach erwischt. Ich rechnete schon mit einer ordentlichen Standpauke, als sein Blick milder wurde,"Du weißt, was deine Mom und ich davon halten..." erklärte er mit erschöpfter Stimme. Ich nickte und eigentlich war das der Moment in dem ich runterkommen sollte, doch ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. "Alles okay, Maddie?" fragte er besorgt. Diesmal schüttelte ich den Kopf und krallte mich an der Regenrinne fest, "Ich kann mich nicht bewegen, sonst rutsch ich hier weg." schilderte ich meine missliche Lage, woraufhin Dad hin und hergerissen zwischen Ärger und Sorge die Augen verdrehte, "Genau das ist es, Maddie. Jetzt siehst du, was du davon hast." Ich schluckte, Er hatte ja recht..."Und was jetzt!?" Mein Dad drehte mir den Rücken zu und öffnete die Tür zum Beifahrersitz und nun wäre ich vor Überraschung fast vom Dach gekippt. "Grayson!?" Der Blondschopf drehte sich in seine Richtung. "Hilf Madison bitte da runter. Ich kümmere mich um Ha..., um Mr Styles." befahl er etwas stockend, doch Grayson nickte ernst und befolgte seine Anweisungen. Mr Styles? Grayson? Das waren also die Beifahrer. Seit wann kannten sie meinen Dad? Und seit wann vertraute Dad mich einfach einem fremden Jungen an, statt sich selbst um mein Wohlergehen zu sorgen? Meine Finger bohrten sich fester in das Eis, sodass sie schmerzhaft kalt und taub wurden.

Auf Graysons Miene war Belustigung zu erkennen. "Madison." lachte er und breitete die Arme aus als wolle er mich umarmen. Als wären wir seit Ewigkeiten Freunde. Ich verdrehte die Augen. "Hilf mir bitte runter, Grayson." Meine Stimme besaß fast schon einen flehenden Unterton. Ich hasste es zuzugeben, dass ich Hilfe brauchte. Vor allem vor Grayson. Jemanden, den ich kaum kannte und der sich dadurch nur bestätigt fühlen würde. Er wäre dann mein Retter und würde sich dann ohnehin noch toller finden als jetzt schon. Mein Blick huschte zu meinem Vater, der gerade die Hintertür aufschloss und einem schwankenden Harry Styles mit leerem Blick raus half. Die Locken, die grünen Augen. Es war sofort zu erkennen, von wem Laurie die hatte. Ich schluckte vernehmlich und das Lachen auf Graysons Gesicht erlosch, als auch er das Häufchen Elend rumtaumeln sah. "Ich hab ihn an der Kreuzung zur Tankstelle aufgegabelt." erklärte er, gerade so laut, dass ich es von meiner Position auf dem Dach aus hören konnte. "Er wäre mit seinem Whiskey fast vor mein Auto gelaufen." Grayson machte eine kurze Pause, fuhr sich durch sein dichtes Haar, "Dein Vater hat mir dann geholfen ihn zu euch zu bringen. In diesem Zustand, wollten wir ihn nicht allein lassen. Mrs. Styles ist noch auf Geschäftsreisen. Ich glaube, sie weiß nicht einmal, dass ihre Tochter tot ist." Beim letzten Satz, sprach er so leise, dass ich ihn kaum noch hören konnte, doch das Mitgefühl war deutlich zu vernehmen. Wir schwiegen eine Weile. Auch mir tat Mr. Styles leid. Ich konnte mir nicht vorstellen, jemanden, der mir so wichtig war zu verlieren. Grayson blickte wieder zu mir hoch. Seine Karamellaugen musterten mich skeptisch. "Holst du mich jetzt runter?" wollte ich abwartend wissen, "Wie stellst du das an?" Er zuckte die Schultern. "Du lässt einfach los und ich fang dich auf." schlug er vor, doch ich war natürlich nicht damit einverstanden. "Spinnst du? Du gehst hoch in mein Zimmer und ziehst mich durchs Fenster rein." protestierte ich. Doch im gleichen Moment ging mir auf, dass ich das ebenso wenig wollte. Bei dem Gedanken an Grayson in meinem Zimmer, mit der peinlichen Kätzchen- Bettwäsche, wurde ich rot. Außerdem konnte ich mich ohnehin nicht mehr lange festhalten. "Okay, Grayson. Bist du bereit?" erwiderte ich geschlagen und warf ihm einen fragenden Blick zu. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck der Genugtuung. "Klar doch." erklärte er mit entgegengestreckten, hoffentlich stark genugen Armen. "Ich zähle bis zehn." sagte ich, schloss die Augen...und schaffte es lediglich bis fünf. Begleitet von einem übertriebenen Todesschrei meinerseits, stürzte ich vom Dach und landete vor Erleichterung auflachend in Graysons Armen, wobei ich uns beide umschmiss und wir kichernd im Schnee versanken. Okay...total kitschiges Szenario. Wir beide liegen Arm in Arm lachend im Schnee, verstummen plötzlich, lächeln uns an. In meinem Kopf sehe ich sämtliche Hollywoodstreifen, in denen sich das Pärchen nun zum ersten Mal küsst, doch ein Poltern aus dem Inneren das Hauses, ruft uns in die Realität zurück. Wir fahren auseinander. "W- wir", stottert Grayson. Seine Stimme klingt seltsam belegt. "Sollten lieber rein und deinem Vater helfen." Ich nickte zustimmend und richtete meinen Mantel wieder. Uuuund Cut. Nochmal von vorne. Das hier ist kein Hollywoodfilm. Es ist die Realität. Ich kann mir selber nicht erklären, wieso mich das so enttäuscht.

-Stratford Badboy-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt