1. Kapitel

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Marie

Die Tür öffnet sich automatisch.

Als ich unentschlossen stehen bleibe schließt sie sich automatisch wieder, als wolle sie mich für mein Zögern bestrafen. Hinter mir gehen zwei Männer ungeduldig an mir vorbei, die Tür öffnet und schließt sich wieder.

Ich seufze und gehe entschlossen vorwärts, die Tür öffnet sich und ich folge dem Gang um die Ecke direkt zum Empfangsbereich. Eine junge, sportliche Frau (selbstverständlich, sportlich, wer in einem Fitnessstudio arbeitet...) begrüßt mich mit einem dynamischen Lächeln. Sie trägt ihre blonden, unfassbar glänzenden Haare zu einem wippenden Pferdeschwanz gebunden und sieht in ihren Leggings und dem garantiert hundertprozent atmungsaktiven Microfasershirt mit Firmenlogo unfassbar gut aus.

Ihr Anblick deprimiert mich, wer möchte schon beim allerersten Besuch im Fitnessstudio mit dem eigenen, völlig unerreichbaren Ideal konfrontiert werden. Aber ich lächle tapfer zurück. Auf ihre Frage, ob sie etwas für mich tun könne, antworte ich, dass ich um 16 Uhr einen Termin mit Berat habe.

Es wird Zeit, dass ich etwas für mich tue. Meine Eltern drängeln schon seit Monaten, ich solle endlich wieder rausgehen, etwas unternehmen. Ich sehe ein, dass sie recht haben. Trotzdem habe ich mich schwer getan mit der Entscheidung. Meine Eltern gehen hier schon seit Jahren zum Sport, schwärmen von Berat. Und hier erinnert nichts an Christian, nichts an uns und nichts an David.

Beim Gedanken an die beiden zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Obwohl schon über ein Jahr seit dem Unfall vergangen ist, schmerzt jeder Gedanke an die beiden immer noch so, dass mir oft die Luft wegbleibt. Aber mittlerweile bin ich vorbereitet auf diesen Schmerz und habe gelernt ihn zu überspielen. So merkt Anna, wie sich mir die strahlende Schönheit vorgestellt hatte, auch nichts, als sie mir mitteilt, dass Berat gerade noch im Gespräch sei, aber jeden Moment fertig sein sollte.

Sie bringt mich in den ersten Stock, wo anscheinend mehrere Büros untergebracht sind und bittet mich kurz zu warten. Ich setze mich auf einen der Stühle die im Gang vor den Büros stehen und fühle mich wie im Wartebereich meines Hausarztes. Es fehlt eigentlich nur das kleine Tischchen mit den Zeitschriften aus dem Lesezirkel.

Ich freue mich auf die Begegnung mit Berat. Ich habe schon viel von ihm gehört, meine Ma sagt immer er ist ein Original, was auch immer das heißen mag und er scheint wirklich etwas von seinem Job zu verstehen.

Als sich die Tür öffnet, verabschiedet er einen älteren Herrn mit den Worten: „Mit so einer künstlichen Hüfte ist das Training als wärst du frisch geölt. Das läuft dann wie geschmiert, da rast du den jungen Dingern glatt davon." Er wirft einen grinsenden Seitenblick auf mich.

Er schüttelt ihm noch eben die Hand und kommt dann auf mich zu, sieht mich stirnrunzelnd an, legt grüblerisch die Hand ans Kinn und begrüßt mich grinsend mit den Worten: „Ganz die Mama! Ganz genau die Mama!"

Ich kann nicht anders und muss lächeln. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, reiche ihm meine Hand und stelle mich vor.

Er nimmt meine Hand in seine beiden Hände und sagt salbungsvoll: „Marie, wie lange hast du mich warten lassen. Es ist als würde ich dich schon seit Ewigkeiten kennen und endlich darf ich dich auch persönlich treffen. Jetzt verstehe ich auch warum deine Eltern dich so gut versteckt gehalten haben!", raunt er mir vertrauensvoll zu und zwinkert grinsend.

Ich muss lachen. Jetzt weiß ich was meine Mama gemeint hat. Berat ist ein Charmeur wie er im Buche steht. Er gehört zu den Menschen die auf andere zu gehen, immer einen Witz oder lockeren Spruch auf den Lippen haben.

„Komm rein!", duzt er mich und ich folge Berat in sein Büro.

Er setzt sich an seinen Schreibtisch, der an der Wand neben einem Schrank steht und so genug Platz im Raum lässt und deutet auf einen Stuhl daneben.

Funkengelb auf TränenblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt