4. Kapitel

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Marie

Matt nickt mir zu und die Kinder, die uns gespannt beobachtet haben, jubeln. Selten erlebe ich Jona so fröhlich und ausgelassen. Mich durchströmt ein glückliches Gefühl, doch gleichzeitig habe ich einen Kloß im Hals. Jona so zu sehen bringt mich schnell aus der Fassung. Er ist alles was ich noch habe, da habe ich das Gefühl solche Momente viel intensiver zu erleben.

Ich bin wahnsinnig emotional - immer schon gewesen - und kann auch bei Filmen und guten Büchern herzlich lachen oder aber Rotz und Wasser heulen. Selbst harmlose Dinge, wie am Bahnhof zu stehen und Menschen bei Abschied oder Wiedersehen zu beobachten, bringen mich kurz davor loszuheulen. Bei Davids Einschulung habe ich geweint wie ein Schlosshund. Christian war immer leicht fassungslos und konnte sich nur schwer entscheiden ob er mich trösten oder doch eher auslachen sollte. Meist wurde es eine Mischung aus beidem. Ich schüttele meinen Kopf um die Gedanken an Christian und den Kloß im Hals zu vertreiben.

Wir gehen am Kindergarten vorbei zum Tor. Ben und Jona sind bereits vorgelaufen und können es gar nicht abwarten. Matt geht rüber zu den Fahrrädern und holt ein schlichtes, altmodisches Herrenrad. Es scheint wirklich alt zu sein und nicht eines dieser modischen Retroräder, aber es wird offensichtlich gut gepflegt. Matt bemerkt meinen Blick.

„Ich stehe auf diesen alten Charme", erklärt er mir lächelnd, „ich habe dieses Schätzchen vor ein paar Jahren im Fahrradkeller unseres Hauses gefunden. Offenbar hatte es jemand dort zurückgelassen."

Einige Fragen schießen mir durch den Kopf, aber keine einzige davon scheint mir passend zu sein. Ich bin furchtbar neugierig, aber da ich Matt praktisch gar nicht kenne, stelle ich keine einzige davon. Ich halte ihm wortlos das Tor auf und überlege fieberhaft was ich sagen könnte.

„Seid ihr beide zu Fuß?", fragt er mich während er sein Fahrrad an mir vorbeischiebt und auf mich wartet während ich das Tor hinter mir schließe. Ich nicke und schäme mich im selben Moment, dass ich so wortkarg bin.

„Wolltet ihr direkt zum Spielplatz gehen?" fragt er weiter und sieht mich von der Seite an. Wieder nicke ich und reiße mich dann zusammen um ihm zu antworten: „Wir wohnen in der anderen Richtung, es wäre unpraktisch erst zu Hause vorbei zu gehen."

„Ich dachte nur, weil Laura meinte, dass Jona nicht so viel gegessen hat und sicher Hunger haben müsste?"

Ich bin überrascht. Er hat vorhin nicht nur zugehört, sondern sich anscheinend auch Gedanken darüber gemacht.

„Ich habe eine große Dose mit Apfelstücken in meiner Tasche. Es kommt öfter vor, dass Jona im Kindergarten schlecht isst, deswegen bin ich meistens vorbereitet", erkläre ich ihm.

Matt lächelt: „Macht es euch etwas aus, wenn wir durchs Musikerviertel, kurz bei uns vorbeigehen? Ich bin nämlich nicht halb so gut vorbereitet wie du."

Da das Musikerviertel auf dem Weg liegt, machen wir fast keinen Umweg.

„Klar kein Problem, Ben kann aber auch gerne etwas von unseren Äpfeln abbekommen", biete ich an.

„Das ist sehr nett von dir, aber so kann ich das Fahrrad auch eben stehen lassen und muss meine Tasche nicht mitschleppen."

„Natürlich, das macht Sinn", mehr fällt mir dazu nicht ein.

Schweigend gehen wir weiter. Normalerweise bin ich nicht auf den Mund gefallen, aber es fällt mir immer schwer einfach Smalltalk zu halten, insbesondere mit Personen die ich nicht besonders gut kenne. Ich gehöre einfach nicht zu den Menschen denen ein lockerer, entspannter Umgang mit anderen leichtfällt. Dabei kann ich durchaus quatschen wie ein Wasserfall. Yvonne könnte das ohne Probleme bestätigen. Aber nach dem Vorfall gestern im Fitnessstudio und der spontanen Überraschung, ihn hier im Kindergarten zu treffen, bin ich mit dieser Situation ein wenig überfordert. Matt scheint derlei Probleme nicht zu haben. Die Kinder sind vor uns und biegen gerade in eine Einfahrt. Offenbar Bens und Matts Haus.

Funkengelb auf TränenblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt