12. Kapitel

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Marie

Sicherlich stellen sich die meisten Eltern unter einem gemütlichen Sonntagmorgen etwas anderes vor, als auf der Bank eines Spielplatzes zu sitzen. Aber ich genieße die Ruhe, die dieser sonnige Morgen mit sich bringt. Jona spielt im Sandkasten und scheint meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben. Ich bin sicherlich nicht die einzige Mutter mit einem Kind, welches immer früh wach ist und trotzdem sieht man vor neun Uhr selten jemanden hier. So sehr ich die Ruhe auch schätze, der Gedanke macht mich schwermütig. Warum sollten Familien auch Sonntags um diese Uhrzeit auf den Spielplatz gehen. Sie kuscheln sich ins Bett oder frühstücken gemeinsam oder planen ihren Familienausflug.

Ich schüttle den Kopf, denn wieder einmal neige ich dazu Familie in meinem Kopf zu idealisieren. Dr. Hartmann hat mich bereits oft genug darauf hingewiesen, trotzdem schleichen sich diese kleinen fiesen Gedanken immer wieder in meinen Kopf. Ich glorifiziere das, was andere Familien haben und bedaure, was Jona und mir vorenthalten bleibt.

Bewusst rufe ich mir ins Gedächtnis wie es war, bevor wir auseinandergerissen wurden. Wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, sahen unsere Wochenenden schon damals ganz ähnlich aus. Ich war Samstags arbeiten, während Christian mit den Jungs bei seiner Mutter war oder die Jungs bei meinen Eltern gespielt haben. Beides hatte den Vorteil, dass Christian sich nicht allein mit den Kindern beschäftigen musste. Das war nicht unbedingt eine seiner Stärken. Wobei ich fair bleiben sollte. Er hatte sich das einfach so angewöhnt, denn wenn er doch mal mit den Kindern allein war, klappte das ganz wunderbar. Aber wenn er bei seiner Mutter war, hat sie sich mit den Kindern beschäftigt, während er Zeit mit Björn verbringen konnte. Wenn die Kinder bei meinen Eltern waren, hat er sich zum Squash verabredet.

Sonntags hat Christian in den meisten Fällen ausgeschlafen. Das war der einzige Tag in der Woche, an dem er wirklich frei hatte. Ich erinnere mich wie ungehalten er wurde, wenn die Kinder früh wach waren und ins Bett gehüpft kamen. Dann hatte er den ganzen Tag brummige Laune. Also habe ich mir morgens die Kinder geschnappt und bin mit ihnen, wann immer es ging, nach draußen gegangen. So konnte Christian in Ruhe liegen bleiben. Ich seufze. Letztlich resultiert also das kleine Ritual den Sonntagmorgen auf dem Spielplatz zu verbringen schon aus dieser Zeit. Auf dem Spielplatz zu sein bedeutet laut sein zu können, keine Rücksicht nehmen zu müssen. Meine Eltern haben das zwar nie von mir verlangt, aber ich weiß wieviele Einschränkungen sie wegen mir und Jona in Kauf nehmen. Das ist das Mindeste, was ich ihnen zurückgeben kann. Wenigstens Sonntags ganz gemütlich in den Tag starten zu können, ohne den üblichen Morgentrubel. Außerdem kann ich so in Ruhe meinen Gedanken nachhängen und muss ebenfalls auf niemanden Rücksicht nehmen. Also ist es auch ein kleines bißchen Egoismus meinerseits.

Ob Jona und ich das noch genauso machen, wenn wir allein leben?

Da ist er der Gedanke. Genau das meinte Dr. Hartmann. Eigentlich weiß ich schon was ich will. Wenn, nicht falls. Ich traue mich nur nicht den Gedanken weiter zu spinnen.

Ich schaue zu Jona der selbstvergessen im Sand buddelt und hingebungsvoll spielt. David ist am liebsten auf alle Spielgerüste geklettert. In seiner Fantasie waren es Autos, Schiffe oder Burgen. Seine Ideen kannten keine Grenzen. Jona besitzt sicherlich ebenso viel Fantasie, aber die konzentriert sich im Moment auf den kleinen Bereich im Sandkasten. Da ist niemand der ihn stört, niemand, gegen den er sein Revier verteidigen muss, sondern einfach nur er, vertieft in sein Spiel. Ich gönne ihm diesen Moment von Herzen und erlaube mir selbst einen kleinen Moment der Schwäche.

Was wäre wenn David jetzt hier wäre? Hätte er Jona in Ruhe spielen lassen? Nein, ich bin mir sicher Jona wäre David hinterhergerannt, wie er es von dem Moment an getan hat, als seine zwei Beinchen ihn tragen konnten. Wenn mich jemand fragen würde, ist das Jonas einzige Motivation gewesen überhaupt laufen zu lernen. Um David folgen zu können. Davids Gesicht beherrscht meine Gedanken. Er hat Jona von Anfang an in sein Spiel einbezogen. Egal wie klein Jona noch war, er passte immer irgendwie mit hinein. Wenn er die Bauklotzburg umriss war er eben der große gewaltige Riese, der Zerstörung brachte und von dem tapferen Ritter besiegt werden musste. Ich muss schmerzlich lächeln als ich daran denke, wie ich Jona, kaum ein Jahr alt, davor retten musste von David verschnürt zu werden. David hat fleißig mit mir diskutiert, warum es absolut notwendig sei, Jona für das was er verbrochen hatte zu fesseln. Er wurde richtig ärgerlich, als ich Jona dann doch lieber mit in die Küche nahm.

Funkengelb auf TränenblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt