𝐂𝐞𝐥𝐥𝐢𝐞
𝐒𝐥𝐚𝐧𝐠 𝐟𝐨𝐫: » 𝐜𝐞𝐥𝐥𝐦𝐚𝐭𝐞 «»Mädchen, was tust du hier?« Für einen kurzen Moment stehe ich unschlüssig im Eingang des Raums, welcher für die nächsten drei Jahre mein zu Hause sein wird. Wobei Raum hier definitiv eine maßlose Übertreibung darstellt. Die Mauer, welche mich von den vierhundert anderen Frauen abschirmt, reicht mir gerade einmal bis zur Mitte meines Oberarmes. Im Gebäude ist es fast schon ohrenbetäubend laut, weshalb ich nur mühsam einen hysterischen Lachanfall zurückhalten kann. In meiner Kindheit konnte ich nicht einmal bei einer Übernachtungsparty mit Schulfreundinnen gut schlafen und nun soll ich mir für die nächsten 36 Monate eine riesige Halle mit Hunderten von Frauen teilen. Ich umschließe mit meinen Fingern den weißen Stoffsack noch fester, als ich die neugierigen Blicke der anderen Insassinnen sehe. Ich weiß, sie fragen sich gerade, ob sie mich für die nächsten drei Jahre terrorisieren, meine Suppe und meine Briefe stehlen können. Sie fragen sich, ob ich ein Newbie bin, der alles mit sich machen lässt.
Am liebsten würde ich angeekelt das Gesicht verziehen. Denn eine weiße Frau mit kurzen braunen Haaren greift sich gierig in den Schritt, während sie ihren Blick genüsslich über meinen Körper gleiten lässt. Sie steht nur einige Meter entfernt von mir und wie es aussieht hat sie genau den Bunk gegenüber von meinem. Großartig.
Mir wird Übel, als sich ihr Mund zu einem anzüglichen Grinsen verzieht, wodurch ihre gelben Zähne zum Vorschein kommen. Für einen kurzen Moment halten wir Blickkontakt und Überraschung blitzt in ihren fahlen Augen auf, da ich nicht eine Miene verziehe. Meine Augen verengen sich kurz zu Schlitzen, so signalisiere ich ihr, dass sie mir bloß nicht zu nahekommen soll.
Trotz ihres äußeren ungepflegten Erscheinungsbildes wundert es mich nicht, dass sich einige Frauen um sie versammelt haben. Sie ist eine Stud. Eine Frau, die aufgrund ihres eher männlichen Aussehens und ihrer maskulinen Verhaltensweise eine ganze Horde weiblicher Insassen anzieht. Ich schüttle kaum merklich den Kopf, während ich inständig hoffe, dass drei Jahre Knast mich nicht in die Knie zwingen werden ebenfalls einer solchen Frau wie ein räudiger Hund hinterherzulaufen.
Erst als sich jemand lautstark räuspert, bemerke ich, dass ich vermutlich schon viel zu lange im Eingang zu meiner neuen Koje stehe. Ich reiße meinen Blick von den vielen anderen Insassinnen los und sehe zu der Frau, mit der ich mir fürs Erste einen Schlafplatz teilen werde.
»Du bist sicherlich keinen Tag älter als achtzehn!«, schimpft sie mit verschränkten Armen. Zu meiner Erleichterung macht sie aber auf den ersten Blick einen sehr gepflegten Eindruck. Der kleine Raum sieht sauber aus – eben so sauber wie es in einem Gefängnis nur sein kann.
»Zwanzig«, murmle ich als Antwort, ehe ich meinen Beutel gefüllt mit meinen wenigen Habseligkeiten auf das freie Bett werfe. Ich seufze, als ich die Box sehe, in welche ich meine Wertgegenstände für die nächsten Jahre schließen werde. Im Gefängnis ist alles von Wert, weshalb ich mir so bald wie möglich ein Schloss für die Kiste zu legen muss.
Meine dunkelhäutige Mitbewohnerin rümpft vorwurfsvoll mit der Nase. Ich möchte keinen Streit anfangen, weshalb ich ihr keinen dummen Kommentar an den Kopf werfe. Du bist doch auch zusammen mit mir in diesem Drecksladen gelandet.
»Ich bin Trauma. Solange du keinen Lärm oder Unordnung machst, werden wir keine Probleme miteinander bekommen.« Sie sieht mich abwartend an, während ich mich frage wie zur Hölle ihre Haare trotz der lausigen Shampoos so gut aussehen können. Trauma dürfte selbst noch in ihren Zwanzigern sein. Ich bin mir aber nicht sicher und habe auch nicht vor sie nach ihrem Alter zu fragen. Sicher ist, dass sie schon eine ganze Weile hier ist. Denn in ihrem Teil des Bunks stapeln sich fein säuberlich Bücher und an der Wand hängen Bilder, die sie dort eigentlich laut der Gefängnisordnung nicht aufkleben dürfte.
»Lola«, erwidere ich knapp, da ich mich lieber darum kümmere mein Bett zu beziehen. Ich starre zähneknirschend auf das Kissen, welches man kaum als solches bezeichnen kann. Es ist eigentlich nur ein hauchdünner Soff ohne jegliche Füllung. Der kratzige Stoff meines Blues reibt unangenehm auf meiner Haut und der BH, den sie mir gegeben haben, ist mindestens drei Nummern zu groß. »Wann hat die Kantine auf?«, frage ich.
»Nicht dein erstes Mal hier«, höre ich Traumas Stimme hinter mir. »Sie öffnet erst morgen Mittag wieder.«
Ich kneife die Augen zusammen, möchte meinen Kopf am liebsten gegen die Wand schlagen. Das heißt ich werde bis morgen nicht duschen können. Denn ohne Badeschlappen werde ich mir nur eine Pilzinfektion oder Schlimmeres einfangen.
»Wenn du willst, kannst du dir bis morgen mein Reservepaar leihen.« Überrascht drehe ich mich um und sehe, wie Trauma mir ungefragt ein frisches Paar Badeschuhe entgegen hält. »Denk bloß nicht, ich mache das aus Nettigkeit, Newbie! Sobald die Kantine aufmacht, kaufst du mir ein neues Paar, sonst werden wir Probleme miteinander bekommen.«
Ich stöhne innerlich auf, ringe mich aber zu einem angedeuteten Lächeln durch, ehe ich Traumas Schuhe dankend annehme. Ich weiß, sie leiht sie mir nur, weil sie keine stinkende Mitbewohnerin will. Doch ich bin die Letzte, die erwartet hätte, dass mir Frauen hier Dinge aus reiner Nettigkeit schenken würden. Geschenke gibt es im Gefängnis nicht. Es wird immer eine Gegenleistung oder eine Bezahlung erwartet.
Und ich freue mich unbändig wieder zurück zu sein. Der erste Tag ist der schlimmste von allen. Denn sie werden testen, was ich alles mit mir lassen machen werde.
➨ NEWBIE: ein neuer Insasse/Insassin
➨ STUD: männlich aussehende, sich verhaltende lesbische Frau
➨ BUNK: offener Schlafplatz, keine Zelle, Schlafplätze sind durch niedrige Mauern abgetrennt, aber für jeden offen zugänglich (es gibt keine Tür); siehe z.B. Orange is the new Black↬ QUESTIONS.
Wie findest du den Einstieg in die Geschichte?
Was denkst du weswegen Lola im Gefängnis sitzt?
Wie ist dein erster Eindruck?
Wie findest du Trauma?
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𝐀𝐋𝐋 𝐃𝐀𝐘 𝐀𝐍𝐃 𝐎𝐍𝐄 𝐍𝐈𝐆𝐇𝐓
RomanceNach drei langen Jahren hinter Gittern, versucht Lola das Chaos in ihrem Leben wieder in den Griff zu bekommen. Nachts arbeitet sie im Dime - Chicagos berühmtesten Club und Parketthandel für krumme Geschäfte - während sie tagsüber dem Traum von eine...