Draußen schneit es.
Der Große See ist zugefroren, die Peitschende Weide hat ihre Blätter verloren — was sie nicht weniger gefährlich macht, wie sein Bruder feststellen musste —, und auf der schneebedeckten Wiese kann man von hier aus Schülergrüppchen beobachten, die sich gegenseitig Schnee um die Ohren hauen.
Mit den Augen verfolgt Rabastan eine Schneeflocke, die sich ans Fenster heftet und seufzt.
Er wäre gern wie sie.
Frei. Unabhängig. Individuell.
Stattdessen wird ihm immer wieder eingetrichtert, er habe zu sein wie sein Bruder, der inzwischen verlobt und ein treuer Anhänger des Dunklen Lords ist. Er ist der perfekte Sohn, der Älteste, Beste, Klügste, Gerissenste.
Rodolphus wird in höchsten Tönen gelobt, während Rabastan stumm daneben steht und versucht nicht hinzuhören, wenn sie sie miteinander vergleichen.
Der erste, unvorhergesehene, Versuch gelingt so perfekt, dass man das Experiment gleich noch einmal wagt, jedoch feststellen muss, dass das zweite Ergebnis nicht so zufriedenstellend ist wie erhofft.
Rabastan ist dieses zweite Mal.
Er ballt die Hände zu Fäusten.
In ein paar Monaten wird er 16 und dann erwartet man von ihm, sich dem Dunklen Lord anzuschließen und gedankenlos zu morden.
Ihn faszinieren die Dunklen Künste, aber will er deswegen einem Mann dienen, der ihn für nicht mehr als eine Spielfigur hält? Will er sich an einen Zauberer binden, dem sein Tod gleichgültig wäre, nur weil Rodolphus diesen Weg gegangen und dafür bejubelt worden ist?
Er wird es tun, daran besteht kein Zweifel, er will seinen Vater stolz machen, doch das ist nicht der eigentliche Grund.
Rabastan will auf gleicher Höhe mit seinem Bruder sein, er will nicht mehr an ihm vorbeisehen müssen, weil er sich schämt, nicht zu sein wie Rodolphus.
Rodolphus, der bald heiraten wird, Rodolphus, dem der Dunkle Lord vertraut, Rodolphus, der seinen Vater stolz macht, Rodolphus.
Er knirscht mit den Zähnen, stiert grimmig aus dem Fenster und mustert die lachenden Schüler unter ihm beinahe abfällig.
Hat sein Bruder je mit ihm im Schnee gespielt? Hat er je Zeit gehabt?
Nein, hat er nicht, denkt Rabastan verbittert, ich musste mich immer allein beschäftigen.
Er steht auf.
Es ist unerträglich, andere Schüler glücklich zu sehen, während es ihn innerlich zerfrisst.
Rabastan stapft in seinen Schlafsaal und verkriecht sich ins Bett.
Es ist das erste und letzte Mal bis zu seinem Tod, dass er weint. Denn dass ihm Tränen übers Gesicht laufen, als sein Bruder kurz vor ihm stirbt, kann er nicht mehr begreifen.