Verdattert sah ich nach oben, und versuchte das Gesicht, das vor mir aufgetaucht war, einem Namen zu zuordnen.
Er trug eine Volleyballjacke in weiß mit maronifarbenen Seitenstreifen und dazu eine ebenso kastanienbraune kurze Sporthose. Seine Augen sahen stoisch gerade zu mir auf den Boden hinunter, ihnen würde keine meiner Bewegungen entgehen. Jede Faser seines Körpers schien gut trainiert zu sein, feste Oberschenkel, stramme Waden und ein Oberkörper, dessen gute Bemuskelung man sogar mit der Jacke, die auf seinen breiten Schulten ruhte, erkennen konnte. Seine ganze Aura schien fest, überzeugend und irgendwie einschüchternd, alles an ihm wirkte ernst, gefasst und über die Maßen konzentriert. Erst jetzt dämmerte es mir, wer mir da gegenüber stand, ein paar Mal hatte ich ihn schon auf den Fluren der Schule gesehen, bei den Volleyballspielen lag der Fokus immer zu, wenn auch gerade ein anderer gepunktet hatte, auf ihm, und die Mädchen flogen ihm zu wie die Motten einer Straßenlaterne in der tiefsten und dunkelsten Nacht: Wakatoshi Ushijima.
"Ich tanze, oder habe es besser gesagt versucht.... Meinst du nicht es ist grob fahrlässig sich einfach an jemanden heranzuschleichen?", fragte ich ihn und sah ihn prüfend an. Er verzog keinen Miene, nicht ein einziger Muskel schien sich in seinem starren Gesicht zu bewegen. Die einzige Antwort, die er mir gab war ein unverständliches und äußert auslegungsbedürftiges Brummen. "Spreche ich Spanisch oder warum gibst du mir keine Antwort?", hackte ich noch immer auf dem Rasen liegend nach. "Ich habe dich mit der Bierdose in der Hand hier herumtänzeln sehen, und dachte du brauchst vielleicht Hilfe", antwortete er. Ich schielte unverbindlich in Richtung des Blechzylinders, der in meiner Hand bald zu zergehen drohte, und überlegte fieberhaft wie ich nun vorgehen sollte. Ushijima war ein Jahr älter als ich und eine Stufe über mir, würde er meinen Verstoß gegen das absolute Alkoholverbot am Schulgelände dem Rektor melden? Den Drittklässlern war in dieser Hinsicht leider wirklich absolut nicht zu vertrauen, es gab da die Sorte, die sich zu einem setzte und gleich selbst ein Döschen aufmachte, oder aber die Kandidaten, die stehenden Fußes zur Schulleitung spazierten und einen meldeten. Ich kam in den paar Sekunden, die ich über die einzelnen Variationen spekulierte, und abwog, in welche Schublade mein breitschultriger Schulkamerad wohl gehörte, zu keinem klaren Entschluss. "Danke für deine Sorge, aber mir geht es prächtig. Ich habe nicht einmal die Hälfte von dieser ekelhaften Brühe getrunken", antwortete ich unverbindlich und betete einfach, dass er es dabei belassen würde.
"Ich hab mir keine Sorgen gemacht. Ich will mir später nur nichts anhören müssen", entgegnete er und verzog noch immer keine Miene. Einem (objektiv betrachtet) "normalen" Menschen hätte die Situation zumindest ein scheues Lächeln entlockt, mit dem er sein "Ach, na dann ist ja gut!" quittiert hätte, aber Ushijima schien wohl nicht in dieses Schema hineinzupassen. Während in meinem Kopf noch fieberhaft die Zahnräder ratterten, was genau ich auf eine solche Antwort zurückgeben sollte, kam mir mein Gegenüber zuvor und ergriff überraschenderweise von sich aus wieder das Wort: "Warum kaufst du dir Bier wenn du es sowieso nicht trinkst?"
"Das ist kompliziert...."
"Erklär es mir", kam es wie aus der Pistole geschossen retour. Ushijima reichte mir eine Hand und bedeutete mir aufzustehen, dankbar streckte ich meinen Arm aus, umfasste seine riesige Pranke, in der mein kleines zierliches Händchen aussah wie eine zerbrechliche kleine Porzellanfigur, und zog mich auf die Beine. "Also, erklär es mir", verlangte er mit Nachdruck. Seufzend antwortete ich: "Nun ja, ich mag die Kontroverse."
"Welche Kontroverse?", das erste Mal, seit ich ihm mein Bein beinahe ins Gesicht geschlagen hätte, veränderte er seinen Gesichtsausdruck, zog seine Augenbrauen zusammen und runzelte die Stirn. Ich musste kichern, als ich das bemerkte.
"Balletttänzerinnen sind normalerweise so zierliche, kleine, zerbrechliche Wesen, die nur Wasser trinken, Rohkost essen und sich den ganzen Tag über fragen, ob sie zu kurze Beine haben, zu dick sind oder ob sie in der Strumpfhose fett aussehen. Ein Bier passt so gar nicht in den Rahmen dieses Bilderbuchklischees und ich fühle mich so ungeheuer lebendig, wenn ich dieses Fantasieverbot übertrete. Zumindest für ein paar Takte lang ein Rebell, ein Revolutionär, eine Gegenströmung, ja ein einziger lebendiger Widerspruch zu diesem Schema F sein, einfach ein paar Minute lang gegen den reißenden Strom schwimmen.... Das Tanzen mit der Bierdose ist sozusagen eine offene Kampfansage, ein kleiner Ausbruchsversuchs aus mir selbst, der kleine Lichtblick am Ende des Tunnels des ganz normalen Wahnsinns", beichtete ich. Der Volleyballspieler gegen über von mir brauchte eine Weile um zu verdauen, was ich da gerade von mir gegeben hatte. Schließlich antwortete er: "Das hört sich..... etwas kompliziert und irgendwie ziemlich intelligent an."
Beinahe wäre mir die Kinnlade hinunter auf den Boden gesaust. Was bitteschön war an meinen Ausführungen kompliziert, geschweige denn intelligent gewesen?
"Wie dem auch sei, war nett mit dir zu plaudern, Ushijima, aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr. Ich würde es übrigens begrüßen, wenn du meinen kleinen Sturm auf die Bastille des Schulregelwerks nicht gleich dem Rektor melden würdest. Danke dir!", sprudelte es in aller Eile aus meinem Mund. Ich hatte im Hintergrund zwei andere der Mitglieder des Volleyballteams auftauchen sehen, und wollte mich schnurstracks aus dem Staub machen, zu viel der Aufmerksamkeit von älteren Schülern wollte ich dann doch nicht, vor allem nicht mit einer Dose Bier in der Hand. Nichts konnte mir garantieren, dass die Teilnahmslosigkeit meines Gegenübers ansteckend war....
"Ich soll deinen Sturm worauf nicht melden?", fragte er mich komplett aus der Fassung gebracht.
"Sag einfach keinem was von dem Bier in meiner Hand, ja? Bitte? Danke!", entgegnete ich in aller Eile, bevor ich mich auf schnellstem Weg zurück ins Wohnheim der Mädchen begab.
"Warte! Wie....-", rief er mir hinterher, doch ich dachte gar nicht daran mich noch einmal zu ihm umzudrehen.
Wakatoshis PoV
"Warte! Wie heißt du denn eigentlich?", versuchte ich sie zu stoppen. Beinahe hätte ich nach ihrer kleinen Hand gegriffen, aber das Übertreten dieser Schwelle traute ich mich dann doch nicht. Langsam entfernte sie sich aus meinem Sichtfeld, wurde immer kleiner und kleiner, bis sie hinter den anderen Gebäuden verschwunden, und alles, was noch von ihr übrig war, der Duft nach Bier und Weichspüler war. Durch ihren Sturz hatte sie eine kleine Fläche Gras platt zu Boden gedrückt, und man konnte noch deutlich erkennen, wo sie gelandet war, die etwas dunkler gefärbte Stelle hob sich merklich vom Rest der saftigen grünen Wiese ab. Ein kühler Luftzug verblies schließlich auch die letzten Reste ihrer duftigen Präsenz, als ich bemerkte, wie jemand hinter mich trat und mir eine Hand auf die Schulter legte.
"Was machst du denn hier, Wakatoshi? Das Training hat gerade begonnen, es sieht dir doch sonst nicht ähnlich zu spät zu kommen...?", fragte mich Tendou neugierig. Kurz seufzte ich auf und antwortete:" Nichts, ich hab nur kurz etwas nachgesehen. Ich komme schon."
"Und wer war dann die süße Kleine, mit der du da gerade gesprochen hast? Verheimlichst du uns etwas?", hackte Kawanishi nach, der nun auch neben mich getreten war.
"Was soll ich euch denn verheimlichen?"
"Vielleicht hast du ja eine Freundin und sagst es niemandem...", meinte er und zuckte vielsagend die Schultern.
"Und warum sollte ich das deiner Meinung nach tun?"
"Natürlich weil du Angst hast, dass sie meinem Charme nicht widerstehen kann, und mir hoffnungslos verfällt!", flötete Tendou dazwischen. Ich beschloss auf seine Hypothese gar nicht erst einzugehen.
"Aber jetzt im Ernst: Wer war die Kleine? So eine Schnitte hier auf unserer Schule zu wissen.....", hackte Kawanishi erneut nach.
"Ich weiß es nicht, ihren Namen hat sie mir nicht verraten", gab ich wahrheitsgemäß zurück.
"WAS?! Du kennst nicht mal ihren Namen? Warum hast du dann mit ihr gesprochen?", Tendou konnte es kaum fassen, was ich da von mir gegeben hatte.
"Sie hat hier getanzt, mit einer Bierdose in der Hand.... Ich wollte wissen was sie da macht."
"Und warum bitteschön hatte die Süße ein Bier in den Pfoten?", fragte Tendou noch verwirrter als vorher.
"Sie sagte, sie mag die Kontroverse", gab ich zurück.
"Welche Kontroverse?", fragte Kawanishi.
"Keine Ahnung."
Dann hatte die Fragerei ein Ende, denn Washjio war nun nach draußen gekommen und stand brüllend vor der Halle:" Soll ich euch etwa für das nächste Training eine Einladung mit der Post kommen lassen oder was? Bewegt euch jetzt gefälligst hier rein und hört auf den Rasen anzustarren!"
In aller Eile liefen wir gesammelt zur Halle, die großen Augen und die Weise, in der mich dieses zierliche, tanzende Wesen von unten herauf angesehen hatte, wollten mir aber partout nicht aus dem Kopf gehen. Ihre Stimme und ihre Art zu sprechen, das hatte etwas prägendes.....
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Spitzentanz - A Haikyu!! FanFiction
FanfictionMona Akayama ist eine Schülerin im zweiten Jahr der Shiratorizawa Akademie und sozusagen nebenberuflich insgeheim Ballerina. Als sie mit einer Bierdose in der Hand ihre Pirouetten in der Nähe einer der Sporthallen dreht, wird jemand ganz besonderes...