Kapitel 4

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Als der letzte Takt der sanft im Hintergrund spielenden Klaviermusik verklungen war, zog ich meine Schläppchen aus, die ich für das Ausdehnen meiner Muskeln und Bänder gegen meine Spitzenschuhe getauscht hatte, und ging in Richtung der Saaltür. Odile wusste jedoch ganz genau, dass ich mich so schnell wie möglich verdünnisieren wollte, um so ihren Schimpftiraden zu entgehen.

Kaum hatte ich die dunkle Türe aus federleichtem und hauchdünnem Fensterglas einen Zentimeter weit aufgezogen, startete sie mir hinterher, packte mich bei den Schultern und schärfte mir, liebgemeint, ein: "Mona, ich weiß wie schwer das für dich sein muss, aber es wäre besser, wenn du endlich mit ihr reden würdest. Du weißt, dass du eventuell auf Plakaten oder in Zeitungen erscheinen wirst, es wäre für euch beide unangenehm, würde sie es in dieser Form erfahren."

Widerwillig nickte ich, ehe Odile mir die Schulter tätschelte und mich mit den Worten "Mach's gut. Sonntag hast du die Pavolva" entließ.

In affenartig rapider Geschwindigkeit packte ich meine Sporttasche und verließ die Tanzschule. Draußen war es noch leicht hell, es war mittlerweile 19.05h. Kurz blieb ich stehen und schloss meine Augen. In letzter Zeit war für mich alles etwas viel - die Schule, das Tanzen,der permanente Druck mich spätestens nächstes Jahr für einen Bildungsweg entscheiden zu müssen und Sie. All das, lag mir schwer auf den Schultern und gemeinsam mit meiner vollgepackten Sporttasche, zogen diese mehr oder weniger kleinen und großen Problemchen meinen Oberkörper nach unten. Ich war müde, ich brauchte eigentlich eine Pause.

Als ich an dem kleinen Supermarkt kurz vor unserer Schule vorbeikam, entschied ich mich einen kleinen Umweg zu gehen: und zwar den durch die Bierabteilung. Ich weiß, dass es ziemlich verwerflich und unsittlich ist in meinem Alter, mit meinen Zukunftsambitionen und meinem Zeitstress auch noch regelmäßig Alkohol (und dann auch noch Bier) zu trinken, trotzdem konnte ich dieser Marotte partout nicht Lebewohl sagen.

Ich trat in den kleinen Markt ein, eine der Leuchtstoffröhren, die alles in ein labor-maus-weißes Licht tauchten, flackerte wie ein nervöses Stroboskop, und der Kassierer mittleren Alters hinter der Theke las den neusten Playboy während er eine Menthol-Zigarette rauchte. Die weiß-grauen Bodenfliesen schrien vor Dreck, Spinnweben hingen in den Ecken, die Metallregale setzten schon leicht dunkelroten Rost an. Etwas Schmuddeliges lag in der Luft, ich spürte das typische Freitagsgefühl nun bis in die Knochen.

Nachdenklich stand ich vor dem hohen Metallregal, und durchforstete die Reihen visuell nach der geeigneten Sünde. Ich legte meine Stirn gegen eine der metallenen Röhren des Regals und machte von meiner bisher immer erfolgreichen Bierauswahlmethode Gebrauch: Ich schloss die Augen und griff einfach blind drauflos in der Luft herum. Grundsätzlich finde ich Bier nämlich untrinkbar und menschenverachten widerlich, aber um der Kontroverse willen behielt ich mir die Eigenart bei. Mein größtes Problem jedoch war immer, dass ich mich aufgrund der farblichen Reizüberflutung der immer bunter und opulenter werdenden Dosengestaltung nie für eine Sorte entscheiden konntet. Tatsächlich kam es mir nämlich nie auf die Marke, sondern eher auf die ästhetische Befriedigung meines aufgewühlten Selbst durch die Verpackung an, da war ich pingelig. Mein Gefühl hatte mich jedoch nie im Stich gelassen, und mir stets eine der besonders schön gestalteten Exemplare in die Hände kommen lassen, eigenartiger Weise war die darin verpackte Hopfenlimonade dann immer ekelhafter als die in den weniger schön verzierten Blechzylindern.

So stand ich also, wie so oft, vor dem Biersortiment und griff in der Luft herum nach einer für mich passenden Dose. Meine Fingerspitze hatte gerade etwas sich brauchbar Anfühlendes gestreift, da hörte ich jemanden von der Seite das Wort an mich richten.

"Was bitteschön machst du da?"

Langsam öffnete ich die zusammengekniffenen Augen, senkte meine Arme und drehte meinen Kopf. Ushijima stand nur wenige Zentimeter weit weg neben mir und beäugte mich neugierig von oben herab. Mir dämmerte, dass ich in diesem Moment zum Wiederholungstäter geworden war, und stammelte retour: "Ähhmm ich... ich....habe... naja, ich hab mich wohl in der Abteilung geirrt."
Seine starre Miene veränderte sich keinen Deut, er fragte nur weiter.

"Und warum greifst du dann bitte geradewegs zur Frühjahrsedition eines Hitachino Nest Ginger Ale?"

Man könnte jetzt kreativ sein, fantasievolle Antworten erfinden oder einen auf dummes, kleines Mädchen machen, ich entschied mich für eine hier nicht angeführte Option: die Wahrheit.

"Na gut du hast mich schon wieder erwischt.... Ich wollte mir, offensichtlich, ein Bier kaufen. Zufrieden?"

"Nein", war alles was er mir staubtrocken entgegnete.

Ich seufzte, drehte mich ganz zu ihm und sah ihn auffordernd an.

"Du tanzt, oder?"

"Ja."

"Eine Bier trinkende Ballerina.... Ist mir auch noch nie passiert...", erklärte er mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen.

Bekräftigt griff ich zu der Dose schräg über meinem Kopf, öffnete diese mit einem geräuschvollen Zischen und antwortete: "Wenn du ich wärst, würdest du auch trinken..." Dann nahm ich einen großen Schluck Ginger Ale, um kurz nachdem die Flüssigkeit meinen Rachen hinuntergeronnen war, vor Ekel meinen Kopf mit zusammengekniffenen Augen in der Luft hin und her zu schütteln.

"Ich dachte du magst Bier?", fragte er meine eigenartige Gestik analysierend.

"Nur weil ich es kaufe, heißt das nicht automatisch, dass ich es auch gerne trinke", gab ich zurück.

Belustigt griff der Volleyball-Hüne neben mir auch zu einer Dose (er nahm ein Asahi Super Dry) und bedeutete mit ihm nach vorne an die Kasse zu kommen. Er nahm mir meinen Ginger Ale ab, stellte beide Getränke auf den Tresen und zückte einen augenscheinlich gefälschten Ausweis, den er dem Kassierer vorzeigte. Mehr als nur verdattert sah ich ihn an, meinen Blick quittierte er mit einem seltsam schelmischen Grinsen. War das wirklich der Wakatoshi Ushijima den ich als den Goldjungen und Volleyballstar der Shiratorizawa kannte? Der unfehlbare und zum Kotzen talentierte Berg von einem Drittklässler?

Nachdem wir nach draußen getreten waren, reichte er mir meine Dose zurück und öffnete seine. Auch er zuckte kurz unter Einfluss des bitteren Geschmacks zusammen.

"Was war das jetzt gerade?", fragte ich vorsichtig.

"Ich habe Bier gekauft", entgegnete er wenig berührt.

"Das ist mit bewusst, aber du bist genauso wie ich minderjährig...."

"Wozu hat man den einen falschen Ausweis?", fragte er mich mit einem zynischen Unterton.

In meinem Kopf ratterten die Zahnräder als ich Revue passieren ließ, was sich gerade vor meinen Augen abgespielt hatte. Ushijima trat hinaus auf den Trottoire und fragte, zum immer dunkler werdenden Himmel hinaufschauend: "Wie heißt du eigentlich?"

"Ich heiße Akaya-", weiter kam ich nicht, denn da hatte er mich schon unterbrochen.

"Ich will nicht deinen Nachnamen wissen. Sag mir deinen Vornamen", forderte er mich auf.

"Mona, ich heiße Mona", entgegnete ich noch verwirrter als vorher. War er gerade dabei Konversation zu machen und hatte mich gerade nach meinem Vornamen gefragt?

"Mona...Mona...Ein schöner Name. Ich bin Wakatoshi", antwortete er und drehte sich zu mir um.

"Ich weiß wird du bist, Ushi-.."

"Wakatoshi, mein Name ist Wakatoshi", fiel er mir erneut ins Wort.

Seine olivgrünen Augen funkelten mich interessiert an, ich funkelte mit dem glänzenden Blech meiner Dose zurück und schmunzelte innerlich.

Spitzentanz - A Haikyu!! FanFictionWhere stories live. Discover now