Kapitel 5

10.6K 475 62
                                    

Ich hatte noch ein bisschen nachgedacht und bin dann irgendwann in einen traumlosen Schlaf gefallen. Geweckt wurde ich allerdings gerade durch Schmerzen an meinem Kopf. Verwirrt richte ich mich auf und gucke in das wütende Gesicht von Tobias. "Lehn dich noch einmal bei mir an und ich garantiere für gar nichts mehr, du widerliche Schwuchtel!" Ich seufze. Ich habe absolut keine Ahnung seit wann sie mich schon als Schwuchtel bezeichnen und woher sie überhaupt wissen, dass ich schwul bin. Vielleicht haben sie mich mit meinem Ex-Freund gesehen. Was weiß ich.

"Tut mir leid. Das war ein Versehen. Reg dich nicht gleich so auf." Tobias Kopf nimmt einen sehr unnatürlich Rotton an. Scheiße. "So so, ein Versehen also. Dann lassen wir es erstmal bei der Aussage, aber nochmal sowas und ich ertränke dich im Meer." Ich nicke und drehe mich wieder zur Seite. Was soll man dazu groß sagen? Wehren kann ich mich sowieso nicht und alles, was ich sagen könnte, wird er gegen mich verwenden. Trotzdem sehe ich persönlich Tod als zu hohe Strafe an. Direkt falle ich wieder in einen leichten Dämmerschlaf. Ich bin einfach zu müde.

Allerdings ist der bald schon wieder vorbei. Tobias rammt mir nämlich mit voller Wucht seinen Ellbogen in die Seite. Kurz vergeht mir der Atem und ich versuche hysterisch nach Luft zu schnappen. Gut, dass ich nichts gegessen habe, sonst hätte ich ihm in den Schoß gekotzt. "Was sollte das denn jetzt?" Empört schaue ich meinen Sitznachbarn an. "Wir sind da und ich sollte dich wecken", sagt Tobias schulterzuckend und steht auf. "Sanfter ging's auch nicht", brumme ich leise und gehe ihm hinterher.

Draußen klatschen Tobias Freunde ihn für seine Aktion ab und ich höre Sprüche wie "Hat der Typ verdient". Habe ich nicht, ihr Vollidioten. Und dass ihr euch an sowas aufgeilt ist schon traurig. Ich bin so darin vertieft, mir sämtliche Todesarten auszudenken, dass ich nicht bemerke, wie Lu auf mich zu rennt. "Addy, was ist eben passiert?", schreit sie schon fast. "Nichts, alles gut. Tobias hatte nur seine eigene Art mich zu wecken", erzähle ich und verdrehe die Augen. Till gesellt sich zu uns. "Soll ich ihm eine verpassen?", fragt er grinsend. Ich schüttle den Kopf.

"Was bringt dich eigentlich so zum Grinsen, Großer?", wechselt Lu das Thema. "Hast du nicht gesehen, dass er neben Gerrit sitzt?" Ich betonen den Namen extra, nur um zu sehen, wie Till auf einen Schlag rot wird. Er ist zwar nicht wirklich geoutet, aber seine Vorliebe für den kleinen, braunhaarigen Lockenkopf ist mir schon aufgefallen. "Schrei doch nicht gleich so, Addy. Ich will nicht, dass er weiß, dass ich ihn mag." "Ach komm", Lu schlägt ihm freundschaftlich auf die Schulter. "Er findet dich genauso toll, wie du ihn. Du musst nur mal drauf achten. Ich sag's dir. Am Ende der Fahrt seid ihr zusammen." Jetzt ist Till derjenige, der die Augen verdreht. Ich fange an zu grinsen. Meine Freunde glücklich zu sehen, ist das schönste auf der Welt für mich. Als ich allerdings bemerke, dass alle ihre Rucksäcke nehmen und sich Richtung Strand bewegen, vergeht mir das Grinsen wieder und ich spüre, dass meine - nicht die von Tobias verursachten - Bauchschmerzen zurückkommen. Jetzt wird es erst richtig beschissen.

***

Nach ungefähr zehn Minuten Fußmarsch, sind mir endlich am Campingplatz angekommen. Ein Raunen geht durch die Ansammlung von Schüler. Ich stupse Lu vorsichtig an. "Was ist denn los?" Sie zuckt nur leicht mit den Schultern und stellt sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.

"Was soll der scheiß? Sind wir jetzt echt hierher gelaufen, um zu sehen, dass die Zelte nicht einmal aufgebaut sind. Müssen wir den Mist jetzt machen?", brüllt Steve zu den Lehrern herüber. Herr Fitz, ein sehr junger, gutaussehender Lehrer, räuspert sich. "Die Klassenfahrt soll euch auch mit eurem Zeltpartner zusammenbringen. Eure erste Aufgabe ist also euer Zelt zusammen aufzubauen." Die meisten Leute stöhnen genervt auf. Mir allerdings rutscht das Herz in die Hose. 24 Stunden und 14 Tage nur mit diesem Vollidioten, der mich wahrscheinlich nach einem halben Tag tötet.

Man muss aber anmerken, dass er weniger schlimm ist, als Henry. Die beiden sind schon ewig befreundet und Tobias ist dadurch eigentlich nur ein Mitläufer, weil Henry ihn sehr beeinflusst hat. Was Henry gegen mich hat, ist aber schwer zu sagen. Deswegen hasse ich einfach beide. Vielleicht kann ich Tobias ja davon überzeugen, dass ich gar nicht so scheiße bin, wie Henry immer erzählt. Und dann? Dann mobbt er mich vielleicht nicht mehr, dumme Stimme aus dem off.

Zusammen mit den anderen setze ich mich wieder in Bewegung, um mir ein Zelt zu sichern. Das hat Tobias aber scheinbar schon übernommen. Angepisst kommt er auf mich zu und ich beginne zu grinsen. Ich habe eine, für mich zumindest, sehr positive Vorahnung. "Hör zu, Aiden. Du Opfer bekommst ja sowieso nichts hin. Ich baue das Zelt auf, bevor du noch was kaputt machst und wir komplett draußen schlafen müssen." Ich nicke nur leicht und folge Tobias zu dem Platz, an dem er das Zelt aufbauen möchte.

Innerlich freue ich mich gerade so sehr wie seit langem nicht mehr. Keine körperliche Arbeit. Wie geil könnte es noch sein? Zwar hat Tobias mich gerade aufs höchste beleidigt, aber das war schon okay. Zumindest hat er mich einmal bei meinem eigentlichen Vornamen genannt. Ein Schritt in die richtige Richtung.

A * N I G H T * I N * A * T E N T - BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt