Ich frage mich echt, was mit diesem Mann falsch gelaufen ist. Dass man seine Kinder nicht schlägt, ist wohl klar, aber warum schlägt man sie noch aus solchen Gründen? Das ist doch einfach mehr als krank.
Aber deswegen hat Tobias wahrscheinlich seine Angewohnheit. Die Angewohnheit alles mit Gewalt zu lösen, was ihn leicht stört. Besser gesagt: Was ihn an mir stört. Seit der Busfahrt überlege ich schon, ob ich ihn mal richtig in einem ernsten Gespräch fragen sollte, was sein Problem mit mir ist. Ich möchte es einfach nachvollziehen können.
Ich sammle mein kompletten Mut zusammen und bin kurz davor die Frage auszusprechen, als man vom Campingplatz oben laute Motorgeräusche hört. Tobias sieht mich kurz an. "Ich glaube wir sollten zurück." Bevor ich etwas erwidern kann, steht er schon auf und macht sich auf den Rückweg.
Leicht schüttle ich meinen Kopf. Dieser Typ verwirrt mich. Er verwirrt mich sehr. Egal auf welcher Ebene. Vor ein paar Minuten war er noch lieb und wirkte so als würde er mir gerade sein Leben anvertrauen und in der nächsten Sekunde tut er so, als ob nichts passiert wäre. Komisch.
***
Wieder beim Platz angekommen, höre ich nur, dass die Lehrer uns alle zum Essen rufen, welches in einem nahegelegenen Restaurant stattfindet. Toll, kann ich mich gar nicht alleine auf meine Gedanken konzentrieren. Unter Schmerzen laufe ich zu Lu und Till, um gleich beim Essen nicht alleine zu sein.
Lu begrüßt mich auch freundlich mit einer Umarmung, aber Till kann seine Augen einfach nicht von seinem Zeltgenossen abwenden. Süß, dass er verliebt ist, ich gönne es ihm auch, aber ist das nicht etwas übertrieben? Besonders wenn der Angebetete das nicht wissen soll. Aber im Grunde kann mir das egal sein. Es ist Tills Leben und wenn Till glücklich ist, bin ich es auch. Einfaches Prinzip.
Im Restaurant angekommen suchen wir uns zusammen einen Platz und gehen dann einzeln zum Buffet, welches extra aufgebaut wurde. Alles für uns. Sehr nobel. Ist aber dafür wahrscheinlich auch sehr teuer.
Das Essen an sich war nachträglich gesehen nicht sonderlich spannend. Till und Lu haben sich größtenteils mit den anderen unterhalten. Ich habe mich dabei sehr zurückgehalten, weil ich mir immer noch Gedanken, um so ziemlich alles, was vorhin passiert ist, gemacht habe. Auch jetzt, 20 Minuten später im Zelt, gehen sie nicht aus meinem Kopf heraus. Genauso wenig, wie die Blicke, die mir Tobias ständig zugeworfen hat.
Zum Glück ist er aber gerade bei seinen Freunden und ich habe meine Ruhe.Die Lehrer haben uns für den Rest des Abends freigegeben und ich habe mich dazu entschieden, mich einfach in mein Zelt zu legen, Musik zu hören und nachzudenken. Eigentlich so, wie ich es fast jeden Abend zu Hause mache. Vielleicht bin ich deswegen so schlecht, was soziale Interaktionen betrifft. Hätte ich auch vorher drauf kommen können.
Ich kuschel mich gemütlich in meinen Schlafsack, schließe meine Augen und lasse meinen Gedanken freien Lauf. So unendlich viele Fragen schwirren durch meinen Kopf. Die Frage, was für einen Katzenfetisch Tobias hat, stelle ich erst einmal hinten an.
Am meisten frage ich mich, warum er plötzlich SO nett war. Nur weil ich sein Geheimnis kenne? Das ist zwar irgendwie ein Grund, aber nur, wenn man erpresst wird und ich erpresse ihn ja nicht. Vielleicht irgendwann, aber noch nicht jetzt.
Ich habe keine Lust, dass er mir jetzt was vorspielt und dann in der Schule wieder so scheiße zu mir ist wie früher. Da kann ich gerne drauf verzichten. Bis jetzt war meine Überlegung für die zwei Wochen so gewesen, dass ich Tobias überzeuge, dass ich nicht so schlimm bin wie er immer denkt.
Das Resultat daraus wäre dann im besten Fall, dass er mich in Ruhe lässt. Wenn die Sache richtig gut läuft, lassen mich danach alle von ihnen in Ruhe. Die Beleidigungen sind mir meistens sowieso egal, aber ich möchte einfach, dass sie aufhören mich zu schlagen.
Innerlich beginne ich mit einer kleinen Liste, warum Tobias geschlagen wird und den Schmerz kennt, aber dann selbst Leute verprügelt. Vielleicht will er dadurch Frust ablassen und ich war gerade so da. Oder er hasst mich einfach und merkt durch seinen Vater, wie man Menschen am besten erniedrigen kann. Das halte ich allerdings eher für unrealistisch.
Bevor ich meinen Gedanken aber weiter verfolgen kann, spüre ich plötzlich etwas schweres auf meinem Bauch, das mir für ein paar Sekunden die Luft raubt. Empört und kurz davor rumzuschreien, öffne ich die Augen und sehe - Henry.
"Was willst du hier?", frage ich ihn mit erstickter Stimme. "Reden, Addy. Einfach nur reden." Er lächelt zwar, aber seine Worte klingen gemein und kalt. Das pure Böse quasi. "Gut, worüber?", frage ich giftig und versuche ihn vergeblich von mir runter zu schubsen.
"Über Tobias und dich. Seit er mir verkündet hat, dass wir dich für die restliche Klassenfahrt in Ruhe lassen sollen, ist er schweigsam und in Gedanken versunken. Das ist er sonst nie. Ich wusste nicht einmal, dass er mehr als drei Wörter hintereinander denken kann." Den letzten Satz sagt er so spöttisch, dass es schon fast weh tut. Sie sind doch befreundet, warum sagt er das dann?
Als ich ihn danach frage, lacht er nur leise. "Tobias nutzt mich doch nur als sein Heulkissen. Wir verstehen uns gut, ja. Vielleicht sind wir gute Freunde, aber wenn man ihn fragt, wird man merken, dass ich ihm nur anders was wert bin. Das ist auch mein Grund, wieso ich hier bin. Diese winzige bisschen von Tobias nimmst du mir nicht. Vielleicht braucht er mich nicht, aber ich brauche ihn mehr als du dir vorstellen kannst. Verstanden? Halt dich also von ihm fern."
"Pff, wozu brauchst du ihn denn? Damit du die Leute nicht alleine verprügeln musst und er dich decken kann?" Feindselig schaut Henry mich an und ich kann in seinem Gesicht lesen, dass er sich stark beherrschen muss, um mich nicht zu schlagen.
Mit einem verächtlichen Laut spuckt er mir einmal ins Gesicht - abartig - und verlässt dann das Zelt. Was ist denn bitte Henrys Problem? Warum sollte ich ihm Tobias wegnehmen? Er kann mich doch nicht einmal leiden. Genervt wische ich mir über mein Gesicht, lege mich wieder hin und hoffe, dass niemand mehr das Zelt betritt.
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A * N I G H T * I N * A * T E N T - BoyxBoy
RomanceFür Aiden gibt es nichts schlimmeres im Leben als Henry und Tobias. Immer wieder bekommt er Gewalt und ihren Hass ihm gegenüber zu spüren. Doch was ist, wenn er mit einem von ihnen zwei Wochen in einem Zelt schlafen muss. Wird es ein wahr geworden...