Kapitel 4

10.2K 464 83
                                    

Ich steige zusammen mit meiner Schwester aus dem Auto aus und werde direkt von vielen lauten Stimmen begrüßt. Wieso sind die alle so verdammt gut gelaunt? Bin ich hier der einzige, der einfach absolut schlecht drauf ist? Vielleicht ist es doch besser, wenn ich einfach hier bleibe und die anderen ihren Spaß haben.

"Addy, kommst du?" Meine Schwester, die in meiner sehr langen Denkphase unsere Koffer ausgepackt hat, stupst mich leicht an und stellt meine Sachen neben mir ab. Ich seufze leise, aber nicke dann. "Ja, ich komme gleich." Eve guckt mich noch einmal ermutigend an und geht dann los zu ihren Kollegen. Immer noch sehr deprimiert nehme ich meine Sachen und setze mich in Bewegung, um zu den anderen zu gehen.

Da ich nicht wirklich auf mein Umfeld achte, fällt mir auch nicht auf, dass sich jemand von hinten nähert. "Aiden", flüstert mir eine Person ins Ohr. Sofort verspannt sich mein Körper und ich bekomme das gewohnte Herzrasen. "J...ja. Was ist d...denn, Henry?" Weg ist das Selbstbewusstsein. Er ist die Person vor der ich mit Abstand am meisten Angst habe. "Wir fahren auf Klassenfahrt, falls dein kleines Hirn das nicht bemerkt hat. Das bedeutet, dass du uns rund um die Uhr bei dir hast. Du bist geliefert." Zaghaft nicke ich. "Wenn du uns nervst, wirst du wohl oder übel mit den Konsequenzen leben müssen. Dass du uns noch nicht an deine Schwester verpetzt hast, muss man dir allerdings hoch anrechnen." Mit diesen Worten verschwindet er wieder zu seinen Freunden. Wow, das war unnötig.

Langsam atme ich aus. Ich habe die ganze Zeit, in der er mit mir geredet hat, die Luft angehalten und mir nebenbei fast in die Hose gemacht. Was ein einziger Junge schon alles ausrichten kann. Immer noch von Angst geplagt torkle ich zu meinen Freunden, die meine Nervosität zum Glück kaum bemerken und mich einfach nur freundlich begrüßen und in den Arm nehmen.

***

"Kommt mal bitte alle zusammen", ruft meine Schwester laut über den Platz. Jetzt geht es also los. Mit zitternden Knien gehe ich mit Lu und Till zu den anderen. Es kann eigentlich gar nicht so schlimm werden, oder? Oder??

Eve räuspert sich und beginnt die Liste mit den Zeltpaaren vorzulesen. Innerlich sende ich gerade 300 Gebete nach oben. Irgendjemand wird mich schon verstehen.

"Aiden und Tobias", liest meine Schwester schließlich vor.

Tschüss, mein erfülltes Leben ist offiziell vorbei. Ich spüre wie mein Herz anfängt unregelmäßig, aber schnell zu schlagen, wie ich blass werde, wie mein Bauch beginnt weh zu tun und wie sich alles in meinem Körper zusammenzieht. Ich will hier weg.

Till, der neben mir steht, schaut mich besorgt an und legt einen Arm auf meine Schulter. "Hey, es wird schon alles gut werden", flüstert Lu mir leise ins Ohr. "Ja klar", schieße ich sarkastisch zurück. "Er ist ja nur der beste Freund von Henry und kann mich absolut nicht leiden. Der bringt mich doch im Schlaf um." Lu zuckt zusammen und dreht sich von mir weg.

"Scheiße, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anzicken", sage ich betreten. Sie guckt mich an und lächelt. "Schon gut, ich kann das verstehen. Komm einfach immer zu uns, wenn irgendetwas passiert. Das wird schon." Lu und Till klopfen mir einmal auf die Schulter und nehmen dann ihre Taschen und Koffer, um sie im Bus zu verstauen. Scheinbar geht die dreistündige Horrorfahrt jetzt los.

Mit starken Kopf- und Bauchschmerzen hebe ich meine Tasche und meinen Rucksack hoch, um sie ebenfalls in den Bus zu packen. Als ich mich gerade wieder umdrehen will, um in den Bus zu steigen, rempelt mich eine Person an. Ich schaue mich um und sehe direkt in zwei tief blaue Augen. Tobias.

"Hör zu. Nerv du mich nicht und ich lasse dich fürs erste in Ruhe. Zumindest für die Busfahrt. Aber solltest du irgendeinem von uns dumm kommen, schlagen wir dich zusammen." Ich starre ihn an und spüre die leichten Angsttränen in meinen Augen. "Fang jetzt nicht an zu heulen, du kleine Schwuchtel." Und es geht wieder los. "Tu...tut mir leid." Tobias schnaubt einmal und schubst mich dann Richtung Bus. Ich zische vor Schmerz auf. Er hat eine noch nicht verheilte Wunde getroffen. "Stell dich nicht so an", blafft Tobias mich an. Stumm schlucke ich die Tränen runter und steige in den Bus ein. Ich hoffe, dass ich die Busfahrt wenigstens überlebe.

***

Die Busfahrt verläuft bis jetzt besser als gedacht. Tobias brüllt die ganze Zeit mit seinen Freunden irgendwas durch den Bus und ignoriert mich vollkommen. Ich lehne mit meinem Kopf am Fenster, schaue nach draußen und höre Musik. Wenn die Fahrt weiterhin so ist, kann das sogar machbar sein. Leider sind bis jetzt erst dreißig Minuten vergangen. Dadurch, dass mich meine Angst in den letzten Nächte wach gehalten hat, überfällt mich langsam aber sicher die Müdigkeit. Allerdings traue ich mich nicht einzuschlafen. Die Angst, dass sie etwas mit mir machen, ist zu groß. Allerdings sitzen um uns herum überall Lehrer. Falls sie etwas tun sollten, würden sie sich nur ins eigene Fleisch schneiden. Vielleicht doch schlafen? Besser jetzt als nie. In der ersten Nacht mit ihm im Zelt werde ich sicherlich sowieso kein Auge zu machen.

A * N I G H T * I N * A * T E N T - BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt